Manchmal, in meiner manchmal etwas eintönigen Welt des Weinverkosters, manchmal kommt so eine Flasche auf den Tisch, von der man weiß, es wird eine gute Flasche sein.
Vielleicht sogar eine sehr gute.
Und dann, der Wein wird geöffnet, kommt in die Karaffe, damit er schnell etwas Luft bekommt, und dann ist es kein guter, kein sehr guter, sondern ein sensationeller Wein. Wie gestern.
Gestern saß der Captain mit einem der besten Feinkosthändler der Hauptstadt in einer schummrigen Weinkneipe, die einer dringenden Renovierung bedarf. Das Lokal heißt „Weinstein“ und ist Berliner Weinfreunden wohlbekannt.
Die Weinkarte ist endlos lang und hat auch ältere Jahrgänge gelistet. Darunter einige Ikonen der deutschen Rieslingkunst nach 1990. Für den Captain Grund genug, immer wieder herzukommen.
Wenn die Berliner schon nichts zusammenkriegen, keinen Flughafen, keine S-Bahn, keine Baustelle, die fertig wird; Essen und Trinken bekommen sie zusammen.
Und feiern. Das können sie auch. Also hat der Captain eine seltene Flasche geordert, den Riesling Morstein von Philipp Wittmann. Der Tropfen hatte bereits ein paar Jahre auf dem Buckel, war also angemessen gereift.
Das Weingut Wittmann ist einer der Pioniere in Rheinhessen, die diese Massenweinregion auch als Herstellungsfläche individueller Weine bekannt machte.
Wer nun glaubt, Rheinhessen sei so schön wie die Mosel oder der Rheingau, der wird bei der ersten Anreise nach Westhofen enttäuscht sein. Die Hügel hier sind eher flach, die Gegend – mit Ausnahme des Roten Hangs – meistens langweilig. Doch auch das Bordelais ist landschaftlich öde. Und die toskanische Region Bolgheri erst recht. Es kommt auf Klima und Boden an. Und auf das Können der Winzer.
Das Weingut Wittmann ist seit 2004 biologisch zertifiziert und baut auf vier Lagen an: Aulerde, Brunnenhäuschen, Kirchspiel und Morstein.
Morstein ist eine sehr alte Einzellage, die sich über fast sechs Kilometer erstreckt und von tonigen Mergelböden dominiert wird, die auf Kalkfels liegen. Ideal für Riesling oder Weißburgunder.
Der Captain und sein Gast tranken den gereiften Morstein aus großen Burgundergläsern, da dieser Wein unbedingt auch Luft im Glas braucht, denn er verändert sich radikal in den ersten 20 Minuten.
In der Nase zuerst ein recht konkreter Geruch nach Löwenzahn, ein bisschen Sauerkraut, nach Rucola, nach Melisse. Darunter auch ein paar unangenehme Töne nach leicht faulendem Gemüse oder ausgebrachtem Naturdünger. Aber ein kräftiger Geruch, der bereits die Macht dieses Weins vermittelt.
Der erste Schluck schon eine Offenbarung der vielfältigen Größe: Haselnuss, Tabak, etwas Birne, dann Pfirsich und auch Avocado, etwas Kohlrabi, danach der obligate nasse Tabak. Eine gigantische Mineralität, die punktgenau landet, wie einst Jens Weißflog in Oberstdorf.
Die Nase hingegen mutiert. Nach zehn Minuten deutlich mehr Frucht. Jetzt auch Stachelbeere und Ribisel. Dahinter etwas Minze und Petersilienwurzel. Deutlich mehr nussige Anklänge, die Mineralität reduziert sich auf nasse, schwere Steine. Im Mund nun noch mehr Rasse, eine stabile Säure stützt die immer deutlich vorhandenere Birne – der Pfirsich am Rückzug.
Das Wesentliche jedoch geschieht am Gaumen, beim Schluck. Der Morstein hat eine unendliche Dichte, kräftig, kompakt, aber ohne Creme. Ein Stier, der das rote Tuch hinwegfegt und den Matador aufspießt. Dieser Wein will deinen Rachen! Und er will ihn ganz.
Und er kriegt ihn ganz. Wittmanns Riesling Morstein ist der beste Beweis, dass auch die trockenen deutschen Rieslinge zu den besten Weißweinen der Welt gehören.
Dieser nicht ganz billige Wein gehört in den Keller. Mindestens fünf Jahre lang! Widerspruch ist nicht gestattet.
Wehe, wer den 20011er jetzt schon öffnet … Der hat die Flasche nämlich geklaut. Der Wein wird erst im September ausgeliefert, wie es sich für ein GG gehört.
Der Morstein GG 07 ist eine Bombe. Dieser Extrakt. Seit Jahren nichts besseres im trockenen Bereich getrunken. Und dazu der verträgliche Preis. Wo auf der Welt bekommt man mehr Gegenwert für 30 Euronen bei vergleichbarer Qualität?
Hmm.. jetzt bekomme ich Lust den Weinschrank zu durchforsten, da müssten u.a. noch zwei Flaschen vom 07er liegen. Im Heimatkeller liegen auch noch ein paar Flaschen. Beide Bestände wollte ich eigentlich nicht vor 2014 antasten. Aber der euphorische Bericht des Captain macht mich echt neugierig. Zumal er heute mit dem 01er Saumagen Auslese R von Koehler-Ruprecht (die seit drei Stunden geöffnet im Kühlschrank steht) einen guten Sparringpartner hätte..
Ach, ich mache mich auf die Suche..
Was mir bei Wittmann auffällt – als jemand, der die Basisweine seit etlichen Jahren trinkt, der Rest ist mir zu teuer – ist eine offensichtliche Risikovermeidungsstrategie, die harmonische Weine ohne Ecken und Kanten erzeugt. Die schmecken so ziemlich jedem (Richtung Nachbar K.P. Keller), aber sind mir entschieden zu langweilig. Leider gefällig geworden – oftmals füllig wie das äußerliche Erscheinungsbild und Auftreten des mittlerweile sehr gesetzten P.Wittmann. Schade drum.
Der Morstein 07 hat Klasse, siehe auch gestrige Probe:
http://www.domovino.de/blog/?p=83
@Gast
Also, mittlerweile gibt es viele bessere und preiswertere Weine in Rheinhessen (Riffel, Werther-Windisch, Hofmann, K. Wechsler, Seehof …) als Wittmanns Basisweine, die mir mittlerweile für die immer noch gute Qualität vergleichsweise zu teuer geworden sind.
Aber was die Spitze betrifft: Da geht hinsichtlich Komplexität, Kraft und Eleganz nichts oder kaum was drüber, und diese Weine sind, wie hier schon von einem Teilnehmer beschrieben, im internationalen Maßstab noch immer konkurrenzlos.
Und gerade der Morstein ist ja ein Wein mit deutlichen Ecken und Kannten ….