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Rudy Kurniawan: der frechste Weinfälscher

Rudy Kurniawan
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Achtung, dieser Text könnte deine Gefühle verletzen, denn er zeigt radikal, wie es hinter den Kulissen des Handels mit teuren  Sammlerweinen zugeht.
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Der Captain schreitet zum zweiten Frühstück und trinkt späten Mittagswein, der sprudelt, während er einen Langlese-Artikel von Kollege Matthias Stelzig veröffentlicht. Matthias lebt in London und berichtet von dort für Fach- und Publikumsmedien über den internationalen Weinmarkt. In diesem Beitrag geht es um Rudy Kurniawan, den berühmtesten, frechsten und erfolgreichsten Fälscher, den die Weinwelt je sah.

Und was hat der Captain im Glas? Einen noblen Schäumer aus Rheinhessen mit herrlich-zarten Nuancen, den sensiblen Riesling Brut 2016 von Louis Guntrum. Diese flaschenvergorene Delikatesse ist das perfekte Getränk, um sich genussvoll in eine spannende Geschichte zu vertiefen…

Die sandfarbene Villa im italienischen Stil liegt ganz ruhig da. Um den Natursteinkamin weht ein bisschen Morgendunst an diesem Märztag 2012. Um sechs Uhr früh ist es zu dieser Jahreszeit auch in Südkalifornien etwas klamm. Die Bewohner stört das weniger. In dem Städtchen Arcadia bei Los Angeles steht man nicht früh auf.

Es sei denn, man bekommt unerwartet Besuch. Auf den Terrazzoplatten vor dem Haus knirschen die Sohlen von Springerstiefeln. Ein FBI-Kommando pirscht sich an sein Ziel heran. Die Bude ist umstellt. Bevor der Rammbock durch die schwere Holztür kracht, wird filmreif noch mal geklingelt. Und siehe da, der Hausherr öffnet persönlich.

Für eine Rolle als Mafioso oder Narco-Boss taugt die Gestalt, die da verschlafen vor den Beamten steht, allerdings wenig. Rudy Kurniawan ist ein schmächtiges Kerlchen mit zurückgegelten Haaren und Drahtbrille. Leinwandtauglich ist immerhin der Morgenmantel aus roter Seide, in dem er dem Einsatzkommando im Kampfanzug die Tür aufmacht.

Im Haus finden die Polizisten, was sie suchen. In einem Nebenraum der Küche stapeln sich 18.000 ausgedruckte Etiketten von Cheval Blanc, Mouton-Rothschild, Latour, La Mission Haut-Brion, Le Pin und sogar Screaming Eagle aus Kalifornien. Von der → Domaine de la Romanée-Conti liegen verschiedene Jahrgänge des 20. Jahrhunderts bereit, von → Château Pétrus Etiketten mit den Jahreszahlen 1945, 1947, 1950, 1959 und 1961. Jeder Jahrgang, jedes Château ist eine Legende.

Im Waschbecken unter dem mit Folie blickdicht verklebten Küchenfenster schwappt noch eine braune Flüssigkeit wie Tee, in der Rudy die Etiketten künstlich alterte. Gebrauchte Flaschen hat er reichlich, dazu Korken, Handstempel mit Jahrgangszahlen, Staniolkapseln, Zangen, Trichter, was man so braucht. Gerätschaften, mit denen man Korken unverletzt ziehen und auch wieder in den Flaschenhals stecken kann, sind einsatzbereit. Auch ein Rechner steht rum.

Staatsanwalt Jason Hernandez nennt später Rudys Computer einen virtuellen Geldautomaten, der tausende Dollars in Form von Weinetiketten ausdruckte. Es finden sich Rechnungen für Siegelwachs in den Farben Knallrot, Waldgrün, Burgunderrot und Schwarz. Der unschuldige Garten Eden des mythischen Arkadien war in Arcadia eine florierende Fälscherwerkstatt.

Wer war der kleine Mann, der mitten in der Nobel-Spießigkeit von bewachten Wohneinheiten für Reiche solche Sachen machte? Rudy Kurniawan kam Mitte der 1990er-Jahre mit einem Studenten-Visum aus Indonesien in die USA. So richtig reingehängt hat er sich wohl nicht. Von einem Uni-Abschluss ist jedenfalls nichts bekannt. Auch sein Antrag auf politisches Asyl fiel durch. Kurniawan hätte das Land verlassen müssen. Hat er aber nicht. Stattdessen beantragte er später in Kalifornien zwei Mal eine Lizenz zum Alkoholverkauf, der in den USA streng geregelt ist – und bekam sie.

