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Neulich saß ich im ungewöhnlichsten Restaurant Berlins und durfte an einer Verkostung gereifter Rieslinge teilnehmen. Es war schon recht spät und draußen stockdunkel. Von außen leuchtete das vollverglaste Restaurant wie ein geparktes Raumschiff, in dem sich elegante Menschen über futuristische Speisekreationen beugten.
Manche Gäste ziehen sich sogar passend an, um ins schillernde Ambiente dieses Lokals zu passen.
Langsam gereifte Rieslinge sind in Deutschland rar. Hier wird immer gleich alles weggeschlürft. Im Gegensatz zum Ausland, wo man das gute Zeug gerne bunkert.
Lest meinen Artikel, den ich nach dieser Verkostung geschrieben habe:
Das Gute an diesem ohnehin schon guten Termin war: Ich saß in diesem Gourmetrestaurant, das so grundsätzlich anders ist als alle, die ich jemals besucht habe. In jeder Hinsicht.
Dieses Restaurant namens GLASS Berlin hat sich in der europäischen Weinszene herumgesprochen. Es heißt, dass sein Chef Gal Ben Moshe Menüs kreiert, die Weine leuchten lassen. So wie ein genialer Bilderrahmen das Kunstwerk darin erst voll zur Geltung bringt.
Nachteulen, die sich in Berlin zur frühen Morgenstunde auf dem Heimweg befinden (und davon gibt es viele in dieser Stadt), können in der Charlottenburger Uhlandstraße diesem Alchemisten bei der Arbeit zusehen.
Dann, wenn alle Gäste längst gegangen sind und die Geschirrspülmaschine mit den vielen Weingläsern leise rauscht, steht Gal in seiner spartanischen Küche hinter einer glitzernden Kunststoffplane und tüftelt an einem neuen Gericht.
Meistens steht ein Glas Wein daneben. Oder gleich mehrere.
Der gebürtige Israeli Gal Ben Moshe kam 2012 nach Berlin, um hier sein eigenes Restaurant zu eröffnen. Zuvor arbeitete er in London, Tel Aviv und Chicago.
Gal gilt als Meister der modernen arabischen Küche. Sein kultureller Boden sind die traditionellen Speisen in Syrien, Palästina und Libanon.
„Ich wuchs mit Feinschmecker-Eltern auf. In Restaurants bestellten sie für mich Speisen, die gar nicht kindergerecht waren. Forelle mit Shrimps zum Beispiel. Sobald ich über den Rand des Küchenherds schauen konnte, kochte ich zu Hause mit. Als ich 15 war, ließen sich meine Eltern scheiden. Die Familie zerbrach und ging in eine Fischfabrik arbeiten. Glücklicherweise betrieben die Eigentümer auch ein Restaurant und das zog mich magisch an. Sie ließen mich an die Töpfe. Damals fing alles an.“
Gal Ben Moshe
Erstes Aufsehen in Berlin erregte Gal mit einer sehr eigenwilligen Kreation namens „Wald im Glas“. Ein herbstlicher Spaziergang im Grunewald hatte ihn dazu angeregt. Es ist ein zauberhaft-cremiges Gericht aus Pilzen, Wildkräutern und Nüssen. Frühnebel aus Räucherrauch wabert über dem Gericht.
Da saß ich nun im GLASS und nahm einen Schluck Wachenheimer Riesling von Bürklin-Wolf und ließ dann ein Stück Hawaianisches Palmherz mit Pfirsich, Zwiebel und Koriander auf der Zunge zergehen.
Es war der Auftakt zu einem fulminanten 6-Gänge-Menü mit Bürklin-Wolf-Weinen aus Jahrgängen zwischen 1999 und 2013. Die Weine kamen aus den Lagen Jesuitengarten, Ungeheuer, Pechstein, Wachenheimer Rechbächel, Hohenmorgen.
Gal liebt edel gereifte Rieslinge. Und ist nicht einverstanden, wie die Deutschen mit ihrer Königstraube umgehen:
„Ihr Deutschen trinkt euren Riesling zu früh!“
Von Sinnlichkeit erschöpft schlich ich Stunden später nach Hause.
