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Ihr trinkt euren Riesling zu früh!

Mensch wartet doch, bis das Zeug richtig gut schmeckt.
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Zu diesem Thema hat der unbekannteste Starkoch Berlins etwas Wichtiges zu sagen.
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[Dieser Artikel erschien 2018, als Gal Ben Moshe noch in seinem alten Restaurant Glass Berlin kochte. Inzwischen ist er umgezogen und kocht im → Prism Berlin] Gereifter Riesling. Ja, zu diesem Thema gibt es Grundsätzliches zu sagen. Von einem, der täglich mit diesen köstlichen Säften zu tun hat. Zuvor muss ich allerdings etwas ausholen. Ich hoffe, ihr sitzt bequem und habt Zeit. Es ist lange nach Mitternacht in Berlin. In einer unscheinbaren und ruhigen Straße abseits des Kurfürstendamms arbeitet der israelische Gourmetkoch Gal Ben Moshe hinter einer silbrig schimmernden Kunststoffplane an einem neuen Menü.

Gal Ben Moshe ist der unbekannteste Starkoch Berlins. Und sein Restaurant heißt „Glass“. Vielleicht, weil das Lokal komplett durchsichtig ist. Keine Wand versperrt den Blick von außen nach innen. Und andersrum. Oder weil hier beim Zelebrieren der hohen Küche das Glas Wein im Vordergrund steht.

Ich habe keine Ahnung, welche meiner Interpretationen stimmt. Mir gefallen beide. Deshalb werde ich mich hüten, bei Gal nachzufragen. Zu viel Recherche zerstört jeden Artikel. Nach 25 Jahren Schreiben weiß man das.

Gal, der unbekannte Starkoch. Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Nein. Der Mann hat einen regelrechten Fanklub. Gal ist Kult. Nur nicht in Berlin. Es geht ihm wie die ganze Stadt. Die Bewunderung kommt von weit her. Man weiß ja, in Berlin schert sich keine Sau um Berlin. Und um Gal, den die klassische Gourmetkritik seit Jahren ignoriert. Vielleicht behagt den Herrschaften die Atmosphäre nicht. Denn das „Glass“ ist alles andere als ein gemütliches Gourmetrestaurant. Auf den ersten Blick.

Man wundert sich dann jedoch, wie schnell es im „Glass“ gemütlich wird. Und das liegt keinesfalls an irgendwelchem Interieur-Schnickschnack. Sondern ausschließlich daran, was da serviert wird. Auf Tellern und in Gläsern. Ehrlich gesagt, ich mag auch die Einrichtung bei Gal. Als hätte ich mich im Filmset von „Barbarella“ zum Essen verabredet. Und nachher Knutschen. Das ist so verdammt anders als bei Tim Raue, Daniel Achilles („Reinstoff“), Michael Kempf („Facil“), Christian Lohse („Fischers Fritz“) und allen anderen, die mir jetzt gerade nicht einfallen.

Ich war jetzt schon ein paar Mal bei Gal. Essen und Trinken. Manchmal nur zum Trinken. Weil ich von Winzern dorthin eingeladen wurde. Man ist ja wer als Captain. Winzer lieben nämlich das „Glass“. Warum, steht in einem anderen Artikel.

Der Koch, den die Winzer lieben

Und ich habe über die Weinkarte gestaunt. Auch über das, was da glasweise ausgeschenkt wird. Château d’Yquem 1994? Kein Problem. Das 50cl-Gläschen kostet 50 Euro.

Eine von Gals Leidenschaften gehört dem trockenen, gereiften Riesling. Da leuchten seine Augen, wenn er zu schwärmen beginnt. Und zu leiden, wenn er davon berichtet, wie wenig Beachtung das Thema in der Heimat des Rieslings genießt. Gal Ben Moshe: Ihr Deutschen trinkt euren Riesling zu früh!

Gesagt hat er das, als Steffen Brahner gerade ein paar Dutzend Gläser mit wunderschön gealterten Rieslingen aus dem Weingut ausschenken ließ, das er leitet: Dr. Bürklin-Wolf. Es waren Weine aus den Lagen Jesuitengarten, Ungeheuer, Pechstein, Wachenheimer Rechbächel, Hohenmorgen. Aus den Jahrgängen 1999 bis 2013. Durch die Bank glasklar im Stil, erfrischend und charaktervoll.

Lest hier mehr über Bürklin-Wolf und die Rieslingpolitik dieses Hauses, wo man lange vor allen anderen Betrieben damit begann, trockenen Langstreckenriesling zu kultivieren:

Gottesdienst mit Bürklin-Wolf

Nicht viele der wichtigen deutschen Rieslingwinzer beschäftigten sich vor 2000 mit dem Thema gereifter, trockener Riesling. Man konzentrierte sich lieber auf die süßlichen Kassenschlager. Nicht so bei Bürklin-Wolf. Dort sammelte man schon in den 90er-Jahren Erfahrung auf der trockenen Langstrecke.

Die Grundlagen für das würdige Altern beim Riesling trocken sind noch weitgehend unerforscht. Ganz sicher ausschlaggebend ist die Qualität des Weins insgesamt, also seine Extraktdichte. Ein simpler Gutsriesling reift einfach anders, als ein Großes Gewächs. Auch Säurestand und Ausbau sind wichtige Faktoren. Und das Wetter im jeweiligen Jahr. Bei Terroir und Klima kratzen sich die Experten noch am Kopf. Beides spielt natürlich auch eine Rolle. Welche genau, weiß man nicht. Und das Können des Winzers sowieso. Sein Händchen. Was das genau heißt, halten die meisten geheim.

Meine schönen Trinkerlebnisse mit reifem, trockenen Riesling beginnen im Jahr 7 nach der Lese. Die pralle Frucht hat sich dann zurückgezogen und Reifenoten machen sich breit: Rauch, Honig, mürber Apfel, Malz, Nüsse und mehr. Wahrscheinlich kein anderes Weingut auf der ganzen Welt verfügt über eine derart breite Palette von Riesling-Spitzenlagen wie Bürklin-Wolf. Und Könner, die aus den Trauben derartig klare Weine keltern. Gal liebt das Weingut: Bürklin-Wolf ist mein Favorit bei gereiftem und trockenen Riesling. Die haben ein geniales Terroir und ballern die Weine nicht zu früh raus.

Gibt es noch etwas Wichtiges, das du uns sagen möchtest, Gal? Schaut nicht so sehr auf die Jahrgänge, die Zeit verwischt alles.

Gal erwähnt 2003, ein Katastrophenjahr für Rieslingwinzer. Der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Im Rheingau musste man sogar Stroh auf den Weinbergen verteilen, damit der Boden nicht austrocknet. Und heute? Diese Weine sind jetzt fantastisch. Sie schmecken immer noch frisch.

Zum Schluss gibt uns Gal noch seine Tipps auf den Weg, welche trockenen Rieslingjahrgänge zu welchem Zeitpunkt fällig sind: 2001 bis 2003, 2005 und 2006 würde ich jetzt austrinken. Die sind auf dem Höhepunkt. 2004 sollte noch liegenbleiben. 2007 bis 2009 kann man aufmachen oder liegenlassen, beides ist ok.

 

Datum: 12.9.2017 (Update 10.6.2020)
 

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