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Verdammtes deutsches Zucker-Schwänzchen

Ist da was süß?
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Unserem Weintester Thomas C. Golenia reißt der Geduldsfaden. Schon länger beobachtet er bei deutschem Weißwein den Trend zum süßlichen Geschmack, ohne dass auf die Bezeichnung "trocken" verzichtet wird. Das ist verlogen, wird aber von Winzern und Händlern in Kauf genommen.
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Trocken ist nicht gleich trocken. Was deutsche Winzer darunter verstehen, unterscheidet sich von dem, was die restliche Welt darunter versteht. Es ist ein deutscher Sonderweg, der mir gegen den Strich geht, weil er verlogen ist.

Zunächst erklärt: Was ist trockener Wein?

Wenn wir von »trocken« reden ist das eine sog. Geschmacksangabe, die gesetzlich fest definiert ist, nämlich nach der Menge des Zuckers im Wein. Liegt der Zucker pro Liter unterhalb von 9 Gramm, darf der Wein als »trocken« verkauft werden.

Doch obwohl die Mehrheit trockene Weißweine verlangt, sind die Deutschen keine echten Trockentrinker. Das ist paradox.

Eigentlich will der deutsche Weinfreund süffige Frucht und bloß keine Säure. Was verlangt wird, passt eher zum Geschmacksbild der molligen, halbtrockenen Weine. Nur ist das Attribut »halbtrocken« seit den 80er Jahren ein gebranntes Kind. Weiß- und Rotweine, die man als feinherb oder als halbtrocken bezeichnet, werden von modernen Weintrinkern gemieden wie die Pest.

Das war nicht immer so. Der Wohlstandsbürger am Nierentischchen der Nachkriegszeit goss das pappsüße Zeug mit Vorliebe in sich hinein. Römerkelch und muffige Drosselgassenfolklore waren die leutselige Ästhetik der Stunde. Aber das ist lange her und heute genauso out wie die damalige fette, ungesunde Kost. Damit will der gesundheitsbewusste Deutsche nichts mehr zu tun haben. Jetzt isst man leicht, grün und gesund und verlangt, na logo, „trockenen“ Weißwein. Das hatte man in den 80ern im Italienurlaub gelernt und mit über die Alpen gebracht. Das war mondän und zeitgemäß. Fortan wurde Omas süßes Zeug aus den braunen Schlegelflaschen mit Frakturschrift-Etiketten gemieden.

Aber trocken ist nicht gleich trocken! Obwohl bis heute ein Ende der Trockenwelle nicht abzusehen ist, müssen echte trockene Weißweine aus Deutschland mit der Lupe gesucht werden.

Mit »echt« sind jene Weißweine gemeint, die unter 4 Gramm Restzucker enthalten. Sie wirken kantiger, lassen die Säure unverdeckter erscheinen und wirken edler.

Die großen, noblen Weißweine der Welt werden so ausgebaut und Franzosen wie Italiener würden nicht im Traum daran denken, teutonisch-süßelnde, pseudotrockene Weißweine in ihre Keller zu legen. Nur in Deutschland sieht das anders aus. Wer hier auf Nummer sicher gehen will und elegante knochentrockene Weißweine will, kauft stilbewusst die französischen Klassiker.

Den Trend zum saftigen Zuckerschwänzchen beobachte ich schon länger bei deutschen Weißweinen. Sie werden bewusst hochgefahren bis an die Grenze von 9 Gramm Restzucker.

“Darf es noch ein, zwei Gramm mehr sein?” scheint heute das gängige Motto unter Deutschlands Winzern zu sein. Bis halt zu eben jenen 9 Gramm, dann ist Schluss mit lustig! Es ist die rote Linie, dahinter beginnt das halbtrockene Reich von Mordor: Vermintes Terrain und schwer zu verkaufen, es liegt wie Blei in den Regalen. “Halbtrocken” schreibt kein Winzer freiwillig aufs Etikett – es wird höchstens mit Kalkül verschwiegen. Deswegen gilt es, das Überschreiten dieser Linie tunlichst zu unterlassen. „Die Kundschaft will das so!“, vernimmt man dann vom Handel und sie alle tragen zum Spielchen mit dem Ausreizen der trockenen Geschmacksgrenze bei. Restzucker bis zur Grenze des Erlaubten und trotzdem gesetzlich trocken sein – moderne Kellertechnik macht das möglich. Ich nenne das Geschmacksdesign.

Doch was ist falsch an den vielen fruchtig-saftigen, deutschen Weißweinen, die zwar nicht knochentrocken, dafür aber wunderbar süffig sind und sich zum Solo-Trinken eignen?

Ja, was ist daran so verwerflich?

Die Weine sind es jedenfalls nicht! Jeder Wein hat seine Berechtigung. Punkt.

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Verwerflich finde ich die kalkulierte Verlogenheit von Handel, Erzeugern und Gesetzgebern, die Weine unter dem Label »trocken« an den Endverbraucher bringen, obwohl die alles andere als trocken schmecken. Ihnen eigen ist ein meist undefinierbarer Zwittergeschmack, der weder knochentrocken noch edelsüß ist, wie man das beispielsweise von Trockenbeerenauslesen kennt.

Nichts Ganzes und nichts Halbes. Eher der Geschmack von Kinderlimonade. Dezent süßelnd, aber nicht zu viel. Solche Grauzonen kaschieren die Feinheiten, die Bodentypizitäten, machen die Weißweine gefällig, manchmal sogar kitschig.

Ja, Ausnahmen gibt es, aber die sind leider nicht die Regel.

Das ehrwürdige Label “trocken” wird durch solch biederes Gesüßel jedenfalls besudelt, wo es Klarheit schaffen sollte. Deshalb muss man strengere Grenzen ziehen, wenn nicht gesetzlich, dann freiwillig. Die Linie von 9 Gramm ist jedenfalls zu hoch angesetzt. Ich sage: runter vom Zucker, wenn »trocken« draufstehen soll!

Um mein erhitztes Gemüt abzukühlen, mache ich mir jetzt einen mördertrockenen Silvaner auf. Von einem Weingut, dessen Namen schon alles sagt: Trockene Schmitts.

 

Datum: 20.2.2018
 

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