Als sein Schlüsselerlebnis für den Eintritt in die wunderbare Welt der Superweine bezeichnete er selbst ein Dinner 1999, als er in einem Restaurant eine Flasche Opus One für 300 Dollar orderte. Da ihm seine stinkreichen Eltern angeblich jeden Monat eine Million Dollar Taschengeld überwiesen, kaufte er sich am nächsten Tag jeden erhältlichen Jahrgang des dazumal teuersten kalifornischen Weins zum Nachverkosten. Der höfliche Studi schlug bald bei edlen Raritäten-Verkostungen auf und ersteigerte auf Auktionen fleißig alte Schätzchen, die er zu jeder möglichen Gelegenheit entkorkte.

Mittlerweile lebte er zusammen mit seiner Mutter in dem Acht-Millionen-Dollar Haus. In Arcadia an der berühmten Route 66 eröffneten die Brüder McDonald 1937 ihr erstes Restaurant. Heute zählen die Grundstückspreise zu den höchsten in den USA.

Seine Raritäten waren Rudys Ticket in die Kreise stinkreicher Sammler. Er verkehrte in Zirkeln mit Namen wie „BurgWhores“, “Twelve Angry Men” und „The Royal Order of the Purple Palates“, die ihre anmaßende Haltung als überlegene Weinkonsumenten bereits im Namen tragen. Sein Slacker-Stil passte perfekt. Er schlief bis nachmittags, kam gewohnheitsmäßig zu spät, erschien dann im Hermès-Anzug. Restaurantbetreiber liefen ihm wegen unbezahlter Rechnungen hinterher. Wie andere Sammler auch, investierte Kurniawan in Anteile einer Weingüter-Beteiligungsfirma, die der Önologe und Rechtsanwalt Étienne de Montille (Eigentümer der Domaine de Montille in Volnay) gegründet hatte. Bis Rudys Geld ankam, war das Unternehmen fast pleite. Heute gibt es die Firma nicht mehr.

Im Oktober 2004 lud er zu einem viertägigen Gelage in das New Yorker Nobelrestaurant Cru an der 5th Avenue. Inzwischen gibt es diesen Betrieb auch nicht mehr. Die Weine brachte er wie immer selbst mit. Die Liste klingt heute ein bisschen wie ein Fantasy-Roman: 1945 Mouton Rothschild, 1961 Jaboulet Hermitage La Chapelle, 1971 La Tâche, 1964 Romanée-Conti, 1978 Guigal Côte-Rôtie La Mouline. Allesamt Weine, die es höchstwahrscheinlich längst nicht mehr gab. Am letzten Abend standen 250.000 Dollar auf der Rechnung des Wirts. Kurniawan reichte seine American Express Black Card rüber, die Superedelausführung, mit der sich Blingbling-Künstler wie P.Diddy oder Lil‘ Kim gerne wichtig machen. Möglicherweise schenkte Fälscher-Rudy dort sogar echte historische Weine aus, um seinen Kunden hinterher ganz persönlich zurechtgemixte Mischungen anzubieten. Jedenfalls bestand er darauf, dass ihm das Restaurant jede einzelne leere Flasche nachschickte, was später noch wichtig sein wird.

Die Bourgogne war lange Zeit nicht so angesagt bei amerikanischen Sammlern, denen das vierstufige System mit klitzekleinen Appellationen, wo Parzellen auch noch alle naselang den Besitzer wechseln, zu kompliziert ist. Robert Parker nannte die Region einmal Minenfeld. Doch nach der Jahrtausendwende schossen die Preise auf Auktionen in die Höhe. Mitte der 1990-er Jahre kostete eine Flasche 1962-er La Tâche 400 Dollar, zehn Jahre später waren es 13.000 Dollar.

Im Jahr 2000 wurde weltweit 92 Millionen Dollar auf Weinversteigerungen umgesetzt. 2011 waren es 478 Millionen Dollar. Die meisten gingen auf das Konto amerikanischer Sammler. Dort hatte ein neuer Typus die zugeknöpften Typen mit altem Geld abgelöst. Die neue Kundschaft konnte es gar nicht erwarten, ihre Trophäen zur Schau zu stellen. Je höher der Preis umso besser.

Neben seinen scharfen Analysen glänzte Rudy mit Wissen, besonders über die Domaine de la Romanée-Conti. Deren Weine sind extrem knapp. Von den besten gibt es nur ein paar Fässer pro Jahr. So übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches. Zu haben sind diese Weine nur auf Allokation, eine Zuweisung. Sie kosten schon ab Hof ein Vermögen.

