Erster: Ich lese es auch nicht für dich vor, sondern für mich. Wenn man seine eigene Stimme sprechen hört, fallen Grammatikfehler viel schneller auf, als beim stummen Durchlesen.
Captain: Aha.
Erster: Schon mal was von St. Antony probiert?
Captain: Nein. Aber ein paar Weine von Würtz kenne ich. Aus der Kollektion, die er für Balthasar Ress gemacht hat, wo er vorher war. Ganz ok, aber nichts Besonderes.
Der Erste liest weiter vor: Ein wichtiges Standbein des Hauses sind Roséweine. Das pinke Getränk liegt im Trend und lässt die Kassen klingeln.
Im Frühling des vergangenen Jahres, also mitten im Lockdown #1, lancierte St. Antony den Love & Hope Rosé und verkündete folgendes: „Das rheinhessische VDP.Weingut St. Antony kooperiert mit Banksy – einem der wohl bekanntesten Künstler der Gegenwart. Gemeinsam präsentieren sie den Love & Hope Rosé. Das Etikett des Weins zeigt das berühmte Balloon Girl von Banksy.“
Schon damals fand der Captain (mag neben Wein auch Kunst) die Nachricht befremdlich.
Der radikale und gesellschaftskritische Guerilla-Künstler Banksy auf einem Rosé-Etikett, dem globalen Lieblingsgetränk von Wohlstandsmenschen? Das passt nicht zusammen.
Aber es gab andere Aufgaben zu erledigen und so kümmerte sich der Captain nicht weiter darum. Bis er vor wenigen Tagen beim Flanieren durchs Netz an einem Artikel über das Kunstwerk Girl With Balloon hängenblieb, das sich während einer Auktion vor den Augen des Publikums → selbst zerstörte.
Erster: Was für eine geile Aktion, um die Perversionen des modernen Kunstmarkts zu karikieren!
Captain: Ja, der BANKSY ist wahrscheinlich eine sehr coole Socke.
Erster: Der sagte doch den berühmten Satz „Copyright is for losers!“ Meinte er das wirklich ernst?
Captain: Jetzt jedenfalls nicht mehr. Banksy hat seine Einstellung geändert und betreibt inzwischen eine Firma namens Pest Control Ltd, die Auskunft über die Authentizität von Werken gibt, die unter seinem Namen gehandelt und deren Motive für Merchandising-Zwecke genutzt werden. Pest Control ist die vom Kunstmarkt respektierte Instanz für BANKSY-Belange. Auf der → Website des Unternehmens finden sich auch klare Aussagen über das Merchandising für Wein. Schau mal, was da steht…
Der Captain liest vor: „Banksy doesn’t do merchandise. So weirdly, if something looks like a ‘Banksy product’ it almost certainly isn’t. The closest Banksy gets to making products are the small runs of weird ideas sold by GDP™. So whilst it’s admittedly quite funny that one nutter in Norway legally changed their name to ‘Banksy’ in order to get paid to endorse wine, you should treat any such products with scepticism. Heard of the phrase ‘in vino veritas’? Doesn’t apply here.“
Erster: Von deinem Englisch kann man deutlich besser ableiten, woher du ursprünglich kommst, als von deinem Deutsch. Aus den Südalpen.
Captain: Ja, bei uns sagen sie Karawanken-Englischdazu. Nach der Bergkette, die Slowenien von Österreich trennt. Schau mal, ich habe denen von Pest Control eine E-Mail geschrieben. Dort gibt es sogar eine Presse-Abteilung, die sofort antwortet.
Erster: Ogott! Und was sagt Würtz dazu?
Captain: Das fragte ich mich auch und dann ihn, worauf sich ein Hin und Her innerhalb einer E-Mail-Kaskade mit folgenden Kernaussagen ergab:
Der Erste scrollt durch den E-Mail-Verlauf und sagt: Da schau her! Der Würtz hat offensichtlich die teure Rechtsanwaltskanzlei Nesselhauf engagiert, denn der Name eines Anwalts dieser law firm steht im CC-Reiter seiner E-Mails. Das kennen wir ja schon…
Captain: Ja, das ist ein beliebtes Mittel, um Berichterstatter einzuschüchtern. Ich kenne die Kanzlei Nesselhauf, die haben schon den Schröder vertreten, als der die Berichterstattung über sein angeblich gefärbtes Haupthaar weghaben wollte. Und VW-Chef Piech, weil jemand schrieb, er trüge grelle Krawatten mit Jagdmotiven.
Erster: Nein, das war Rechtsanwalt Prinz.
Captain: Na, egal. Tatsache ist, dass diese Presse-Anwälte sich oft auf Nebensächlichkeiten konzentrieren, wenn sie an die hard facts nicht rankommen.
Erster: Hast du nicht wegen diesem Kunstheini Torsten Bröhan eine Schlappe vor der Hamburger Pressekammer kassiert, als Nesselhauf die Gegenseite vertrat?
