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Handy aus, Wein auf!

Im Verkostungsraum der Bodega Irius in Somontano/ Spanien.
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Weil wir immer und überall mit der Welt verbunden sein wollen, haben wir das Genießen vergessen. Unser Weintester Patrick Hemminger schaltet ab, wenn er Wein kostet.
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Neulich schreib ich einen Artikel über das Weingut Jacaranda und einen guten Weißwein von dort. Der Betrieb ist eine Gründung des deutsch-schweizerischen Paares Birgit und René Reiser.

Die beiden haben – aus diversen Gründen – ihre alten Jobs an den Nagel gehängt und ihren Traum verwirklicht.

Unser kleines Weingut in Südafrika

Heute habe ich einen Rotwein von Jacaranda im Glas. Und wieder lande ich beim Thema Entschleunigung. Passenderweise muss ich dazu etwas weiter ausholen. Also bitte zurücklehnen jetzt.

Es gab mal das schöne Wort Feierabend. Erinnert sich noch jemand an dessen Bedeutung? Ganz früher war das der Moment, wenn das Abendläuten die Bauern und Knechte von den Feldern nach Hause rief. Es gab ein Davor und ein Danach. Arbeit und Nicht-Arbeit. Schlicht weil es dunkel wurde.

Mehr Möglichkeiten gab es nicht. Heute haben wir alle zu jeder Zeit unzählige Optionen der Feierabend-Gestaltung. Wunderbare Sache. Ich muss abends nicht unbedingt in die Dorfgaststätte. Ich kann auch zum Italiener, zum Spanier, zum Türken, zum Chinesen, alle liegen um die Ecke. Ich kann aber auch weiterarbeiten bis Mitternacht, erreichbar bin ich sowieso.

Zum Schluss des Tages vielleicht noch einen Film schauen oder ein Buch lesen? Hm, im Kino und im Fernsehen kommt nichts Gutes. Egal, alles andere ist nur einen Klick und eine Paypal-Überweisung entfernt. Jeder Film und jedes Buch der Welt landet mit einer kurzen Wischbewegung auf meinem iPad.

Das ist großartig! Wir alle sind inzwischen so besessen von der Verheißung und der Hoffnung, immer mehr zu erreichen, dass wir das Warum oft vergessen.

Menschen ziehen vom Land in die Stadt, weil sie dort mehr Möglichkeiten haben. Ihren Kindern raten sie dann, auf jeden Fall Abitur zu machen. Dann haben sie später mehr Optionen im Leben. Der Knirps will aber lieber Schreiner werden? Egal.

Seit der industriellen Revolution kann unsere Gesellschaft nur dann ihren Status erhalten, wenn ihre Leistung wächst. Stagniert die Wirtschaft, gehen Arbeitsplätze verloren und Firmen pleite. Die staatlichen Einnahmen sinken, die Sozialausgaben steigen. Erst knarzt und knackt es im Haushalt, dann folgt eine Schuldenkrise, dann wackelt der ganze Staat.

Die Wirtschaft wächst, wenn die Menschen konsumieren. Dafür brauchen sie Zeit und Geld.

Und Zeit zu gewinnen, das versprechen eine ganze Reihe von Unternehmen, die alle möglichen technischen Geräte herstellen. Die meisten Erfindungen der letzten 100 Jahre dienen der Beschleunigung und der Effizienzsteigerung. Rasenmäher, Wäschetrockner, Geschirrspülmaschine, Navigationssysteme. Wir erledigen immer mehr in immer weniger Zeit.

Am meisten bringt natürlich das Internet. Kommunikation ist losgelöst von Zeit und Ort. Wer nicht binnen weniger Stunden auf eine Mail antwortet, gilt als faul und ineffizient. Außerdem können wir immer und überall einkaufen. Seit neuestem boomen Essenslieferdienste. Fällt das Kochen weg, können wir in dieser Zeit noch mehr erledigen, arbeiten, konsumieren.

Doch dadurch, dass die ganze Welt immer nur einen Klick entfernt ist, widmen wir jedem Ausschnitt weniger Zeit. Wir erfahren und wissen nicht mehr, sondern letztendlich weniger, weil wir immer an der Oberfläche bleiben. Denn das Problem bei all der Beschleunigung ist: Ein Tag wird immer nur 24 Stunden haben und ein Jahr immer nur 365 Tage.

Was hat das alles mit dem Feierabend zu tun? Das sagt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa: „Was sich daher prinzipiell nicht mehr einstellt, ist jenes Weltverhältnis, das durch den Begriff der Muße bezeichnet wird und am besten im deutschen Feierabend zum Ausdruck kommt.“

Immer mehr Ahnung von Wein aber dumm bei Brot

Ich will nicht unter euren Gourmet-Sternen sterben!

Wie erkenne ich guten Wein?

Ja, Muße. Rosa kann diesen altmodischen Begriff ganz gut erklären.

„Muße ist die Haltung, die wir annehmen, wenn das Tagwerk vollbracht ist, wenn es keine legitimen sozialen Erwartungen an uns mehr gibt und wenn wir selbst keine aufgeschobenen Erwartungen mehr haben, so dass wir uns ganz der gegenwärtigen Welt hingeben können.“

An dieser Stelle kommt der Genuss von Wein ins Spiel. Denn das Öffnen einer Flasche, das sanfte Plopp des Korkens oder das leise Knack des Schraubverschlusses, markiert den Übergang von der einen Zeit in die andere. Es gibt nun ein Davor und ein Danach. Im Davor sollten wir den Alltag, den Ärger und das Smartphone lassen. Ins Danach gehören Entspannung, Ruhe und die leise Konzentration auf diesen Wein vor uns im Glas.

Ich schalte jetzt mein Handy aus und entkorke eine rote Cuvée aus Südafrika. Sie kommt – wie oben erwähnt – vom kleinen aber feinen Weingut Jacaranda.

Der Wein, den ich hier im Glas habe, ist eine Mischung aus 80% Shiraz, 15% Mourvedre und 5% Viognier.

Ich rieche kräftige, dunkle Beerenfrüchte wie Brombeere und Heidelbeere. Außerdem Schwarzkirsche, dazu Kaffee und dunkle Schokolade. Also in der Nase kann der schon mal was.

Ich nehme einen Schluck und bin nicht minder angetan. Dunkle Früchte, Brombeere und Pflaume schmeicheln meinem Gaumen, dazu kommen soeben gepflückte Küchenkräuter. Frisch gebrühter Kaffee und Schokolade machen den langen Abgang zu einem Vergnügen. Tannine sind nicht sonderlich viele vorhanden. Die wenigen, die ich spüre, haften sanft und seidenweich am Gaumen. Alkohol dagegen ist mit 15 Volumenprozent üppig vorhanden. Aber Vorsicht, der ist keinen Moment lang zu schmecken und genau dieser Umstand macht den Wein gefährlich. Denn gleichzeitig ist die Säure hoch und das lässt ihn sehr frisch wirken. Da trinkt man gern mal ein zweites Glas und das geht dann direkt in die Birne.

Das ist ein wunderbarer Rotwein für Genießer mit einem gewissen Anspruch.

Als Essenspartner empfehle ich Salsiccia vom Grill oder ein Rindergulasch.

 

Datum: 7.2.2018
 

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