Bald begann Kurniawan selbst Weine zu verkaufen und trumpfte dabei mit alten Flaschen der Domaine de la Romanée-Conti auf. Mit Mitte zwanzig brachte er es zu dem Spitznamen „Dr. Conti“ und einer erlesenen Kundschaft. Zu seinen Abnehmern zählten Hollywood-Mogule und Konzernchefs. Einem davon namens Brian Devine, Ex-CEO einer Kette für Heimtierbedarf mit vier Milliarden Dollar Jahresumsatz, drehte er Wein für über fünf Millionen Dollar an.

Kurniawans Connections galten als legendär. Immer wieder grub er Châteaux und Jahrgänge aus. Meist aus mysteriösen Kellern „europäischer Adeliger“ belieferte er Auktionshäuser, vor allem Acker Merrall & Condit in New York, die eigentlich gar nicht so auf alte Weine spezialisiert waren. 2006 versteigerten die New Yorker auf der Auktion „The Cellar“ Weine von Rudy für 10,6 Millionen Dollar. Später im Jahr gingen bei „The Cellar II“ 24,7 Millionen Dollar für Rudy-Flaschen über den Tisch. Es waren zu diesem Zeitpunkt die beiden größten Weinauktionen einer Privatperson in der Geschichte des Weinhandels. Acker, Merall katapultierte der Coup an die Spitze der globalen Weinversteigerer.

Wahrscheinlich war Rudy damals schon in die Massenproduktion eingestiegen und hatte viele der Flaschen gefälscht, ganz sicher sogar eine 1971er Jeroboam (5-Liter-Flasche) Romanée-Conti für 85.000 Dollar. Eine einzige Flasche.

Zwischen 2004 und 2011 kaufte Kurniawan selbst für 40 Millionen Dollar Wein ein. Irgendwann in diesen Tagen stieg er zum berühmtesten Raritäten-Sammler und Verkäufer der Welt auf und brachte den Markt in Wallung wie niemand vor ihm.

Zu exklusiven Lunches fuhr er im Ferrari oder im Bugatti vor. Für Auswärtstermine durfte es auch mal ein Privatjet sein. Zum Beispiel wenn er in New York mit Robert Parker zum Mittagessen verabredet war. Der war begeistert von dem very sweet and generous man (Original-Zitat). Immer wieder gern ließ sich der Tester-Guru zu Menüs einladen, bei denen Rudys feine Tropfen in Strömen flossen.

Kurniawan ist Anfang 30 und mit seinem jungenhaften Allerweltsgesicht würde er wohl in manchen US-Bars nach dem Ausweis gefragt. Seine Gesellschaft besteht aus Leuten, die mehr Geld als Verstand haben. Auf Videos ist er mit Typen zu sehen, die sich via Limo-Service zu Luxus-Restaurants chauffieren lassen und den Wein schon auf der Fahrt wegsaufen. Als privater Mensch blieb Rudy bescheiden und sozial kompatibel. Wenn er seine Flaschen aufmachte, gab’s dazu ein nettes Witzchen, damit auch keine steife Atmosphäre aufkam. Seine Sätze endeten oft auf ein langgezogenes man, eher so der studentische Slang. Zu seinen Mittrinkern war er charmant.

Der erste große Knall kam dann in einer Versteigerung bei Acker Merrall 2008. Kurniawan bot sieben Lose der burgundischen 1er Cru-Domaine Ponsot an. Aufgerufen waren 70.000 Dollar pro Kiste mit traumhaften Jahrgängen von 1945 bis 1971.

Als einer der ersten Bieter meldete sich ein Herr mit Kaschmirschal und französischem Akzent, der sich mit dem Namen Laurent Ponsot, Besitzer des Weinguts in vierter Generation, vorstellte. Ponsot war der erste Mann, dem Kurniawan besser nicht begegnet wäre. Er wies darauf hin, dass es den angebotenen 1945-er Domaine Ponsot aus der Lage Clos Saint-Denis gar nicht gibt, weil das Weingut diese Lage erst seit 1982 abfüllt. Das Auktionshaus zog die Flaschen zähneknirschend zurück.

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Ponsot erzählt später dem FBI, dass er das Auktionshaus im Vorfeld mehrmals kontaktiert hatte. Erst als keine Antwort kam, setzte er sich ins Flugzeug nach New York. Und Ponsot ist kein Mann von halben Sachen. Der Familienerbe ist nicht nur ein begnadeter Weinmacher, sondern auch Bergsteiger, Rennfahrer, Stuntpilot. Jetzt wollte er die Integrität der Bourgogne von diesem Dreck reinwaschen, wie er später vor Gericht sagt. Bald stellte er sich als Chef der französischen Filiale des FBI vor. FBI wie „Fake Bottle Investigations“.

