Das ist die Topmeldung aus der Weinwirtschaft in diesem Frühling, dessen Schlagzeilen ansonsten der Virus diktiert: Van-Volxem-Winzer Roman Niewodniczanski macht gemeinsame Sache mit dem Discount-Riesen Lidl und verkauft Riesling für 9 Euro in den Filialen der Kette. So viel Geld für eine Flasche Supermarktwein ist Luxus pur. Nicht mal Roman selbst weiß, ob das Experiment klappt.
Seit zwei Wochen gibt es den Riesling Van Volxem & Friends Handverlesen in den Regalen, aber kein Weinkritiker traut sich was zu veröffentlichen. Was ist denn da schon wieder los? Sind sich die Herren (Damen gibt’s ja fast keine in dieser Branche) zu fein dafür? Dann muss wohl der Captain wieder mal ran.
Auf der eleganten, dunkelgrünen Schlegelflasche klebt ein schwarzes Etikett mit Goldrand. Darauf zwei Hände im Matisse-Stil. Ich öffne den Drehverschluss und lasse den gelb schimmernden Saft ins Glas gluckern. Würzige Rieslingnase nach braunem Honig, fleischigem Pfirsich, Braeburn-Apfel, Kohlrabi, ein Hauch Estragon-Mineralik, alles sehr dicht und fast opulent. Im Mund zarte Viskosität und sofort Pikanz von weißem Pfeffer, viel Saftigkeit vom gelben Apfel, Grapefruit, kalter Rauch. Sehr gute Balance zwischen Frucht, Säure (die sich zurückhält) und heller Süße mit weichem Schmelz. Struktur? Eher flach wie ein Küchentuch, aber das ist hier die falsche Frage. Tiefe? Nüschte, nächstes Thema bitte. Mittelgewichtig plätschert dieser unkomplizierte Saft über den Gaumen und verfügt sich mit kräutriger Frische die Kehle hinab. Dieser Wein ist die Kopie der Kopie eines sogenannten Großen Gewächses, wie man die S-Klasse des deutschen Weinbaus nennt. Vom Original sind nur mehr die Konturen übrig, aber das genügt und ist viel mehr als bei allen anderen Weinen, die sonst in einem Discounter stehen. Ist dieser Wein seine 9 Euro wert? Ich kenne interessantere Tropfen als diesen, die sogar weniger kosten. Aber die werden es nie in einen Supermarkt schaffen, weil die abgefüllten Mengen nicht ausreichen und ihre Winzer es nicht drauf haben wie Roman Niewodniczanski, der Berater bei Ernst & Young war und die Sprache der Wirtschaft spricht. Übrigens: Lieblos und billig gemachte Weißweine verfallen bei zunehmender Wärme wie eine Kugel Zitroneneis in der Sonne. Sie schmecken dann entweder flach, brandig, nach Pappkarton oder wie alles zusammen. Der Riesling Handverlesen nicht. Er bleibt im Glas stehen, was immer Hinweis auf eine sorgfältige Machart ist, und wird ein bisschen süßer. Der Riesling Handverlesen 2019 vergor in Stahltanks zwischen 2.000 und 8.000 Liter Volumen und wurde Mitte Februar abgefüllt.
Auf der Flasche wird nur das Zugtier des Projekts genannt: Van Volxem & Friends. Wer aber sind die friends? Roman Niewodniczanski zum Captain: Zum Teil langjährige Freunde und VDP-Winzer. Ich darf nur wenige nennen. Zum Beispiel Johannes Steinmetz aus Ockfen und Alex Herrmann, der uralte Weinberge in Mehring und Schleich besitzt. Die anderen wollen im Hintergrund bleiben, weil sie Angst haben, dass die eigene Kunden keinen Wein mehr für 12 Euro einkaufen, wenn unserer 9 Euro kostet. Die Branche macht gerade eine sehr schwere Zeit durch. Der Verkauf ist am Boden. Viele wissen nicht, wie sie den Sommer finanziell überstehen sollen. Mir werden Weinberge angeboten, die vor einem halben Jahr noch das Doppelte kosteten. Insbesonders Moselwinzer mit ihrem kostenintensiven Steillagenweinbau sind jetzt gefährdet. Die Kollegen in der Pfalz sind nicht so schlimm dran.
