Die meisten Weinfreunde kennen ihn nur vom Hörensagen. Das mag am Preis liegen. Eine Flasche aus dem exzellenten Jahrgang 2010 wird derzeit auf knapp 1.000 Euro taxiert. Die Rede ist von Château Mouton-Rothschild, einer Rotweinlegende aus der Region Pauillac im Bordelais.
Das Haus Mouton-Rothschild gehört zu den fünf staatlich ausgezeichneten „Premiers Crus“ (Erste Gewächse) im Bordelais und wurde bei der Klassifizierung von 1855 als einziges nicht direkt in diese Wertung aufgenommen worden. So ein Pech auch.
Man hatte jedoch nicht mit dem Baron Philippe de Rothschild gerechnet, der im folgenden Jahrhundert auf den Plan trat. Der streitbare Playboy und Rennfahrer (nahm als Jungspund am Grand Prix in Monaco teil) ruhte nicht, bis er die Aufnahme in die Wein-Oberliga des Bordelais durchgesetzt hatte. Das war 1973. Bis zu diesem Jahr ließ Rothschild auf die Etiketten seines Weins drucken: Premier ne puis, second ne daigne, Mouton suis! Heißt: Erster kann ich nicht sein, ich lasse mich nicht dazu herab, zweiter zu sein, ich bin Mouton!
Wenn es nur nach der Performance ginge, dann wäre Mouton nach der Meinung vieler Kenner unter den 14 zweiten Gewächsen, den sogenannten Deuxièmes Crus, auch ganz gut aufgehoben. Denn das Haus hat neben atemberaubenden und unvergesslichen Weinen manche Jahrgänge schlicht vergeigt. Ausgerechnet im Jahr des Aufstiegs 1973 war der Wein grottenschlecht. Wer heute noch eine Flasche hat, der erfreut sich besser an dem schönen Picasso-Etikett und lässt den Inhalt dort, wo er ist. Dennoch gehört Mouton natürlich in den Kreis der Größten, der Auserwählten, der Besten, denn die Weine und das Haus umgibt ein Flair von Noblesse und Exklusivität.
Eine der besten Ideen, die der Baron hatte, war übrigens die mit den Künstleretiketten. Jedes Jahr wird ein Künstler ausgewählt, der das Etikett des neuen Jahrgangs gestalten darf. Das Honorar ist eher bescheiden, eine 12er Kiste des gestalteten Weines sowie eine weitere nach Wahl, wobei seltene oder exzellente Jahrgänge ausgenommen sind.
Hier auf dem legendären 1982er-Mouton seht ihr ein sehr hübsches Beispiel, gestaltet von Multitalent John Houston. Der lebte von 1906 bis 1987 und war ein begnadeter Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur (Asphalt-Dschungel, African Queen, Moulin Rouge, Moby Dick). Und Frauenheld. Seine Tochter Anjelica Houston kennt man ja.
Einen Mouton zu trinken ist immer ein besonderes Erlebnis. Nur ein Snob würde eine solche Flasche abtun, als tränke er irgendeinen Bordeaux.
Der Wein wird noch ein wenig sorgfältiger vorbereitet als sonst. Also etwa einen Tag vorher in perfekt temperierter (17 bis 18 Grad) Umgebung aufrecht hinstellen, damit sich das Depot absenken kann. Ich empfehle, Jahrgänge ab Mitte der 1990er-Jahre mindestens drei bis vier Stunden vor dem geplanten Genuss in eine Karaffe zu geben. Bereits beim vorsichtigen Umfüllen kann man die ersten Aromen erschnuppern. Wenn der Wein ordentlich gelagert wurde, wittert man meistens eine eher kühle, etwas spröde Anmutung von Tinte, roten Beeren, Feuerrauch, Mokka und Kräutern. Gelegentlich auch Kirschwasser und feuchte Ackererde. Dann liegt er endlich funkelnd im Glas und zeigt einen leichten Wasserrand. Je nach Alter ist er dunkel-granatfarben bis hin zu schimmerndem Rotbraun. Je älter, desto mehr Brauntöne. Nach der Wartezeit sind die Aromen in der Nase dichter und haben sich harmonisch verwoben: Leder, eine Tasse Mokka, Zigarrenkiste, Räucherschinken. Beim ersten Schluck fällt zunächst das kraftvoll-samtige Mundgefühl auf, kontrastiert von leicht adstringierenden Gerbstoffen. Château Mouton-Rothschild ist kein Wein, der sich im ersten Moment erschließt. Mit jedem neuen Glas gibt es weitere Facetten zu entdecken. Da sind zum Beispiel die für Mouton typischen Graphitnoten. Dann jener berühmte und sehr einprägsame Mouton-Cassis-Ton. Weitere Frucht- und dunkle Beerenaromen, zum Beispiel Brombeere. Es folgen getrocknete Aprikose und Schokolade. Und zum Schluss diese herrlich-zarte Süßlichkeit, die sich noch ewig am Gaumen hält.