Er traf Kurniawan zum Dinner und ein paar Gläsern Wein. Dabei bohrte er nach der Herkunft und Rudy konnte sich nur mühsam rausreden. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon Gerüchte, dass Kurniawan den Auktionshäusern seine Weine über Gastronomen und andere Leute aus der Szene anbot, um seine Spuren zu verwischen. Zweifel um seine sagenhaften Quellen machten die Runde.

Der zweite hartnäckige Zeitgenosse, auf den Kurniawan traf, sollte ihm noch mehr Schwierigkeiten machen. Bill Koch, vernarrter Sammler und Milliardär. Sein Geld ist das Erbe des Energiekonglomerats Koch Industries, das zweitgrößte Familienunternehmen in den USA mit 100 Milliarden Dollar Umsatz. In Kochs riesiger Villa in Palm Beach/ Florida hängen Meisterwerke von Künstlern wie Edgar Degas, Claude Monet, Paul Cézanne. Im Keller liegt eine der größten Raritätensammlungen der Welt, 50.000 Flaschen, darunter eine ganze Reihe, die Rudy Kurniawan geliefert hatte.

Koch ließ sie von Glas-, Papier-, Weinexperten untersuchen. Viele Weine stellten sich als Fälschungen heraus. Ein Prozent meiner Sammlung, aber ein Viertel des Werts, laut Koch. Noch dazu heuerte er einen Ex-FBI-Mann an, der sich in Indonesien umsah. Die Adresse, die Rudy auf seinem Visum-Antrag angegeben hatte, war eine Bude, in der Blechzeug verkauft wurde, der Name seines Vaters ein Scherz. Zwei Onkel waren in einen Bankenskandal verwickelt, bei dem eine dreistellige Millionensumme verschwand. Das Geld tauchte nie wieder auf.

Einer wie Koch lässt sich nicht gern rumschubsen, weil: Ich hatte zwei ältere Brüder, die haben mich immer gern ein bisschen betuppt. Jahrelang stritt er mit ihnen (die noch viel mehr Geld haben) vor Gericht um das Familienerbe und wurde auch sonst ein richtiger Prozesshansel. Das alles traf sich für Kurniawan denkbar schlecht. Koch klagte und gab am Ende 35 Millionen Dollar für Prozesskosten aus – um über 400.000 Dollar Schaden zu streiten. Aber das war ihm egal. Seine Liebe zum Wein nimmt man Koch ab. In einem Fernsehinterview kamen dem harten Knochen wirklich die Tränen, als er auf die Fälschungen angesprochen wurde. Weil mir die Winzer leid tun, die ihr Herzblut in das Handwerk stecken.

Dabei hätte er es auch besser wissen können. Einige Jahre zuvor hatte Koch über Mittelsmänner jede Menge Weine von einem Deutschen mit dem Künstlernamen Hardy Rodenstock gekauft. Ganz ähnlich wie Kurniawan hatte der Ex-Schlagerproduzent immer wieder Raritätenproben mit unglaublich seltenen historischen Weinen in Luxushotels veranstaltet. Manchmal zogen sich diese Gelage über mehrere Tage. Neben Alt-Promis wie Walter Scheel und Franz Beckenbauer war dort auch Robert Parker zu Gast und fühlte sich pudelwohl.

Einer 1921er-Magnum von Château Pétrus aus Rodenstocks Beständen bescheinigte Parker begeistert 100 Punkte. Château Pétrus, heute das wohl teuerste Weingut des Bordelais, war in den 1920-er Jahren aber völlig unbekannt und füllte noch gar keine Magnums ab, wie der Besitzer erklärte. Parker war blamiert bis auf die Knochen.

Rodenstock hatte damit kein Problem. Ein Négociant habe dann eben den Wein gekauft und in Magnums abgefüllt, argumentierte er. Für welchen Kundenkreis denn bitte? Aber mit solchen Alltagsfragen brauchte man dem Raritätenjongleur gar nicht kommen…

International berühmt wurde Rodenstock mit den sogenannten Jefferson-Flaschen. Das waren Weine aus dem Jahr 1787, die mit der Gravur „Th.J.“ versehen sind. Rodenstock hatte sie nach eigenen Angaben auf einer Pariser Baustelle gekauft. Die Initialen sollten sie als Eigentum des dritten amerikanischen Präsidenten und Mitautors der US-Verfassung Thomas Jefferson ausweisen. Patriotische US-Sammler wie Donald-Trump-Förderer Koch waren Feuer und Flamme und zahlten sechsstellige Summen für eine Flasche. Koch selbst erstand einen Satz für 300.000 Dollar, wurde dann aber skeptisch.

