[Dieser Artikel erschien im Frühjahr 2020] Als der Captain neulich mit dem Steillagenwinzer Karl Friedrich Aust aus Radebeul in Sachsen beisammen saß und über die Konsequenzen der globalen Erwärmung für seine Arbeit sprach, mochte sich der nicht ums Verrecken auf Schwarzmalerei einlassen.
Aust wollte seine (reichlich vorhandenen) Haare einfach nicht raufen und sprach gelassen: „Es kommt darauf an, was man aus der Situation macht.“
Aust bleibt konsequent optimistisch. Während man in Polynesien über die Konstruktion schwimmender Städte nachzudenken beginnt, um dem steigenden Wasserspiegel zu trotzen, freut sich dieser Winzer über immer bessere Spätburgunder aus seinen Parzellen am Goldenen Wagen.
Nach 1996 ging es mit uns aufwärts, sagt Aust und meint damit nicht nur sich selbst und seine 7 Hektar Rebzeilen an der Elbe, sondern auch alle anderen Winzer, die in Sachsen Wein anbauen. Es war das Jahr, als Aust die elterlichen Parzellen übernahm und der letzte wirklich schwierige Jahrgang. 1997 fiel der Startschuss einer seither nicht enden wollenden Abfolge guter Jahre für den sächsischen Weinbau, der sich seither über ausgereifte Beeren freut.
Der Goldene Wagen in malerischer Lage ist der Hausberg von Aust, wiewohl der auch von anderen Winzern bewirtschaftet wird. Ganze 37 Rebsorten sind dort zu Hause.
Aust, der jetzt manchem als unsympathischer Klimaprofiteur vorkommen könnte, ist freilich das genaue Gegenteil eines raffgierigen Bauern, dem die Welt rundherum scheißegal ist.
Schon den Flaschen sieht man an, wie wohlüberlegt Aust seine Arbeit verrichtet. Die Ausstattung ist von ästhetischer Präzision. Mit den Weinen des gelernten Steinmetz wird sich der Captain demnächst beschäftigen. Aust ist eine der interessantesten Figuren der deutschen Weinwelt und steht nur deshalb nicht im Fokus, weil Radebeul abseits von allen Trampelpfaden der Weinmedienleute liegt. Aust denkt viel nach und spricht auch so. Seine Weinbergsmeditationen, die um 4 Uhr morgens beginnen, sind ständig ausgebucht.
Zwischen 1961 und 1990 betrug die Durchschnittstemperatur in seiner Region 14 Grad Celsius. 2018 dürfte die 16er-Marke geknackt worden sein, vermutet Aust und könnte damit richtig liegen. Denn Sachsens Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie meldet Temperatur-Höchstwerte, die mit einer Häufung von Trockenheit und Starkregen einhergehen: „Die 22 Jahreszeiten von Sommer 2013 bis Herbst 2018 waren durchgehend alle wärmer und sind damit der längste zusammenhängende Abschnitt seit 1881.“
Die Konsequenzen für Aust? Rebsorten kommen und gehen. Seine Weißburgunderstöcke werden es wohl nicht mehr lange in der Steillage machen, meint Aust und denkt ans Ausrupfen: „Die Weine von dort werden mir zu beerig.“
Von den neuen Verhältnissen in Sachsens Weinbau künden zwei außergewöhnliche Rotweine, die der Captain kürzlich probierte. Auch mit diesen Winzern muss ich mich näher beschäftigen:
Der Captain macht einen Riesensprung an die Nordsee. Vor steigendem Meeresspiegel und überreifem Obst haben die Leute auf der Insel Föhr (noch) keine Angst. Bei Springtide, wenn sich Sonne, Mond und Erde auf einer Geraden befinden und obendrein der Wind entsprechend weht, steht seit Jahrhunderten einiges unter Wasser.
