Österreich ist eine Nation großer Weintrinker. Nirgendwo sonst in Europa, ausgenommen Frankreich, ist man so stolz auf den önologischen und wirtschaftlichen Erfolg seiner Winzer.
Und nirgendwo sonst, außer Italien, wird nach Büroschluss so gerne in gemütlicher Runde eine Flasche Wein aufgemacht. Genau, wie es das Klischee vorsieht.
Jahrelang kam kein Wein von Bedeutung aus Österreich – ausgenommen einige Veltliner und Rieslinge aus der pittoresken Wachau und einige wenige Blaufränkische (Lemberger) aus dem Burgenland, die nur einem kleinen Kreis bekannt waren. Sonst exportierte der sonnige Südosten der Alpenrepublik nur jede Menge mehr oder minder vergnüglicher Zechweine. Masse statt Klasse.
Das änderte sich in den letzten 25 Jahren radikal. Nachdem die österreichischen Winzer zunächst ihr Heil im Anbau internationaler Sorten gesucht hatten (Cabernet, Merlot, Chardonnay), erkannten sie letztlich zum Glück das Potential der sträflich zur Seite geschobenen einheimischen Sorten, allen voran Grüner Veltliner und Blaufränkisch. Auch der fruchtige und rustikale Zweigelt kann extrem erfreuliche Weine abgeben. Wenn er die Hand nicht beißt, die ihn füttert.
In dieser Rückbesinnung auf das Ursprüngliche im Weinbau kommt ein bedeutender österreichischer Landstrich selten zur Sprache. Die sogenannte Thermenregion, wenige Minuten südlich von Wien, findet selbst auf den Weinkarten der Hauptstadt nur mit Hilfe trinkerfahrener Sommeliers einen adäquaten Platz. Das hat vier Gründe.
Erstens ist die Anbaufläche sehr beschränkt. Zweitens unterhalten viele Betriebe eigene Gaststätten, so genannte Heurige und Buschenschanken und haben kaum Wein für die Flaschenfüllung. Drittens hält sich die Anzahl der in den Verkauf gebrachten Flaschen in Grenzen. Und viertens gibt es generell zu wenige engagierte Winzer in dieser eigentlich extrem bevorzugten Gegend.
Denn in der Thermenregion sind die Böden durchschnittlich zwei bis drei Grad wärmer als in anderen österreichischen Weinregionen. Das hilft den Trauben früher auszureifen. Und zusätzlich hat die sanft-hügelige Region einen bislang wenig bekannten Schatz zu bieten – zwei nahezu unbekannte, aromatisch-würzige Weißweinsorten namens Zierfandler und Rotgipfler.
Wer bei Zierfandler jetzt an die rote, meist in Kalifornien angebaute Sorte Zinfandel denkt, der liegt nicht zwingend falsch. Gut möglich, dass Auswanderer den Namen mitgenommen und interpretiert haben. Die Traube aber ließen sie in der Thermenregion zurück.
Den Zierfandler lasse ich hier beiseite und konzentriere mich auf die Sorte Rotgipfler.
Reinsortig ausgebaut und vollreif gelesen fällt der Rotgipfler durch seine frische und anregende Säure auf und kann sogar ein paar Jahre in der Flasche reifen. Vereinzelt finden sich noch Pflanzungen in Slowenien und Kroatien.
Ob der Rotgipfler – wie oft behauptet – der bessere Veltliner ist? Ich weiß es nicht. Meiner Meinung nach hat der Rotgipfler mehr Facetten, viele Facetten, die der Veltliner gar nicht berührt. Dass er mit dem Veltliner überhaupt verwandt ist, merkt man erst, wenn man sich mit der Nähe beider Sorten befasst. So ist „Weißgipfler“ ein altes, heute vergessenes Synonym für den Grünen Veltliner. Abgesehen davon teilen sich die beiden Rebsorten einen Elternteil, den Traminer. Daraus kann man eine gewisse Nähe ableiten. Aber ein Kollege im Geschmack? Es kommt darauf an, ob der Winzer die Nähe anstrebt.
Der Rotgipfler hat einen hocharomatischen Duft. Das ist seine Charakteristik. Und die macht ihn dem Veltliner ähnlich. Veltliner und Rotgipfler erkennt man sofort, wenn man die Nase ins Glas steckt. Wegen seines mächtigen Körpers und dem oft sehr hohen Alkoholgehalt eignet sich der Rotgipfler besonders gut zum Ausbau in Holzfässern. Ganz nach burgundischem Vorbild. Und er tendiert zu einer gewissen rustikalen Derbheit. Das lässt ihn wieder mit Rotweinen in Konkurrenz treten. Eigentlich ist der Rotgipfler ein Allrounder.
Von der Eleganz des Rotgipflers erzählt uns Karl Alpharts Rodauner.
Alphart ist Rotgipfler-Spezialist und Winzer in Traiskirchen am Rande des Wienerwalds. Sein Rotgipfler wächst auf Braunerde und Muschelkalk. Alphart keltert sechs verschiedene Interpretationen aus der Sorte. Das sollte seinen Enthusiasmus genügend unter Beweis stellen.
Da gibt es die Lagencuvée Vom Berg, die man wohl als den einfachsten Sortenvertreter bezeichnen kann. Dann den Rotgipfler Rodauner, der Terroirwein, den wir gleich näher besprechen. Und dann noch den Rotgipfler Rodauner Top Selektion und (wenn es der Jahrgang zulässt) als Krone den Rotgipfler Rodauner Pur, in den nur reifste und komplett botrytisfreie Trauben kommen. Eine Spätlese und eine Beerenauslese runden Alpharts Rotgipfler-Sortiment ab.
Doch nun zum Rodauner.
Im Glas ein reifes, fast schon dunkles Gelb. In der Nase zuerst eine klare und konzentrierte Mangofrucht. Dahinter auch dezent Vanille und ein tropischer Fruchtsalat aus Melonen, Papaya und Litschi. Aber auch ein paar ganz banale Birnen. Eine Ahnung von Holz, frisch geschnittenes Holz. Neben dem gefällten Baum steht ein Waldarbeiter, der sich gerade aus frischem Tabak eine Zigarette dreht.
Im Mund sehr mollig und viel Extrakt. Auf der Zunge auch ein paar frische Feigen. Sehr edel und doch auch rustikal üppig. Als könne er beide Positionen einnehmen. Auffällig auch die pikante grüne Säure. Und seine rauchige, betont salzige Mineralik. Was für ein gelungener Wein! Wie prächtig und lang sein druckvoller Abgang. Bevor mich das Schwärmen übermannt, stelle ich den Rest in den Kühlschrank. So schmeckt ein perfekter Alltagswein.
Der Rotgipfler Rodauner wurde zum Teil in großen, kaum spürbaren Holzfässern ausgebaut und lag ein halbes Jahr auf der Feinhefe. Jahr für Jahr zeichnet ihn – bei veranlagter Üppigkeit – eine feine und prickelnde Mineralik aus. Und er besitzt eine unerkannte Langlebigkeit. Unerkannt deswegen, weil ihn die Leute viel zu früh trinken. Und es auch nicht genügend Flaschen gibt. Der Rotgipfler Rodauner kommt zu wenig unter die Menschen.