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Historiker der Thomas Jefferson Foundation, die penibel den Nachlass des Politikers verwaltet, winkten ab. Von solchen Flaschen hatten sie nie gehört. Bald stellte sich heraus, dass das Glas mit einem Elektrogerät graviert worden war. Koch klagte. Rodenstock tat den Teufel zu der Verhandlung in New York zu erscheinen und wurde in Abwesenheit verurteilt. In Deutschland hatte das Verfahren keine juristischen Folgen. Noch bis zu seinem Tod 2018 behauptete Rodenstock, die Flaschen samt Gravuren seien echt gewesen, jemand anders hätte die Initialen nach dem Kauf mit dem Zahnarztbohrer eingraviert. Bis zum Schluss verklagte er jeden, der das anders sah. Nicht wenige Weinjournalisten in Deutschland und Österreich, die zu einer von Rodenstocks legendären Raritätenverkostungen eingeladen waren, verteidigten ihn. Andernfalls hätten sie zugeben müssen, dass sie selbst auf die windigen Tröpfchen reingefallen sind. Gut möglich, dass Rudy sich hier inspirieren ließ.

Allerdings waren seine Fälschungen weniger dummdreist. Zunächst besorgte er sich die nötige Hardware: Weinflaschen. Zum Teil Leergut der eigenen Verkostungen, das er nach seinen Weinpartys aus den Restaurants wieder mitnahm. Das wirkt zunächst nicht besonders auffällig. Eine Jahrzehnte alte Flasche ist auch leer ein begehrtes Souvenir und besitzt Handelswert. Manche Sommeliers behalten solche Flaschen und verkaufen sie weiter.

Flaschen sind die Achillesfersen der Weinfälscher. Das alte Glas ist am schwierigsten zu fälschen. Daher der florierende Markt für Leergut. Kurniawan trank solche Flaschen aber in kurzen Abständen aus und dann gern gleich eine ganze Batterie davon. Außerdem kaufte und verkaufte er immer mehr. Warum sollte sich so jemand seine leeren Flaschen nicht ins Regal stellen? Und warum sollte jemand, der – wie er selbst sagte – jeden Monat eine Million Dollar Taschengeld überwiesen bekam, überhaupt etwas verkaufen? Er hatte ja mehr Geld, als man ausgeben kann.

Außerdem hatte Kurniawan bei örtlichen Négociants massenhaft gereifte Weine von unbekannten Weingütern in der Bourgogne und im Bordelais gekauft. Etiketten druckte er selbst. Als Korken benutzte er auch die aus alten Pullen und pimpte sie mit Namenszügen, Logos und Jahreszahlen seiner Lieblingsweingüter auf.

Kurniawan war ein exzellenter Verkoster und verfügte über ein spektakuläres sensorisches Gedächtnis für Geschmacksprofile, sodass er komplexe Tropfen aus Einzelteilen nachbauen konnte. Er kannte ja alle wichtigen echten Weine. Die mischte er aus einem Teil alter Jahrgänge weniger bekannter Güter mit einem Teil neuer kalifornischer Tropfen. So brachte er beides zusammen: den Alterungsaspekt der Burgunder und die Komplexität und Fülle der Kalifornier.

Die Polizisten fanden solche Rezepte bei ihm zu Hause direkt neben dem Waschbecken auf eine Tafel geschrieben. Als wollte er sich einen Streuselkuchen backen.

Dabei war auch eines für den wohl berühmtesten Wein der Welt. Zum Nachkochen: Einen 1945-er Mouton-Rothschild rührte er aus zwei Teilen Pichon-Lalande 1988, einem Teil jungen Napa-Cabernet und einem Teil alten Bordeaux, der schon oxidiert war, zusammen.

Auf manche Etiketten echter Weine, die er zusammengekauft hatte, notierte Kurniawan, welchen Spitzen-Bordeaux er damit nachahmen wollte. So verwandelte er Merlots von der Pazifikküste zu LaFleur und Pétrus aus den 1940er- und 1950er-Jahren.

Es war wie die Werkstatt des Weihnachtsmanns, erinnert sich Bill Kochs Sprecher Brad Goldstein später. Da fehlten nur noch die Elfen.