Doch die Rebstöcke vom Weingut Waalem bleiben von der Flut verschont. Eine künstlich angespülte Düne am nahen Strand schützt die Wurzeln vor Salzwasser, der nahe Nadelwald vor heftigem Wind.
Das Weingut gehört zu einem Bauernhof mit Ackerbau (Weizen, Gerste, Mais, Hafer), Biogas und Milchvieh. Später kamen die Hotelgäste und 2008 der Wein.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte der Pharma-Milliardär Frederik Dag Arfst Paulsen die Insel seiner Familie, die von den Nazis vertrieben wurde und in Schweden eine neue Heimat fand, für sich wiederentdeckt. Seitdem zahlt er viel Geld für den Betrieb eines Kunstmuseumsund ließ sich als Winzer mit pompös ausgebautem Herrensitz nieder.
Die Rebsorten Solaris und Johanniter gedeihen bei rauem Nordseeklima bestens im aufgeschwemmten Meeresboden aus Sand und Ton. Beide wurden im staatlichen Weinbauinstitut Freiburg gezüchtet, um dem verhassten Pilzbefall zu trotzen. Der Durchbruch beim großen Publikum blieb jedoch aus.
Solaris und Johanniter bedecken in Deutschland jeweils rund 50 Hektar Land.
Der schöngeistige Paulsen gilt als einer der reichsten Männer Skandinaviens. Zum Getränkereich des Mannes gehört (neben Waalem) umfangreicher Besitz in Georgien (Spirituosen und Wein) und die Unternehmensgruppe Schlumberger mit der gleichnamigen Sektmarke in Österreich und einer deutschen Weinvertriebsgesellschaft, die ebenfalls unter dem Namen Schlumberger firmiert. Das alles wird über eine Schweizer Gesellschaft von einer Stiftung kontrolliert, die auf den Bahamas sitzt. Mit freundlichen Grüßen an die Finanzämter Europas.
Hier schreibt der Captain über einen neuen Premiumsekt, der Ende 2019 von Schlumberger in Wien lanciert wurde:
Die skandinavische Fnanzpresse taxiert das Vermögen Paulsens auf über 5 Milliarden Euro. Der ausgewiesene Rotwein-Kenner tritt in Interviews dezent und bescheiden auf. Seine Entourage agiert ruppiger, wie man in der → friesischen Regionalpresse nachlesen kann.
Inselbauer Christian Roeloffs hatte schon länger mit der Idee vom nordischen Weinbau gespielt. Frederick Paulsen machte es möglich. Nebenan auf Sylt gedeiht ja auch Wein auf zwei Parzellen. Eine davon gehört dem Weingut Balthasar Ress in Eltville am Rhein. Die Mini-Lese wird zu Hause im Rheingau verarbeitet und ist eher ein Marketing-Gag, der bei wohlhabenden Touristen gut ankommt.
Von Pioniergeist befeuert legten Paulsen und Roeloffs los. Man pflanzte jedoch zu viele Weinstöcke an und musste alles wieder ausreißen. Verboten!
Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, in dessen Amtszeit die Schleswig-Holstein-CDU hohe → Parteispenden aus dem Geldspeicher von Paulsen erhielt, soll den weinrechtlich nicht unkomplizierten Weg für die Rebpflanzungen auf Föhr geebnet haben. Später wurde Carstensen „Berater“ des Weinguts.
2008 ging es endlich los. Roeloffs-Sohn Lenz frohlockte. Schon zu Schulzeiten befiel ihn der Weinvirus. Lenz absolvierte Praktika auf Weingütern und schreib sich zum Weinbaustudium an der Hochschule in Geisenheim ein.
Der Weinbau verlagert sich nach Norden. Das wurde dem Captain so richtig bewusst, als er im Herbst 2018 ganze 10 Tage im Anbaugebiet Südtirol verbrachte und erlebte, wie die Weinbauern mit der Hitze kämpfen.
Weißweine unter 13 Volumenprozent sind dort eher selten. Während im Süden die ersten traditionellen Weinbauflächen wegen Trockenheit aufgegeben werden (zum Beispiel im oberen Dourotal Portugals) und Winzer immer häufiger unter Wetterextremen wie Hagel, Frühlingsfrost und Starkregen leiden, eröffnen sich im Norden neue Chancen. Zu viel Zucker und zu wenig Säure in den Beeren ist hier gar kein Problem.
Wie zum Beispiel die Champagne mit dem Klimawandel umgeht, besprach der Captain mit Kellermeister Frédéric Panaïotis von Ruinart:
Folgende Regionen Europas markieren die Experten vom ipcc (Intergovernmental Panel On Climate Change) als Boom-Gebiete für künftigen Weinbau: alles um die Städte Eastbourne und Oxford (Südengland), Geisenheim, Zielona Góra (Polen, ca. 100 Kilometer von Cottbus entfernt), Maastricht (Holland), Gotenborg (Schweden) und Aalborg in Dänemark.
Weniger glänzend fällt jedoch der Ausblick für bestimmte Rebsorten aus. Wenn nämlich die durchschnittliche Temperatur innerhalb der Wachstumsperiode gegen 16 Grad Celsius tendiert, geht es für Müller-Thurgau, Grauburgunder und Gewürztraminer steil bergab. Für unseren geliebten Riesling wird es ebenfalls eng.
Die Frage nach der passenden Sorte war für die Roeloffs auch der Punkt, an dem sie sich nicht mehr auf die eigene Erfahrung als alteingesessene Bauern verließen. Damit das Projekt nicht im Amateurstatus versandet, suchten sie nach Hilfe von außen. Die war in Gestalt von Weingutsberater Jens Heinemeyer bald gefunden.
Der Pinot-Noir-Winzer aus Assmannshausen befüllt in seinem kleinen Betrieb Solveigs ca. 6.000 Flaschen pro Jahr mit feinstem Zeug aus steilen Lagen und gilt unter Spätburgunder-Freaks als Geheimtipp. Nebenbei verdingt sich Heinemeyer als Cool-Climate-Experte für Weinbau in ungewöhnlich Breiten. Zum Beispiel an einem Fjord bei Oslo, wo er bei der Sektherstellung hilft.
Warum gerade Johanniter und Solaris, die ja nicht gerade Feinschmeckers Lieblinge sind? Heinemeyer: „Große Weine wachsen immer dort, wo eine bestimmte Sorte gerade noch ihre Reife erreicht. Jeder, der schon mal Riesling aus Südeuropa probierte, versteht, was ich meine.“
Jens Heinemeyer experimentiert schon seit 20 Jahren mit neuen Rebsorten und glaubt fest daran, dass manche zu Höherem berufen sind. Er rät, die Entwicklung bei Waalem abzuwarten.
Das wollte der Captain nicht und trank den Föhr-Sekt Waalem Brut aus 100% Johanniter-Grundwein und notierte: In der Nase Bellini, also Aprikose und Schmelz. Dann heller Honig, ein trockenes Brioche. Die Perlage prickelt fein auf der Zunge. In der Mitte gelbes Steinobst, am Rand Zitrusnoten, etwas Litschi, ein bisschen Stachelbeere, Salatgurke, Estragon. Im Abgang nochmal Stachelbeere und fein gemahlenes Salz. Ein vollmundiger, gemütlicher Sekt, der von Dosagezucker zusammengehalten wird.
Die Lese 2018 brachte 10.000 Liter Most für das Weingut Waalem, das sich mit einem Eisbär-Logo schmückt. Winzersohn Lenz Roeloffs zum Captain: „Weil das ein starker Einzelgänger ist, so wie wir.“
Die Roeloffs vergrößern derzeit ihre Anbaufläche von 3,5 auf 5 Hektar, denn Waalem ist regelmäßig ausverkauft. Touristen, die im Sommer nach Föhr kommen, greifen gerne zu, obwohl dieser Trank alles andere als billig ist.