Captain: Ja, weil der das Gericht in einer Eidesstattlichen Versicherung belog, um einen lästigen Artikel zu beseitigen. Das hat zunächst sogar geklappt, fiel diesem → Betrüger danach jedoch krachend auf die Füße. Das hat der Saubartl jetzt davon. Am Ende setzt sich immer die Wahrheit durch. Man darf halt nicht locker lassen.
Erster: Du mit deinem Robin-Hood-Komplex! Jetzt mal Butter bei die Fische: Log Würtz, als er die Meldung über eine Zusammenarbeit mit dem berühmten Street-Art-Künstler BANKSY verbreiten ließ?
Captain: Ja. Wenn das Statement von Pest Control glaubwürdig ist, dann schon.
Erster: Na servus!
Captain: In der Pressemitteilung von St. Antony steht: „Der Love & Hope Rosé ist bereits das zweite Weinprojekt mit dem Balloon Girl. Bereits im letzten Jahr wurde in Norwegen ein sizilianischer Rotwein aus dem Hause Tenute Orestiadi vorgestellt. In einem Statement bestätigt der Künstler, dass es diesen BANKSY Rotwein gäbe. Der Love & Hope Rosé sei allerdings sein persönlicher Favorit.“
ABER: Auf der Website Pest Control steht unter dem Banksy-Rotwein aus Sizilien: FAKE! Und zwar → hier.
Erster: Du, Captain. Ich habe eine irre Idee. Kann es sein, dass Dirk Würtz ganz dreist mit einem anderen Banksy Verträge geschlossen hat, um seinen Wein unter dem Namen des weltberühmten Künstlers zu vermarkten?
Captain: Naja, Pest Control berichtet über einen „durchgeknallten Norweger“, der sich auf legalem Weg den Nachnamen Banksy angeeignet hat, um ihn zu versilbern. Medien schreiben über einen → arbeitslosen Mann namens Lawrence, der den Namen Banksy trägt und Sohn eines bekannten Dichters sei. Ich fragte Würtz schriftlich: Gibt es eine Vereinbarung mit dem Norweger LAWRENCE BANKSY, um den Roséwein Love & Hope als Banksy-Wein zu vermarkten?
Erster: Und wie lautet die Antwort?
Captain: Schweigen.
Erster: Das ist auch eine Antwort. Und wie kam das berühmte „Balloon-Girl“-Motiv auf die St. Antony-Flaschen?
Captain: 2020 verlor BANKSY gegen den Postkartenverlag Full Colour Black ein Verfahren um Markenrechte für das Motiv „Flower Thrower“, weil die EU-Markenrechtsbehörde EUIPO der Meinung ist, dass ein anonymer Schöpfer → keine Ansprüche erheben kann. Seither steht im Raum, ob der echte Künstler Banksy über die Nutzung seiner eigenen Motive bestimmen darf.
Wie dreist Würtz das Märchen einer Zusammenarbeit mit dem Weltstar Banksy zu untermauern versucht, ohne konkret auszusprechen, welcher Banksy sein Partner ist, zeigt das Video einer Online-Weinprobe, an der auch der Chefredakteur der Tageszeitung „Hamburger Abendblatt“ Lars Haider teilnahm.
Als Würtz minutenlang über die tolle Zusammenarbeit mit Banksy rumsülzt, macht der erfahrene Journalist die einzige richtige Bemerkung: „Vielleicht ist es gar nicht Banksy!“
Zu sehen und zu hören in Minute 11:18.
Nach einer kurzen Schrecksekunde hält Würtz protzig dagegen: „Ich kann dir sagen, wenn du so ein Projekt machst, hast du jede Woche ungefähr 10 bis 15 E-Mails von allen Banksys dieser Welt…“
Laut Hamburger Abendblatt verkaufte sich der Love & Hope Rosé von St. Antony bereits kurz nach der Markteinführung über 50.000 Mal. Zum Preis von ca. 10 Euro pro Flasche.
Bis heute spielt das Projekt Geld ein, das Würtz seinen Kunden aus der Tasche zieht, indem er den Eindruck erweckt, mit einem Superstar der Kunstwelt gemeinsame Sache zu machen.
Er gibt sogar zu, dass ohne Banksy und das Girl-with-Balloon-Motiv sich niemand für diesen Wein interessiert hätte.
Frage im Video an Würtz: Wieviel hat das Etikett gebracht und wieviel der Wein?
Antwort von Würtz: Das Etikett hat 99,9% gebracht.
Dirk Würtz über die Verwendung des Banksy-Motivs: Wir dürfen das benutzen. Ich hab das jetzt nicht einfach so draufgeklebt, weil ich dachte, das mach ich jetzt mal, weil den Prozess gewinnen wir, sondern wir dürfen das tatsächlich benutzen.
Frage im Video: Warum dürft ihr das?
Antwort von Würtz: Das ist eine lange Geschichte und, äh, ich muss immer aufpassen, normalerweise müsste jetzt mein lieber Freund und PR-Stratege hier sitzen, der dann genau sagt, was ich sagen darf und was nicht. Das ist halt ein gemeinsames Projekt und das war so ein Zufall wie das Leben so spielt, manchmal gibt’s halt Zufälle, die kann man sich nicht erträumen und aufgrund eines solchen Zufalles wurde ich letztes Jahr gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, für ein Projekt zur Verfügung zu stehen mit einem berühmten Künstler. So ging das los. Irgendwo muss der Scheiß ja hin. Künstler ist immer gut und wenn es hilft, dann raus damit.
Frage an Würtz: Hast du Banksy mal getroffen oder irgendwo gesehen?
Antwort von Würtz: Dazu darf ich, kann ich nix sagen, sorry.
Würtz über das, was nach der Vorstellung des Weins passierte: Es hat gemacht WUMM! Dann ist ein Tsunami über uns gerollt in nahezu biblischem Ausmaß. Die Nachfrage ist unvorstellbar.
Erster: Mal sehen, wie lange dieses Video noch online ist. Hast du dir eine Sicherheitskopie gezogen?
Captain: Na klar! Wenn es zum Prozess kommt, muss der Richter das sehen.
Erster: Oder die Richterin.
Captain: Jaja.
Erster: Offenbar macht die Rechtslage das künstlerische Werk von Banksy zum El Dorado für Glücksritter und Schwindler, welche die legalen Grenzen bis zum Äußersten ausreizen, um daraus Profit zu ziehen.
Captain: Gemein.
Erster: Hat die Praxis des legalen Schwindels im Reich des vermögenden Winzers Detlev Meyer vielleicht sogar System?
Captain: Schon möglich. Erinnerst du dich nicht? Im vergangenen Jahr deckte der Captain Bilanztricksereien bei der HAWESKO HOLDING AG auf, wo Vorstandschef Thorsten Hermelink den Konzern → digitaler frisierte, als er es war. Alles erlaubt.
Erster: Aber dennoch eine krasse Täuschung.
Captain: Ich geh schon mal den Briefkasten leermachen, damit das Kuvert vom Nesselhauf da reinpasst. Der verschickt immer so dicke Akten. Wahrscheinlich, damit man Angst bekommt. Ich bin froh, dass du nicht mehr rumschreist.
Erster: Ich auch. Was steht denn da im Papierkübel, ist das etwa Champagner?
Captain: Mist.
Guten Morgen,
ich freue mich immer wieder, wenn ich von euch Berichte dieser Art lesen darf, die diese biblischen Ausmaße aufweisen und letztlich doch die Geschichte von des Kaisers neue Kleider von H. C. Anderson aufweist. Siehe Wikipedia/Des_Kaisers_neue_Kleider….
Zum Hintergrund dieses Märchens: Die Erzählung wird gelegentlich als Beispiel angeführt, um Leichtgläubigkeit und die unkritische Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten zu kritisieren – vergleichbar mit Kleider machen Leute und dem Hauptmann von Köpenick …..
Kurz, wers glaubt, ist selbst schuld.
Danke für euren Beitrag, den ich heute früh nur mit Kaffee ohne Schuss genossen habe.
Hallo Captain,
ich habe in den 90ern und 00ern eine Zeit lang in der Hafenstadt Bristol gelebt. Als Weltumsegler kennst du sie sicher gut. Und du weißt natürlich auch, dass Banksy von dort kommt.
Ich habe dann ein Buch geschrieben über die Musikszene von Bristol. Da gab es so diese Vermischung von HipHop, Jazz und Punk. Die Leute nannten es Trip Hop. Massive Attack, Tricky und so. Mein Buch kostete anfangs 15 Euro, heute ist es auf Amazon für 199 Euro zu haben. Ich schätze den Händler als nicht besonders vertrauenswürdig ein, aber wow, was für eine Wertsteigerung! Und nur falls du es kaufen willst, hier der Link:
https://www.amazon.de/Stadt-Sound-Ethnographische-Kulturwissenschaftlich-ethnische-Alltagsgeschichte/dp/3825897001
Schon damals haben wir über Banksy gelästert. Während wir Marihuana zum Aperitif und Ecstasy mit Drum’n’Bass zum Hauptgang hatten, trank er nur Rosé und sprühte fröhlich rum. Was für eine Lusche. In Wirklichkeit ist er gar kein „geheimnisumwobener Künstler“ (Falstaff), sondern es wollte schlichtweg niemand etwas mit diesem Rosé-Freak zu tun haben.
Ein bisschen tat mir Banksy leid. Umso mehr hatte es mich gefreut zu hören, dass der einsame Banksy mit dem großen Dirk Würtz einen Kumpel für ein Rosé-Projekt fand. Endlich mal einer, der seinen Weingeschmack ernst nimmt! Vielleicht war das ja sogar „the beginning of a great friendship“. Dachte ich zumindest. Und nun kommst du mit diesem Bericht, der mich wirklich traurig und sprachlos hinterlässt …
… Und nun, wo ich die Sprache wiedergefunden habe. Meinen Respekt, Captain, für diesen brillant verfassten Artikel. Das ist kritischer und investigativer Weinjournalismus von der besten Sorte!