Immer wieder hatten Kritiker und Sammler in Kurniawans Weinen die edle Reife und zugleich die jugendliche Frische gelobt, die darunter lag. Sie wussten gar nicht, wie recht sie damit hatten. Und das, was die Fans als hohe Kunst französischer Weingüter beschworen, kam in Wirklichkeit von Rudys Resterampe in Los Angeles County. Später fand man viele von Rudys fertigen Mischungen in einem Lagerhaus in der Nähe und noch mehr echte alte Weine, die ihm als Ausgangsmaterial für seine Mischungen gedient hatten. Insgesamt 5.300 an der Zahl.

Mit dem Fall Rodenstock lag ein Präzedenzfall vor. Dazu kam noch ein Mann, dem Rudy Kurniawan besser nicht über den Weg gelaufen wäre. Jason Hernandez war New Yorker Staatsanwalt, Weinkenner und Weinsammler. Zudem hatte er mehr als genug und wirklich erdrückende Beweise gegen Rudy in der Tasche.

Fast nebenbei ergab sich noch, dass Rudy mit seinem Millionen-Taschengeld, wenn es das je gab, wohl nicht gut ausgekommen ist.

Die Gerichtsakten enthüllten, dass er mit mehreren Krediten in Verzug war und 18 Kunstwerke, darunter Bilder von Andy Warhol, Ed Ruscha und Robert Indiana, mehrmals als Sicherheiten verpfändet hatte. So standen nebenbei noch drei Millionen Dollar Kreditbetrug in der Klageschrift.

Der Prozess startete also denkbar schlecht für Kurniawan und ging auch so weiter. Richter Richard Berman hatte in seiner Laufbahn Mafiosi und Terroristen für Jahrzehnte hinter Gitter gebracht. Rudy erschien ihm eher skurril.

Rudys Anwalt setzte – angesichts der toxischen Beweislage – auf Mitgefühl. Die 18 Monate U-Haft hätten seinem Mandanten furchtbar zugesetzt. Er versuchte ihn für psychisch krank erklären zu lassen.
AberJudge Bermann machte nicht mit.

Die Anklage beschrieb Rudy gnadenlos: Er war ein Typ mit neuem Geld, niemand wusste richtig, wo er herkommt. Er wollte auffallen und gab Millionen Dollar für Wein aus. Seinen Lebensstil befeuerte er mit Geld, das er mit mit dem Verkauf gefälschter Weine verdiente. Er hatte keinen Job. Sein Hauptberuf war, in der Küche Weine für 20.000 Dollar zu mischen. Rudy Kurniawan sei ein Dreh- und Angelpunkt für Fälschungen, sagte Jason Hernandez für die Staatsanwaltschaft.

Ermittler förderten dann noch weitere Flaschen im Wert von mehreren Millionen Dollar zutage, die Kurniawan zugeordnet wurden. So kamen bis zu 40 Jahre Knast zusammen. Rudys Anwalt Jerome Mooney zweifelte die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen an. Der Durchsuchungsbeschluss war tatsächlich erst später am Tag beim FBI eingegangen. Dann versuchte der lawyer noch einmal, Rudy als Opfer der Umstände darzustellen. Immer Außenseiter, schon als Chinese in Indonesien, hätte er nur Anschluss und soziale Anerkennung gesucht. Freunde, Sammler, Händler, Auktionatoren war es ja auch lange egal, wo die Weine herkommen. Außerdem habe Rudy ja nur sehr reichen Leuten, das Geld aus der Tasche gezogen. Die könnten das ja verkraften. Es darf keine Flasche Wein geben, die mehr als das Dreifache eines einfachen Jahresgehalts kostet. Die bizarre Kapitalismuskritik kam schlecht an.

Also, wenn man als Reicher betrogen wird, soll der Täter eine mildere Strafe bekommen? Fragte der Richter ungläubig. Aber Verteidiger Mooney setzte noch einen drauf. Wer wie David Doyle, Gründer einer Software Firma, 230.000 Dollar für eine Flasche 1947-er Château Cheval Blanc ausgebe, handle verantwortungslos, wo doch der Durchschnittspreis für Wein in den USA bei sieben Dollar liege. Sein Mandant habe kürzere Haft verdient, weil seine Fälschungen schließlich gute Arbeit waren, die wenigstens authentisch schmeckten.

Das hat Rudy sicher nicht geholfen.

Zwischendurch fragte der Richter Kurniawan,ob er etwas für sich zu sagen habe. Ich möchte nach Hause und meine Mutter pflegen, wisperte Rudy und tupfte sich ein paar Tränen ab. Klingt ein bisschen wie E.T. Auch ein Brief mit einer Entschuldigung konnte den Richter nicht erweichen, weil Kurniawan darin keine Verantwortung übernehmen wollte. Die Staatsanwaltschaft forderte 14 Jahre Gefängnis, die Verteidigung Haftentlassung nach über zwei Jahren Untersuchungshaft. Die zwölf Geschworenen brauchten weniger als einen Vormittag, um den Angeklagten in allen Punkten schuldig zu sprechen.

