Der Mann ist eine coole Socke und könnte genauso gut Chefdesigner eines hippen Modelabels sein. Frédéric Panaïotis scheint wie gemacht für die Führungsposition in der Tochterfirma eines milliardenschweren Luxuskonzerns. Das Haus Ruinart gehört zu LVMH, dem Reich von Bernard Arnault, der neulich versprach, dass er 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau von Notre Dame spenden wird.
Arnauld gebietet über weitere Champagnermarken, nämlich Moët & Chandon, Mercier, Dom Pérignon, Veuve Clicquot, Krug und ein paar Weingüter. Zum Beispiel Cloudy Bay in Neuseeland. Für Getränkenachschub ist auf jeden Fall gesorgt.
Aber das soll hier nicht das Thema sein. Sondern das gute Wetter. Beziehungsweise das zu gute Wetter.
Denn das mach sich auch in der Champagne bemerkbar, bestätigt Thibaut Le Mailloux, der für das mächtige Comité Champagne spricht. Das ist die Lobby-Organisation aller Champagnerproduzenten. Thibaut am Telefon zum Captain: Wir tun alles, um den Champagner-Style zu erhalten. Den Boden können wir nicht verändern, aber die Methoden von An- und Ausbau.
In den vergangenen 30 Jahren sei die Durchschnittstemperatur um 1,1 Grad Celsius gestiegen, sagt Thibaut. Seit 2010 forscht man in der Champagne mit Kreuzungen nach neuen Rebsorten, die sich den veränderten Klimabedingungen besser anpassen. Was müssen die können? Langsamer reifen, Säure halten und resistent gegen Krankheitsbefall sein. Wir pflanzen gerade 200 Rebstöcke mit neuen Sorten, davon werden wir vier bis fünf selektieren und weiter testen. Es wird noch Jahre dauern, bis man daraus Wein machen wird.
Auch der deutsche Anwalt und Champagner-Experte Boris Maskow sieht die Zukunft des Champagner in neuen Rebsorten: Die Hitze setzt am ehesten dem Pinot Noir zu. In 15 bis 20 Jahren, wenn es also richtig ernst wird, gibt es aber sicher neue Kreuzungen, die sich den Temperaturen besser anpassen. Die spät austreibende Sorte Meunier profitiert vielleicht sogar.
Und wie gehen die Champagnerwinzer schon heute mit dem Klimawandel um? Der Captain traf zum Berliner Gallery-Weekend Ruinart-Kellermeister Frédéric Panaïotis, der in der Champagne geboren ist. Mit seinen Jahrgangschampagnern aus der Dom-Serie reißt Ruinart selbst kritische Kenner regelmäßig vom Hocker. Die Markenstrategen des Hauses rücken die bauchigen Flaschen des Hauses gerne ins sanfte Licht von Kunstgalerien. Zurzeit fördert Ruinart den brasilianischen Kurator und Künstler Vik Muniz, dessen großformatige Bilder von knorrigen Rebstöcken jene trockene Hitze spüren lassen, vor der man sich langsam zu fürchten beginnt.
Kellermeister Panaïotis ist begeisterter freediver. Das sind Menschen, die ohne Flaschen tauchen und unglaublich lange die Luft anhalten können, was eine sehr spezielle Konstitution voraussetzt. Wenn man sich ansieht, wie Frédéric Panaïotis agiert, gewinnt man einen guten Eindruck, aus welchem Holz der Mann geschnitzt ist.
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Ruinart ist das älteste noch existierende Champagnerhaus der Welt. Es wurde 1729 von Nicolas Irénée Ruinart gegründet, Neffe des Benediktinermönchs und Märtyrer-Experten Dom Thierry Ruinart, der als einer der ersten mit der Herstellung von Champagner herumexperimentierte. Gosset (gegründet 1584) ist zwar viel älter, hat aber erst später damit begonnen, Wein mit prickelnder Kohlensäure herzustellen. Natürlich weiß der Captain, dass Dom Perignon als allererster Kohlensäure in den Wein brachte, aber der war nunmal ein kleines Mönchlein und bis heute ist Dom Perignon kein Haus, sondern nur eine Marke, die zum Reich von Moët & Chandon gehört.
Einen kurzen Blick auf die (teilweise von Deutschen geprägte) Geschichte des Champagners wirft der Captain in diesem Artikel:
Fast machte ein deutscher Weinkenner der Firma Ruinart den Garaus. Otto Kläbisch (man nannte ihn den Weinführer) war Hitlers Generalbeauftragter für Weine aus Frankreich und organisierte die Plünderung der Champagne. Nach dem Abzug der Wehrmacht waren in den Kellern von Ruinart nur noch 10.000 Flaschen übrig und die Firma so gut wie pleite. Bertrand Mure, ein Verwandter aus der verzweigten Ruinart-Familie, rettete den Laden. Kläbisch war übrigens Schwager von Hitlers unterwürfigem Außenminister Joachim von Ribbentrop, der vor seiner Nazi-Karriere als Deutschland-Repräsentant der Champagner-Häuser Mumm und Pommery diente und später Anneliese Henkell aus der gleichnamigen Sektdynastie heiratete.
Zurück zum Thema. Steigende Temperaturen sind ein entschiedener Feind von Säure im Wein. In südeuropäischen Anbaugebieten ist das schon ein existenzbedrohendes Problem. Denn wenn die Trauben nicht in Ruhe ausreifen, weil man sie früher lesen muss, um der Säure nicht verlustig zu gehen, fehlt später im Wein die Struktur. Ganz verkürzt ausgedrückt.