Solche Abende sind der Grund, warum Winzer so gerne ihre Herzeigeweine ins GLASS, um sie dort zu präsentieren. Sie alle schätzen Gals weinverliebten Irrsinn, weil er mit seinen Menüs ihren Tropfen nicht die Show stiehlt. Ganz im Gegenteil.
Ein paar Beispiele gefällig?
Neben Bürklin-Wolf sind das Jochen Ratzenberger vom Mittelrhein, Yves Cuilleron von der nördlichen Rhône, die Brüder Massolino aus dem Piemont, Johannes Leitz aus Rüdesheim, Jean Michel Cazes junior, zu dessen Weinimperium das berühmte Château Lynch-Bages gehört, Champagnerwinzer Pierre Péters und Marc Hochar, dessen Familie das legendäre libanesische Weingut Château Musar betreibt.
Aber auch privat gehen die Winzer ins GLASS. Einige Namen aus der Gästeliste:
Birgit Rebholz vom Weingut Ökonomierat Rebholz in der Pfalz, Alexander Stodden von Jean Stodden an der Ahr, Heidi Schröck aus Rust im Burgenland, Steffen Brahner, der Chef von Dr. Bürklin-Wolf. Und Eva Raps, die sich in den Schweizer Käsemacher Urban Kaufmann verliebte und mit ihm das Weingut Hans Lang im Rheingau übernahm.
- Lest hier meinen Artikel über dieses ungewöhnliche Quereinsteigerpaar: Winzer-Lovestory
Was genau ist Gals Geheimnis – wie kombiniert er Speisen mit gereiften Weinen?
Er sagt, man müsse sich mit den typischen Reifearomen beschäftigen und nennt Beispiele: Bienenwachs, Petroleum, Honig bei Weißweinen. Zedernholz, Zigarrenkiste, Leder, Waldboden bei Rotweinen.
Gal Been Moshe: „Versucht, diese Elemente im Essen einzubauen und bildet die Komplexität des Weines nach. Nehmt eine Gewürznote, die euch gefällt und am Gaumen kleben bleibt, wenn der Wein längst runtergespült ist. Und achtet auf die Säure in eurem Menü. Besonders wenn man etwas zu reifen Weinen kocht, ist es wichtig, sehr behutsam damit umzugehen.“
Und noch ein Tipp:
„Achtet darauf, wie sich die Frucht im Wein entwickelt hat. Manchmal tritt sie beim Altern nach vorne. Dann kann man ruhig mit etwas Schärfe kontern. Falls die Frucht nachgelassen hat, musst du etwas Klares kreieren, das den Gaumen nicht zukleistert.“
Gal, was kann ich als Küchen-Amateur sonst noch von dir lernen?
„Überfordere dich nicht mit zu viel Komplexität. Betone das Offensichtliche. Noten von roten Beeren passen zu rotem Fleisch. Gereifter Riesling geht wunderbar mit getrockneten Aprikosen. There is no way around it. Keep it simple, straight forward.“
Erkläre uns deine Philosophie, Gal.
„Wenn du siehst, welche Speisen ich zu ganz bestimmten Weinen entwickle, wirst du feststellen, dass ich nicht dieses Ego anderer Küchenchefs habe. Ich will, dass beides strahlt – Essen und Wein.“
Das ist natürlich ein bisschen kokett gesagt. Ein Spitzenkoch ohne Ego? Gibt es nicht! Wie sonst soll ein Mensch die irren Arbeitsbedingungen in einer dampfenden, lauten Küche mit all dem Stress aushalten, wenn nicht Leidenschaft, Liebe zum Essen und ein bisschen Größenwahn antreiben?
Lest hier unseren Artikel über einen talentierten, jungen Spitzenkoch, der das alles nicht mehr ausgehalten hat:
Ich will nicht unter euren Gourmet-Sternen sterben!
Gal hat noch diese Liebe und man sieht es ihm an, dass da noch viel Kraft ist.
Ich zitiere meine Kollegin Gerlinde Jänicke, die in einem ihrer wunderbaren Blogartikel schreibt: „Er wirkt wie ein großer Junge, der heimlich auf seinem Zimmer experimentiert. Er tüftelt. Entwickelt. Und kommt am Ende immer wieder mit etwas Genialem, etwas Überraschendem um die Ecke.“