Kaseler Nies'chen Riesling Auslese Alte Reben
Meine Geschichte könnte ich in etwa so beginnen: Neulich beim Festmahl mit Kollegen im Hotel Weis zu Mertesdorf an der Ruwer, ganz dicht bei Trier. Der Patron hatte das Beste aufgeboten, was seine Köche vermögen. Und wie im Finale einer Symphonie, wenn der Komponist noch einmal alle Schönheit seines Werks am Zuhörer vorbeiziehen lässt wie der Wind einen wattigen Nebel übers Land treibt und dann alles verweht, so kam auch dieses Mal das Beste zuletzt – eine Apfeltarte nebst Tresterparfait, begleitet von einer 2009er-Auslese des Weinguts Erben von Beulwitz, das dem Patron ebenso gehört wie das Hotel. Ein Riesling mit einer barocken Fülle von Aromen, dem wahrlich nichts anderes mehr folgen konnte als noch der eine oder andere Edelbrand.
Diese Erzählung könnte aber auch so beginnen: Vor gar nicht mal so langer Zeit schrieb ich für den Captain einen Text über gereifte Weine und forderte Respekt für die Senioren aus Fuder, Barrique und Edelstahl ein:
Denn Riesling, Spätburgunder und Artgenossen in den besten Jahren sind wie Gesichter, in die ein langes Leben seine Spuren eingravierte. Sie erzählen Geschichten, wenn man sie nur lässt. Hier wird deutlich, dass gute Weine etwas mit Menschen gemein haben. Sie entwickeln im Lauf der Jahre eine komplexe Persönlichkeit mit ausgefeilter Struktur. Da kommt zur weichen Süße immer noch eine gewisse Würze und feine Saftigkeit – wie bei der Riesling-Auslese Alte Reben vom Kaseler Nies’chen (nur echt mit Apostroph) aus dem Jahrgang 2009. Dieser Wein fordert Ehrfurcht ein. Denn er kommt von 100 bis 120 Jahre alten Rebstöcken (vermuten die Weingutsbesitzer), knorrigen Gewächsen, vor ewigen Zeiten gepflanzt.
Entscheidet jetzt einfach selber, welcher Anfang euch besser gefällt.
Kaseler Nies’chen, das ist kein kurzer Schnupfen. Der Name der Lage ist die mundartliche Verkleinerungsform des Vornamens Agnes (das kleine Agneschen, Agnischen, Nieschen, Nies’chen) und geht auf eine Ruwertaler Legende zurück. Ein Mädchen namens Agnes, Tochter reicher Weingutsbesitzer, soll es arg schwer gehabt haben, einen Ehemann zu finden, worauf es begann, Rebruten in Herzform zu binden – und prompt einen Gatten fand. Das Nies’chen umfasst eine südsüdwestlich ausgerichtete, durch Schieferverwitterungsböden geprägte 16,8 Hektar-Fläche bei Kasel, auf der hauptsächlich Riesling angebaut wird. Auf das Weingut Erben von Beulwitz entfallen 2,7 Hektar.
Meine Riesling-Auslese Alte Reben vom Kaseler Nies’chen 2009 setzt den Ton, was Schönheit in ihrer flüssigen Form betrifft. Sie ist nicht so ganz eindeutig, weder süß noch herb oder fruchtig, aber alles davon zugleich. Das ist vielleicht nicht so bedeutsam. Wichtiger scheint mir die Intensität, mit der dieser Stoff den Mundraum durchtränkt und die Poren mit Geschmack flutet. Da lässt es der Riesling aus Mertesdorf an nichts fehlen und macht zugleich deutlich, was Süßweine dieser Klasse zu Wunderwerken an Sinnlichkeit und Präzision macht.
Schon die dunkle, goldgelb leuchtende Farbe erfreut die Sinne. In der Nase und vor allem auf der Zunge packt dieser Riesling so richtig aus. Diese Frische! In puncto Kraft und Biss hat der Wein in all den Jahren nicht nachgelassen. Der Saft von Äpfeln und Limetten durchtränkt sofort alles. Dann entfaltet sich die Eleganz. Vor allem Pfirsich und Mirabelle, aber auch die leicht herbe Süße von Waldhonig verleihen dem Geschmack eine gewisse Noblesse, die von einem nur hauchzart angedeuteten Alterston begleitet wird. Die Auslese aus dem Hause Erben von Beulwitz (mit 112 Gramm Restsüße pro Liter und 8,5 Gramm Säure) besitzt rundum Ausstrahlung und versteht sich – wie eine Dame von Adel – auf die Kunst des großen Auftritts. Dabei zeigt sie auch noch Temperament und funkelt den Genießer vom ersten Augenblick an, um ihn nicht mehr loszulassen. Sie hat jugendlichen Charme, wirkt zu keinem Zeitpunkt müde, sondern strotzt vor lebendiger Eleganz. Winzer Herbert Weis ist hier ein Wein mit Zügen von Größe gelungen.
Eine gereifte Auslese wie diese verbindet im Grunde das Beste aus zwei Welten. Zum einen ist sie unumschränkt süß, zum anderen hat sich im Zuge des Reifeprozesses das Geschmacksbild weitgehend geklärt und aromatische Schnörkel abgestreift. Der Wein ist jetzt ganz bei sich. Das macht diese Begegnung auch so spannend. Die Vielfalt edler Aromen, das Aufeinandertreffen von balsamischer Süße und herber Würze (schon von daher die Parallele zum Honig) auf wenigen Dezilitern. Das alles erhebt diesen Genuss über jede banale Alltäglichkeit.
Das Weingut Erben von Beulwitz wurde 1867 in Mertesdorf an der Ruwer unweit von Trier gegründet und befindet sich seit 1982 im Besitz der Familie Weis, die in den Lagen Eitelsbacher Marienholz, Mertesdorfer Herrenberg, Kaseler Kehrnagel und Kaseler Nies’chen auf insgesamt sieben Hektar Anbaufläche Riesling, Weiß- und Grauburgunder hegt und pflegt. Winzer Herbert Weis setzt auf ökologisches Arbeiten, wenngleich er nicht zertifiziert ist. So verzichtet er seit Jahren auf den Einsatz chemischer Unkrautbekämpfung und sät im Weinberg Wildkräuter aus, um den Boden lebendig zu erhalten. Schonendes Pressen und langsame, gekühlte Gärung der Moste sollen helfen, im Keller ein optimales Ergebnis zu erreichen. Zum Weingut gehört außerdem noch ein schmuckes Hotel mit 48 Zimmern.