Erfrischende Säure ist das Um und Auf bei der Schaumweinerzeugung. Erst recht, wenn man so drauf ist wie die von Ruinart. Denn die typische Ruinart-Stilistik heißt Frische durch konsequent reduktiven Ausbau der Grundweine. Also wenig Oxidation, kein Holz.
Frédéric, wie schmeckt der Klimawandel-Champagner der Zukunft? Wenn ich das nur wüsste! Es heißt, wir bekommen bei 1 bis 1,5 Grad Erwärmung noch keine großen Probleme, wenn wir diverse Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel die Trauben weiter oben am Rebstock wachsen lassen, um der Bodenhitze zu entgehen, und die Laubarbeit so gestalten, dass wir mehr Schatten haben. Wir experimentieren noch. Wenn die Temperatur stärker steigt, haben wir wahrscheinlich immer noch weniger Probleme als die meisten anderen Anbaugebiete auf der Welt. Ich denke, wenn es richtig ernst wird, dann hat die Menschheit sowieso andere Sorgen als sich um Wein zu kümmern.
So weit weg sind die Probleme aber gar nicht mehr. Es gibt Regionen, wie zum Beispiel am portugiesischen Teil des Douro, wo Weinberge wegen anhaltender Trockenheit bereits aufgegeben werden. Von diesem Horrorszenario ist die Champagne noch weit entfernt… Ja, glücklicherweise speichert die Champagne dort sehr gut Wasser, wo viel Kalk den Boden prägt. Diesbezüglich gibt es kein Problem. Aber der Klimawandel ist mehr als Wassermangel. Zum Beispiel steigende Temperaturen.
Steigt die Temperatur im Boden, verringert sich die Viskosität des Wassers und die Gefäße in den Wurzeln leiten die Feuchtigkeit nicht mehr so gut nach oben. Kann man solche Veränderungen bereits schmecken? Natürlich, der Klimawandel verändert den Wein. Dem versuchen wir entgegen zu wirken. Das geschieht durch verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel Gras, das zwischen den Rebzeilen wächst, um den Boden zu beschatten. Auch das verleiht dem Wein eine andere Struktur, die ich im Mund spüre.
Machen Sie sich Sorgen um die Frische im Champagner? Um Gottes Willen, nein. Sogar im heißen Jahr 2018 hatten wir Säurewerte, die uns ganz entspannt machten. Möglicherweise werden wir Probleme kriegen, aber erst in 30 Jahren. Zurzeit sind wir noch im grünen Bereich.
Auch der Stickstoff in der Luft hinterlässt seine Spuren. Es heißt, gestiegene CO2-Konzentrationen beeinflussen die Ausbildung der Phenole. Also jener Stoffe, die im Wesentlichen für den Geschmack von Wein verantwortlich sind… Wir tun eine Menge, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Seit 2019 recyceln wir 100 Prozent unseres Plastikmülls.
In manchen deutschen Regionen ist man sogar ganz froh über den Klimawandel. Zum Beispiel in Sachsen, wo früher die Trauben oftmals nicht genug Zeit zum Ausreifen hatten… Das ist bei uns ähnlich. Wir profitieren sogar vom Klimawandel. Noch. 2018 war das heißeste und trockenste Jahr seit langem. Die Lese 2018 war von großartiger Qualität. Früher gab es pro Jahrzehnt drei oder vier Mal Jahrgangschampagner-Qualitäten. Heute sind es 8 bis 9 Mal. Aber die Zeitspanne zwischen Blüte und Lese wird immer kürzer und wenn das so weitergeht, verlieren wir Eleganz im Wein. Warme, regenreiche Winter, die viel Wasser und eine frühe Blüte bringen, sind gefährlich, wenn plötzlich wieder Frost kommt, der die jungen Triebe zerstört.
Sie forschten 12 Jahre lang nach dem idealen Weinverschluss. Neuerdings lassen Sie nach der ersten Gärung ihre Flaschen unter Naturkorken reifen, anstatt unter Kronkorken aus Metall. Das ist interessant… Ja, aber wir kennen die Auswirkungen noch nicht. 2022 kommt der erste Jahrgang auf den Markt, der unter Kork gereift ist. Ich habe schon probiert, da ist ein großer Unterschied! Der Stil schmeckt definitiv besser. Und er ist sanft-reduktiv, so wie wir es schätzen.
Keine Angst vor TCA, dem gefürchteten Korkschmecker? Man muss es unter Kontrolle haben. Die Zahl der Problemflaschen bleibt unter 1%.
Es gibt noch keinen Zero Brut von Ruinart, obwohl null Dosage gerade als sehr hip gilt. Ist da was in Planung? Vielleicht. Wahrscheinlich nicht total null, aber nahe daran. Die meisten Konsumenten wollen ein bisschen Süße. Aber vielleicht ändert sich das ja noch, wenn der Klimawandel die Stilistik der Weine verändert. Zero Dosage ist auch eher was für Meunier und Pinot Noir, wenn sie einen geschliffenen Stil mit hoher Säure wollen. Mit Chardonnay gelingt das aktuell am besten in Franciacorta. Die Hersteller dort bekommen eine wunderbare drinkability hin.
Welche deutschen Weine mögen Sie? Da gibt es einige. Ich bin großer Rieslingfan. Ich bewundere Dönhoff. An der Mosel liebe ich die Weine von meinem Freund Ernst Loosen. Die wertvollsten Flaschen in meiner privaten Sammlung neben Champagner sind Rieslinge. Dann Markus Molitor und Fritz Haag, ich habe sicherlich Namen vergessen. Und man hört große Dinge über eure Pinot Noirs.