Normalerweise ist ein Mouton von einer schmeichelnden, manchmal fast femininen Eleganz. Ich hatte aber auch schon sehr zupackende und männlich wirkende Moutons aus den frühen 2000er-Jahren im Glas. Kurz, ein Mouton ist (wie jeder gut gereifte Spitzenwein) eine Überraschungstüte. Genau das ist die Faszination beim Weinsammeln und Trinken.
Eine Flasche Château Mouton-Rothschild zu öffnen, gehört zu den großen Wein-Abenteuern. Wenn es sich nicht gerade um einen bejubelten und entsprechend teuren Jahrgang handelt, kann man das sogar noch zu einem halbwegs vernünftigen Preis erleben.
sorry, susa, aber 2001 als „eher schwieriger jahrgang“ ? ich trinke grad 2001 im bereich der 2.-5. gewächse und erfreue mich an trinkreifen, klassischen , angenehmen bdx, alle auf auktionen zu vernünftigen preisen erworben. finde den jahrgang in breite durchaus gut gelungen.
Man kann ja über nix mehr streiten, als über Jahrgänge. Richtig ist, dass viele 2001 sich inzwischen besser präsentieren, als anfangs angenommen. Aber von einem überdurchschnittlichen Jahrgang kann man nun doch nicht sprechen und eine ganze Menge Weine sind leider eher abschreckend.
Das ist halt das Schicksal dieser Jahrgänge, wie zB auch 1997.
Der guten Ordnung halber sei auch das geänderte Motto von Mouton nach der Aufstufung zum Premier Cru im Jahr 1973 erwähnt:
„Premier je suis, Second je fus, Mouton ne change.“
(Erster bin ich, Zweiter war ich, Mouton ändert sich nicht.)
Schön, wenn man hier auch hin und wieder von Premiers und Gran Crus liest – ist gut für die (weinmäßige) Allgemeinbildung und man muß sie ja deswegen nicht gleich kistenweise kaufen.
Es wäre natürlich interessant, welche Thesen zu diesen Formschwankungen bei Mouton vermutet werden (Boden, Management, Risiko, Lagen, etc).
Übrigens bin ich der Meinung, dass wir noch viel mehr von diesen Gewächsen lesen (und trinken) sollten, denn ab Jhg ’05 werden die Normalsterblichen unter uns sowieso nicht mehr wissen wie diese Weine schmecken 😉
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht. Als Bordeaux-Aficionado lernt man früh, die Dinge anzunehmen wie sie sind. ;o)), sogar die Preise. Danke für die Anregung, ich werde mich mal gezielt in meine Literatur und weiter gehende Recherchen stürzen.
Meine erste Vermutung wäre, dass man die in den späten 90er Jahren beginnenden Trends was Modernisierung und Kellerphilosophie angeht nicht mit der gleichen Konsequenz angegangen ist, wie bei den Kollegen. In etwa der gleichen Zeit war Patrick Léon, der Kellerchef, ja auch sehr stark in Übersee (Almaviva, Opus One) engagiert. Ich werde auch mal die Erntebeginndaten checken, das ist ja auch so ein alljährliches Pokerspiel, und kann einen Jahrgang entscheiden.
Als erstes muss ich mich fragen,was ein akzeptabler Preis für einen Mouton(oder ein anderer 1er Cru) ist.Spätestens
mit dem Jahrgang 2000 sind vor allem die 1ers doch von
allen guten Preisgeistern verlassen.Dagegen sind die
kalifornischen Hochgewächse fast schon preiswert.Und das bei bedeutend weniger Erntemengen.
Zweitens hat wohl jeder 1er Cru schon seine Schwächephase
hinter sich gebracht.Latour zB hat in den 80ern wohl nur einen!!! Top Wein(82)gemacht. Lafite und Margaux waren spätestens ab 1966 von der Rolle.Heute sind es wirkliche 1er Crus,auch dank besserer Kellertechniken,
neuer und engagierter Kellermeister. Komischerweise regt sich aber keiner darüber auf,das heute schon der Zweitwein einiger 1ers fast unerschwinglich ist und auch über die Vermarktungsstrategie( 1er Cru kann nur kaufen,wer auch Zweit-oder Drittweine kauft) sollte man sich mal Gedanken machen. Und alle Welt regt sich über einen 120,- teuren Grand Cru aus Burgund auf.Ich würde lachen,wenn ich könnte.