Discounter und Wein – das geht nicht immer gut. Der Captain berichtete über den grässlichen Günther-Jauch-Wein für Aldi:
Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen deinem Premiumweingut und dieser Discounterkette? Ich habe in den letzten Monaten viel über das Konsumentenverhalten in deutschen Supermärkten gelernt. Lidl ist Europas größter Lebensmittelhändler, in Deutschland der größte Händler für Biogemüse. Sie haben mich drei Jahre gelöchert, damit ich dieses Projekt mit ihnen durchziehe. Ich war zunächst zurückhaltend. Mir geht die Marke über alles. Mein Thema ist die Renaissance des Moselweins zur alten Größe und ich hatte Zweifel, ob ein Discounter dabei hilfreich ist. Aber ich änderte meine Meinung.
Was genau bewog dich dazu? Wir beide – du mit CaptainCork und ich mit Van Volxem – sprechen einen verschwindend kleinen Ausschnitt unserer Gesellschaft an. Und seien wir ehrlich: Diese Mosel- und Saar-Renaissance wird nur von einer sehr kleinen Gruppe wahrgenommen. Das sind Leute, die sich mit Wein beschäftigen und den Unterschied zwischen Moselwein und einem Elsässer kennen. Die Anzahl derer, die wissen, was ein Großes Gewächs ist, liegt vielleicht bei ein paar Zehntausend. Aber zu Lidl gehen Millionen. Die will ich erreichen und sie an die guten, modernen Moselweine heranführen.
Glaubst du, dass viele Menschen zugreifen? 9 Euro zu nehmen ist sportlich. Ich weiß nicht, ob das gelingt. Aber ich kann und will nicht billig produzieren. Ich wollte das Thema Handarbeit und Steillage in den Mittelpunkt stellen. Beides kostet Geld.
So stellt der Captain Winzer im Internet vor und hilft bim Online-Verkauf von Weinen:
Was ist bei diesem Wein anders als bei anderen Supermarktweinen? Die Trauben wuchsen teilweise in Toplagen, zum Beispiel im Ockfener Bockstein und Piesporter Goldtröpchen. Sie kommen aus Steillagen, wurden von Hand gelesen und im Weingut manuell sortiert. Deshalb konnten wir auf Schönungsmittel wie → Bentonit, → Enzyme und andere Zusätze verzichten, die standardmäßig in Industrieweine reingerührt werden. Mein Wein ist sogar vegan. Andere Weine in Supermärkten tragen die Namen renommierter Weingüter, werden aber in Wahrheit aus Trauben von Massenproduzenten gekeltert und mit chemischen Tricks aufgehübscht. Eine Menge Leute beobachten dieses Projekt. Nächste Woche beginnt eine Werbekampagne. Lidl will Weinkompetenz demonstrieren. Die suchten einen Anbieter, der in der Lage ist, konstant hohe Qualität zu liefern.
Was macht ihr derzeit im Weingut, um die Krise zu überstehen? Ich kaufte neulich drei neue Raupen und zwei Schlepper. Wir haben den Geisberg mit 3,5 Hektar neu bepflanzt. Wir geben gerade Vollgas. Man kann in dieser Branche Geld verbrennen wie nix. Und das während der wichtige Gastronomie-Markt weggebrochen ist. Fast alle meine Exportkunden beliefern zu großen Teilen die Gastronomie. Wir hoffen, dass die Krise bald wieder vorbei ist. Meine neue Website mit Online-Shop ist seit zwei Tagen online. Englische, russische und japanische Seiten folgen. Die meisten VDP-Kollegen rüsten im Internet gerade mächtig auf.
Wer genau ist Winzer Roman Niewodniczanski und was treibt ihn an? Der Captain porträtierte den Zwei-Meter-Mann in seinem längsten Artikel. Der eigenwillige Unternehmer aus der Bitburger-Bier-Dynastie ist ja auch ein langer Mensch: