Josephshöfer Monopol Riesling Auslese Goldkapsel
[Dieser Artikel erschien im März 2020] Atemberaubende Landschaften: Das untere Ruwertal bei Trier an der Mosel ist zuallererst ein Augenschmaus.
Das Anbaugebiet ist ganz leicht zu erreichen, wenn man schon mal in der alten Römerstadt ist. Ein paar Kurven weiter und man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Wälder und Weinberge liegen da wie hingemalt. Keine Schnellstraße zerstört das Bild, auch Windpropeller sah der Captain nicht. Man kann gar nicht lange genug hinschauen. Bis die erste Flasche geöffnet wird.
Im vergangenen Herbst war der Captain im 180-Hektar-Weingebiet Ruwer, das bislang der Mosel zugeschlagen war und neuerdings (weinrechtlich) wieder mehr Eigenständigkeit genießt.
Denn die deutsche Weinbürokratie machte eine Rolle rückwärts und erlaubt seit dem Jahrgang 2019 die Herkunftsbezeichnung Ruwer wieder aufs Flaschenetikett zu drucken, was bisher verboten war. Danke für dieses mutige Lebenszeichen unserer vollversorgten Staatsdiener!
Knapp zwei Dutzend Weingüter in acht Weinbaugemeinden namens Waldrach, Kasel, Mertesdorf, Riveris, Sommerau, Morscheid, Eitelsbach und Trier-Ruwer füllen hier ihre Ware ab.
Darunter bekannte Namen wie Maximin Grünhaus, Erben von Beulwitz, Karthäuserhof und Reichsgraf von Kesselstatt. Ruwer-Weine zeichnen sich durch ausgeprägte Mineralik aus.
Weinkenner schreiben das dem harten, dunklen Schieferboden und einem ausgesprochen kühlen Mikroklima zu, das in der Vergangenheit immer wieder die komplette Ausreifung der Traube verhinderte. Damit ist es jetzt aber vorbei. Die Ruwer-Winzer zählen zu den Begünstigten der Erderwärmung und ernten von Jahr zu Jahr besseres Material. So weit, so schön.
Der Captain stoppt seinen biederen Vortrag, denn eigentlich will er über einen aufregenden Wein schreiben, der gar nicht hierhergehört, obwohl er aus dem Ruwer-Haus Reichsgraf von Kesselstatt kommt. Es handelt sich um edlen Riesling aus der Lage Josephshöfer bei Graach an der Mittelmosel.
Der ganze Josephshöfer-Weinberg gehört Kesselstatt und wird deshalb Monopol-Lage genannt. Wer hat, der hat. Der Boden besteht aus verwittertem Schiefer und viel Erde. Er ist schwer als sonst an der Mosel üblich und gebärt würzigen Stoff.
Seit Hunderten Jahren keltern die jeweiligen Besitzer des Weinguts Rebensäfte. Ihre Rebstöcke gedeihen auf weltberühmten Weinbergen. Darunter: Piesporter Goldtröpfchen, Wehlener Sonnenuhr (Mosel), Scharzhofberger, Wiltinger Gottesfuß (Saar), Kaseler Nieschen (Ruwer). Und eben Josephshöfer.
Die jüngere Geschichte des Hauses beginnt in den 1980ern mit der vermögenden Familie Reh, die das Weingut zu neuem Glanz führte.
Nach dem Tod der allseits verehrten Terroir-Kämpferin und Botschafterin der neuen Mosel Annegret Reh-Gartner im Jahr 2016 ging der Betrieb in der Schloss Wachenheim AG auf, die zu den größten Schaumweinproduzenten der Welt gehört und knapp 340 Mio. Euro Umsatz schreibt.
Annegret Reh-Gartner behauptete sich in einer Zeit, als Winzerinnen an der Mosel noch Exotenstatus genossen. Aus New York ist ein Zitat am Rande einer Weinpräsentation überliefert, das eindrücklich von der Persönlichkeit dieser Frau zeugt, die Weinbau nicht als Reichen-Hobby, sondern beinharte Lebensaufgabe sah:
Wenn Leute meinen Weinen Komplimente machen, sagen sie manchmal, dass sie nett sind. Dann antworte ich ihnen: ‚Bullshit!‘
Zu den Produkten des deutschen Weinkonzerns gehören die Billigsekt-Marke Faber und ein alkoholfreier Schäumer namens Light Live. Auch im Handel sind die Wachenheimer aktiv. Zu ihrem Reich zählt unter anderem der Hamburger Weinhandel Rindchen’s Weinkontor.
Komm zum Thema, Captain oder machst du schon wieder einen auf Handelsblatt, schallt es aus dem unteren Deck.
Also bitte: Die behäbige Düsseldorfer Wirtschaftszeitung hat der Captain bei der Reichweite schon bald überholt. Eher schon Wall Street Journal. Große Ziele braucht der Mensch!
