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Feinherb

Die Erfindung der Weinkategorie "feinherb" ist einer bemerkenswerten Frau zu verdanken, die leider schon verstorben ist. An der Mosel und im kleinen Anbaugebiet Mittelrhein, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, findet man häufig die Bezeichnung "feinherb" auf Weinflaschen, die in der Regel mit Riesling gefüllt sind und eine sehr gute Balance zwischen Frucht und Weinsäure aufweisen. Die wieder zunehmende Beliebtheit dieser Weine könnte ein Anlass sein, jener Frau ein Denkmal zu setzen, die dafür gesorgt hat, dass die Bezeichnung erlaubt wurde: die frühere Chefin des Weingutes Reichsgraf von Kesselstatt, Annegret Reh-Gartner, die 61-jährig am 3. Oktober 2016 verstarb und noch etliche Jahre erleben konnte, wie sich ihre Wortschöpfung etablierte. Sie vertrat seinerzeit die Auffassung, dass die Bezeichnung „halbtrocken“ für einen Wein mit etwas Restsüße irreführend sei und argumentierte, man könne doch auch halbsüß sagen. Und halb sei als Begriff nicht positiv belegt. Zitat: „Unsere Kunden fragen, schmeckt der Wein jetzt eher süß oder eher trocken.“ Das Weingesetz in Deutschland musste so etwas natürlich in konkrete Zahlen fassen, die da lauteten: Es gibt trockenen Wein, der maximal 9 g/l Restzucker haben darf, dies in Verbindung mit der Regel Säure + 2. Das bedeutet, dass ein Wein mit 5 g/l Säure nur bis 7 g/l Restzucker als „trocken“ durchgeht. Oberhalb von trocken thront die Bezeichnung halbtrocken, die auch eine Obergrenze hat, nämlich 18 g/l Zucker, aber ebenfalls in Verbindung mit der Säure. In diesem Fall „Säure plus 10“, sprich ein Wein mit 6 g/l Säure hört oberhalb von 16 g/l Zucker auf, halbtrocken zu sein. Um dieses Wein-Amtsdeutsch zu verstehen, brauchen manche Weinfreunde ein ganzes Leben lang und sind dann immer noch hilflos. Annegret wollte eine Alternative zu halbtrocken installieren. Das hätte sie vielleicht nicht als Chefin eines kleinen Weingutes gewagt. Aber Reichsgraf von Kesselstatt ist Teil des mächtigen Schloss-Wachenheim-Konzerns, der mehrheitlich zur Günther Reh AG gehört und mit seinen zahlreichen Beteiligungen und Marken (Faber-Sekt, Kleine Reblaus, Rindchens Weinkontor etc.) eine beachtenswerte Größe auf dem globalen Weinmarkt einnimmt und einer der größten Sekthersteller weltweit ist. Das Weingut Reichsgraf von Kesselstadt in Morscheid bei Trier ist sein Vorzeige-Brillant. Den traditionsreichen Betrieb hatte Großunternehmer und Annegrets Vater Günther Reh (1928-2014) 1978 erworben und mit vielen Investitionen wieder fit gemacht. 1998 kam der erste Kesselstatt-Riesling „feinherb“ auf den Markt. Es sollte bis 2000 dauern, ehe die erste Abmahnung von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier eintraf, mit dem Verlangen, die Irreführung der Verbraucher zu beenden. Annegret Reh widersprach vor dem Trierer Verwaltungsgericht, das aber die Meinung der Behörde teilte. Annegret gab dennoch nicht auf. Die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz, sah die Angelegenheit ganz anders und erklärte, dass "feinherb" sehr wohl als Geschmacksangabe auf dem Etikett erlaubt und verständlich sei. Das europäische Weinbezeichnungsrecht lasse grundsätzlich diesen Spielraum, stellte man fest. Die Weingutschefin durfte sich auf die Schulter klopfen, weil sie hartnäckig geblieben war. Und feinherb trat seinen Siegeszug an – allerdings mit einem Manko. Es wurde im Weinrecht offen gelassen, wieviel Restzucker konkret gemeint ist. Annegret Reh-Gartner dachte an Riesling, der im unteren Bereich der Geschmacksrichtung halbtrocken angesiedelt war. Viele Winzer füllen indes feinherbe Weine mit 40 und mehr Gramm Restzucker mit zudem milden Säurewerten ab. Da wäre allenfalls ein „feinsüß“ angebracht. Im Sinn der engagierten Gutschefin war das nicht. Vermutlich war es Annegret Reh-Gartner durchaus recht, dass eine andere deutsche Weinbezeichnung, die vor rund 20 Jahren kreiert wurde, nie so recht auf die Beine kam: Als „Classic“ kann ein Rebsortenwein bezeichnet werden, wenn er im Restzucker doppelt so hoch ist wie die Säure. Aber mit dem suggerierten „Klasse“ haben solche Weine wenig oder nichts zu tun.

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