Kurniawan musste für zehn Jahre ins Gefängnis und 28,4 Millionen Dollar zahlen. Mit Koch hatte er sich im Vorfeld auf drei Millionen Dollar Entschädigung geeinigt. Rudy Kurniawan nahm in grau-blauer Gefängniskleidung das Urteil an und lief mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen zum Transporter, der ihn in die Haftanstalt brachte.

Die knapp 5.000 echten Flaschen Wein aus Rudys Besitz wurden nach einer Prüfung durch US Marshalls für insgesamt 1,5 Millionen Dollar online versteigert. Das höchste Gebot bekamen drei Flaschen 1911 Romanée-Conti für 45.200 Dollar. Kleines Farewell von Dr. Conti.

Für die nachweislich falschen Flaschen dachte sich die Justiz einen knalligen Showdown aus: Auf einer Müllkippe in Creedmoor/ Texas wurden sie in eine Betonwanne gelegt und medienwirksam zertrümmert. Der Wein wurde auf einem Komposthaufen ausgebracht, wo er versickerte. Ein Botaniker war zugegen.

Der Prozess beantwortete viele Fragen, doch andere blieben offen. Bis zum Ende wurde nicht klar, wer Rudy Kurniawan überhaupt ist. Seinen Namen nahm er erst in den USA an. Kam Rudy aus China oder Indonesien? Ist seine Familie reich, oder sind es Kriminelle? Woher stammte sein Geld? 2006 nahm Kurniawan 35 Millionen Dollar mit Versteigerungen ein. Schon ein paar Monate später bettelte er um Kredite. Wo war das ganze Geld hin? Rutschte er wirklich und beinahe ungewollt in sein Fälscher-Business rein? Dafür war es recht komplex. Oder handelte es sich um einen lange geplanten Coup? Dann hätte er seine Fälscherwerkstatt vielleicht nicht in einer häuslichen Küche eingerichtet. Konnte ein desorganisierter Dandy so ein Ding alleine durchziehen? Neben einer brillanten Nase erfordert es ungeheure Organisation. Unmöglich, sagte Winzer Ponsot später im Dokumentarfilm „Sour Grapes“. Immerhin ging es um 15.000 gefälschte Flaschen. Ponsot rechnet vor: Wenn er für jede Flasche nur eine Stunde braucht, muss ein Mensch fast zwei Jahre lang 24 Stunden täglich fälschen. Ganz im Stil der Mafia-Omertà nannte Rudy aber nie Namen. Nicht mal in Telefonaten mit seiner Mutter, die das FBI abhörte.

Auch nach dem Prozess ist der Handel mit Fake-Weinen ein Riesen-Karussell geblieben, das sich weiter dreht. Am Anfang stehen Rudys Kumpels, die schon mittags in irgendwelchen Nobelrestaurants trinken, weil sie zu viel Zeit und Geld haben. Sie wollen Entertainment. Kaum einer fragt, woher die alten Weine kommen. In diesem Dunstkreis von reichen Halbwissern, die nach dem nächsten Kick gieren, wurde Rudy Kurniawan zu Dr. Conti. Bei superteuren Tropfen geht es immer um dieselbe kleine Zahl berühmter Weine. Die fünf, sechs Premier Crus von rive gauche und die Stars vom rechten Ufer. Dazu die feinsten crus im Burgund. Sassicaia, Ornellaia & Co. sind schon fast Nebendarsteller. Alte Jahrgänge dieser Güter tauchen immer wieder auf, obwohl sie längst ausgetrunken sein müssten. Manche Gutachter behaupten, sie hätten schon mehr Flaschen DRC 1945 in der Hand gehabt als abgefüllt wurden.

Kurniawan perfektionierte ein System der Gier nach spektakulär klingenden Weinen. Zuerst trieb er die Preise durch eigene Käufe hoch. Dann warf er seinen Vorrat auf den Markt. So läuft es noch immer. Man bietet ein Stück unter dem Marktpreis an, aber eben immer noch exorbitant teuer. Das macht Käufer scharf. Die wollen solche Sachen einfach nur haben. Ich war ein Trottel oder wie auch immer sie es nennen wollen, bekannte Koch später vor laufender Kamera.