Wein-Geschichte: Der vier Hektar große und sehr steile Josephshöfer gehörte ab 975 zur Trierer Benediktiner-Abtei St. Martin, die ab 1174 hier ein Weingut unterhielt. Matthias Joseph Hayn aus Trier ersteigerte 1810 den Hof und nannte das Weingut Josephshof. Sein Schwiegersohn jedoch verkloppte 1885 alles an den Grafen von Kesselstatt. Der gab ordentlich Gas und machte das Weingut zu einem weltweit gefragten Lieferanten von Edelzeug.
Damals und bis in die 1960er Jahre war das Mosel-Klima wärmer. Dann drängte eine Kälteperiode die Region an den Rand der Bedeutungslosigkeit. Erst seit Ende der 1990er-Jahren wird es hier wieder gemütlich, vor allem für Weinbeeren.
Das alles lernt man, wenn Saar-Winzer Roman Niewodniczanski einen seiner atemlosen Vorträge hält. Vor allem Niewodniczanskis kluger Wette auf den Klimawandel ist der sagenhafte Aufstieg des nahegelegenen, prachtvollen Weinguts VanVolxem zu verdanken. Neben viel Fleiß und einem Batzen Startgeld.
Kesselstatt-Weine waren der Hit, dass sogar die Reederei der Titanic Flaschen für die Jungfernfahrt bestellte, die aus Trauben vom Josephshöfer gekeltert wurden. Es gab an Bord aber auch Weine von anderen Winzern der Mosel, heißt es. Zum Beispiel Trabener Würzgarten und Piesporter Goldtröpfchen vom Weingut Langguth in Traben-Trarbach.
Angeblich ein kompletter Riesling-Jahrgang vom Josephshöfer lagerte im Schiff und harrte dem Verzehr durch die Damen und Herren der High Society. Neben Rheinwein aus Rüdesheim und Champagner von der Saar, der damals noch so heißen durfte, weil erst mit den Verträgen von Versailles deutschen Winzern der freche Gebrauch dieser Herkunfstbezeichnung verboten wurde.
Wie es auf der Titanic beim Diner mit deutschem Champagner zuging, sieht man hier:
Wer weiß schon, wie die Weine damals schmeckten? Angeblich viel süßer als heute, hört man immer wieder.
Kesselstatts noble Josephshöfer Beerenauslese soll den versunkenen Schätzen im Wrack der Titanic ziemlich nahekommen.
Das vermutet Kesselstatt-Geschäftsführerin Mona Steffen. Der Captain stimmt natürlich zu. Was soll er auch anderes tun? Sonst wäre ja seine schöne Story im Eimer und die ganze Verkosterei für die Katz. Naja, nicht ganz.
So schmeckt also der edelsüße und goldfarben schimmernde Josephshöfer Riesling Auslese Goldkapsel, die der Captain im Herbst 2019 im Verkostungsraum von Kesselstatt gemeinsam mit Frau Steffen und Kesselstatt-Kellermeister Wolfgang Mertes (der an der Ruwer nebenher sein eigenes kleines Weingut betreibt) die Kehle hinabrinnen ließ: In der Nase sinnlicher Odeur einer aufgeschnittenen Birne, gebrannte Mandeln, getrocknete Aprikosenscheiben. Dann viel weicher Schmelz und eine gewisse Kühle, die sich tief in den Rachenraum zieht. Man möchte ewig weiterschnüffeln und versteht die Faszination, welche die süßen Moselaner von jeher auf ihre Fans ausüben. Im Mund geniale Süße mit dieser berühmten, schmutzigen Rauheit und belebend-fruchtiger Frische. Ich schmecke Apfelscheiben, wieder Aprikose, Dörrobst, dunkle Brotkruste, einen Spritzer Altbier. Dann braunen Honig, Rauch und Meersalz. Was für ein morbider Genuss, der minutenlang am Gaumen haften bleibt!
Die noble Auslese ist natürlich alles andere als billig. Sie kostet ab Weingut 58 Euro.
Das ist eine schlechte Nachricht für meine deutschen Spartrinker, obwohl sie jeden Cent und eigentlich viel mehr wert ist. Erst recht, wenn man diesen Wein neben einen vergleichbaren Franzosen aus dem Sauternes stellt.
Wer hingegen seine Pfennige für die nächste Flasche Motoröl zusammenhalten will, und dennoch guten Josephshöfer-Wein mit einem Hauch Endzeit-Grusel spüren möchte, greift zum leistbaren Josephshöfer Riesling Kabinett feinherb für unter 15 Euro, den der Captain ebenso sorgfältig und ganz im Dienste seiner Leser verkostete:
In der Nase opulenter und gelbfruchtiger Schmelz. Ich rieche Honigmelone, Pfirsich, Mandarine, Mango, Orangenblüte, Feuerstein-Mineralik und schmecke viel gelbes, sonnengereiftes Obst, das sich gegen kräutrige Kühle stellt. Großartige Balance, wunderbarer Trinkfluss. Im Mund mineralisch-würzig, dabei raumgreifend fruchtig und mit schönem Süße-Säure-Spiel, das in einem zart-malzigen Finale endet.