X
Newsletter
X
X
Login
Passwort vergessen?


Konto erstellen

Richtiger Wein zur falschen Zeit

Alter, du bist schon lange reif.
Kommentare
Ähnliche Weine
Ähnliche Artikel
Die meisten Weine werden zum falschen Zeitpunkt getrunken. Rotweine zu spät, Weißweine zu früh.
Anzeige

Zu Besuch beim Bekannten eines Bekannten. Mit nun beiden Bekannten gehe ich in den Keller eines Einfamilienhauses am südlichen Stadtrand von Berlin.

Eigentlich ein trauriger Termin, denn der Vater ist verstorben. Und die Mutter des Bekannten fragt nach, was man denn mit dem enormen Weinkeller anfangen kann, den der Vater hinterlassen hat.

Wir betreten einen Weinkeller, wie er sein muss. Ein nachgebautes rundes Gewölbe, viele Nischen und Regale, alles nach Ländern und Regionen geordnet. Es müssen ein paar tausend Flaschen sein; das Paradies für alle, die sich mit Wein beschäftigen. Ich fange an, mich umzusehen. Gibt es da etwas, das einen besonderen Wert besitzt?

Sicher gibt es das. Gleich finde ich ein paar Flaschen Bordeaux. Jahrgang 1988, 1989 und 1990. Gute Jahre, ordentliche Produzenten, alles noch trinkbar. Auch Italiener lagern hier: Toskana, Piemont, Venetien. Sogar solche aus dem Jahr 1999, eine wirklich gute Ernte. Beim weiteren Sichten bestätigt sich jedoch der Verdacht, dass höchstens ein Fünftel der hier gelagerten Flaschen noch im guten Zustand sein kann. Der Rest ist wahrscheinlich schon Essig. Denn der Vater hat noch nach einem alten Weinverständnis gesammelt. Und das lautet: Rotwein wird besser, wenn er lange gelagert wird. Das stimmt aber nur in den seltensten Fällen.

Es ist erstaunlich, dass sich in Deutschland inzwischen herumgesprochen hat, dass man einen Beaujolais Nouveau nicht fünf Jahre im Keller liegen lassen soll, außer man hat Freude am Experiment. Denn vor zehn Jahren wanderten auch diese Flaschen, die man eigentlich gleich im Produktionsjahr trinken muss, noch in die kühle Dunkelheit. Um dort zu reifen. Was für ein Quatsch.

Nun ist die Geschichte mit dem Beaujolais vielleicht gegessen. Nicht aber der Irrtum mit anderen Weinen. Ein Dolcetto aus dem Piemont, ein einfacher Chianti, ein schlichter Burgunder oder auch ein Rioja Crianza gehören nicht jahrelang gebunkert. Sie werden nur selten besser.

Ein Mandeltraum

Richtig ist, dass man Rotweine (das gilt auch für manche Weißweine) nach dem Kauf ein paar Tage oder auch Wochen ruhen lassen soll. Und dafür ist ein ideal temperierter Weinkeller (zwischen 8 und 14 Grad, die Temperatur muss konstant bleiben) der richtige Ort. Als kurzfristige Zwischenstation.

Die meisten Weinkonsumenten glauben aber immer noch, nur ein richtig alter Rotwein sei ein richtig guter Rotwein.

Doch ist es Tatsache, dass nicht einmal ein Fünftel aller weltweit produzierten Rotweine länger als fünf Jahre Trinkfreude bereiten. Es sei denn, man hat einen Faible für morbide Weine. In England gibt es eigene Clubs für überreife Rebensäfte.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nur Weine aus sehr guten Jahren die Kraft haben, länger als 20 Jahre in guter Verfassung zu bleiben und auch in fortgeschrittenem Alter mit einem eigenen Ausdruck von Größe zu glänzen.

Und auch nur Weine aus bestimmten Gegenden. Sehr grob zusammengefasst sind das Rotweine aus dem Bordeaux, der Burgund und von der Rhone; Rotweine aus dem Piemont, Venetien und der Toskana; wenige Rotweine aus Spanien, Portugal, Kalifornien und Chile, sowie Ausnahmeweine aus Australien. Und neuerdings auch Rotweine aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Bei all diesen Weinen hat der Jahrgang eine wesentliche Rolle gespielt.

Brauche ich einen Wein-Kühlschrank?

Natürlich kann es Ausnahmen geben, natürlich auch aus mittelmäßigen Weinjahren. Selten aber aus schlechten. Ich habe vor wenigen Wochen einen ganz einfachen österreichischen Blaufränkischen getrunken, der 10 Jahre in einem Keller lag. Dieser Wein war erstaunlich frisch und trinkfreudig. Ich bezweifle aber, dass diese Stilistik den meisten Weintrinkern schmeckt. Solche Weine sind und bleiben die Ausnahme.

Rotweine werden also meist zu lange gelagert; Weißweine, vor allem die deutschen, aber zu früh getrunken.

Es ist kurios, dass die deutschen Weinhändler ihre Winzer jedes Jahr aufs Neue beknien, den aktuellen Jahrgang schon ein paar Wochen früher auf den Markt zu werfen, weil der Konsument auf die neuen Weine besteht und schon Mitte März keine Weißweine mehr kaufen will, die älter als ein Jahr sind.

So kommt es, dass große und gehaltvolle Rieslinge, die drei bis fünf Jahre auf dem Buckel haben, nicht mehr verkauft werden, obwohl sie gerade jetzt ihr Trinkvergnügen entfalten.

Tatsache ist, dass die Mehrheit der Winzer und Händler vom frühen Verkauf profitiert. Sicher sind die meisten deutschen Weißweine vergnügliche Jungweine, die man gleich trinken kann. Die Klimaerwärmung jedoch beschert Deutschland immer öfter auch gehaltvolle trockene Weine mit hohem Lagerpotential, die erst nach einiger Zeit ihren Charakter entfalten. Eigentlich müsste der Weintrinker auf diese Veränderung hingewiesen werden.

Doch man hat lieber einen kompletten verkauften Jahrgang am Konto. Und die neuen Weine sollen schnell ausgetrunken werden, damit der nächste Jahrgang bei Verkaufsbeginn mit keinem älteren Jahrgang konkurrieren muss. Es ist ein einfaches, aber falsches System.

So wird der Weingenuss in Deutschland noch eine Zeit lang von Altersrespekt und Jugendwahn geprägt sein. Zwei Irrtümer, die man beseitigen muss.

 

Datum: 29.8.2017 (Update 30.8.2017)
 

Aktuelle Weinempfehlungen