Solche Sammler kaufen naiv oder von einem gewissen Ego getrieben. Nicht selten sind es Leute, für die Geld keine Rolle spielt. Der Kick ist eine Flasche des legendären 1945er-Jahrgangs von Routhschild oder eine nahtlose Jahrgangssammlung von legendären Châteaux wie Château d’Yquem. Diese Süßweine halten locker 100 oder auch 150 Jahre. So jemand sieht vielleicht nicht mehr ganz genau hin, wenn er eine Flasche findet, die er schon lange sucht.

Selbst wenn der Schwindel auffliegt, landen wenige Fälle vor Gericht. Denn das will keiner der Beteiligten, auch nicht der Betrogene. Verkäufer, Vermittler, Auktionshäuser, alle haben ihr Geld verdient. Die Sammler sind vorgeführt und wollen den Reinfall nicht zugeben. Man kann die Flaschen ja auch einfach weglegen und später weiterverkaufen. Der globale Markt für Fälschungen wächst. Aktuelle Schätzungen reichen von drei bis fünf Milliarden Euro.

Selbst Richter und Staatsanwälte sind nicht besonders scharf auf diese Fälle, auch wenn es um hohe Summen geht. Kaum ein Jurist kennt sich mit der Materie aus. Und selbst der beste Verkoster tut sich schwer, Fälschungen zu identifizieren. Die westlichen Auktionshäuser haben aus dem Kurniawan-Skandal ihre Lehren gezogen. Nicht, dass sie nun besser aufpassen, wenn ihnen nun ein paar historische Schätze angeboten werden. Das Augenmerkt liegt vielmehr auf dem Kleingedruckten. Viele Versteigerer haben ihre Geschäftsbedingungen angepasst und schließen jede Haftung für Fälschungen aus.

Für Rudy waren die letzten Jahre sehr ungemütlich. Sein Knast Correctional Institution Reeves in Texas ist berüchtigt. Die Mitgefangenen sind meist mexikanische Schwerverbrecher. Mit einer Kapazität von 3.763 Gefangenen galt Reeves mal als das größte privat geführte Gefängnis der Welt und als eines der zehn schlimmsten in den USA. Es gab mehrmals Aufstände. Gefangene beklagten sich über Zellen ohne Licht, brutale Strafen und mangelnde Krankenfürsorge, bei der sogar ein Häftling starb. Später kamen 2,1 Millionen Dollar Unterschlagung dazu, sodass der Staat die Verträge kündigte. Die Trump-Regierung gab der Betreibergesellschaft 2019 allerdings einen neuen Vertrag und sperrte dort ausländische Häftlinge ein. Menschen wie Rudy Kurniawan. 2020 berichtete der TV-Sender Fox Texas, wo man sich sonst wenig um die Rechte mexikanischer Sträflinge schert, dass es in den Zellen tagelang kein fließendes Wasser gab. Nach einem Corona-Ausbruch schleppten Gefangene ihre toten Mithäftlinge in gemietete Kühlcontainer.

Am 6. November 2020, Rudy war wegen der Pandemie in ein Gefängnis in der Wüste von New Mexico verlegt worden, wurde Häftling 62470-112 schließlich entlassen. Vorzeitig wegen guter Führung.
Eine kleine Extravaganz leistete er sich noch. Für Rudy hatte die Ausländerbehörde ein Ticket nach Indonesien gebucht. Der Flug zweiter Klasse schien ihm aber zu unbequem. Bestimmt bekomme ich einen schlechten Sitzplatz, klagte er und wollte aus eigener Kasse first class nach Jakarta jetten. Auch daraus wurde dann nichts. Letzte Woche flog er Holzklasse in die alte Heimat.

Wahrscheinlich liegen noch Flaschen von Kurniawan für viele Millionen Dollar in irgendwelchen Kellern. Es gibt immer mehr Reiche in Russland, Brasilien, Indien und sonstwo in Südostasien. So manche Flasche, die in Europa oder den USA zu heiß ist, kann man diskret auf dem asiatischen Markt platzieren.

In China haben Fälschungen eine gewisse Tradition. Es gibt ganze Fabriken dafür. Käufer spüren keine Skrupel und lassen sich nicht beirren. In den krassesten Fällen sind nicht mal die Namen der Châteaux auf den Etiketten richtig geschrieben. Hongkong hat London und New York als Auktionsmarkt schon überholt. Hier kaufen superreiche Chinesen und russische Oligarchen den Wein-Nachschub für zu Hause ein. Gut möglich, dass sie bei einer Shopping-Tour demnächst auf ein schmächtiges Bürschchen mit Drahtbrille treffen, das ein paar ganz besondere Angebote parat hat.

 

Datum: 25.4.2021 (Update 29.10.2021)
 

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