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Mike Grgich: in dubio pro Chardonnay

Mike Grgich *1923
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Der Captain erzählt die Geschichte eines weltberühmten Weinmachers, in dessen bewegtem Leben auch Deutschland eine kleine Rolle spielte.
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Der Captain tippt seinen Artikel im Zug von München nach Berlin in sein mitgebrachtes Laptop rein. Glutrot versinkt der Sonnenball am Horizont. Es ist 20:22 Uhr.

Mit an Bord: Eine Flasche Chardonnay aus Kalifornien. Es ist der berühmte Estate Chardonnay von Grgich Hills, der im mitgebrachten Glas hin und herschwankt: Im Glas sattes Gelb mit silbrigem Glanz. In der Nase deutliche Noten nach Meeresfrüchte-Platte. Das ist köstlich! Dann Bittermandel, Orangenschale, Banane und Birnentarte. Ich nehme einen Schluck und schmecke: Salz! Dann zitrige Noten mit pikantem Säurezug. Es folgen Grapefruit und Ananas, frische Gartenkräuter – vor allem Estragon. Dann warme und rauchige Noten nach Bratapfel und Karamell. Hier ist nichts zart, aber alles perfekt balanciert und auf Kante genäht. Dieser Wein ist keine Speisenbegleitung, sondern das Hauptgericht.

Hills bedeutet in diesem Fall nicht Hügel, was bei einem Weingut naheliegen würde. Austin Hills heißt der Mitgründer des Weinguts an der Seite von Miljenko Grgić, der im Jahr 1976 plötzlich Superstar der Weinwelt wurde, weil ein Chardonnay, den er zubereitet hatte, einen Wettbewerb zwischen amerikanischen und französischen Weingranaten gewann. Das Ereignis ging als Urteil von Paris in die Weingeschichte ein.

Mike Grgich (der Mann simplifizierte später seinen kroatischen Namen) wurde zur Verkörperung des amerikanischen Traums.

Der heute 98-jährige Grgich verließ 1954 das kommunistische Jugoslawien, um sein Glück zu suchen. Er schlug sich als junger Önologe mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in deutschen Betrieben durch (leider ist es unmöglich herauszufinden, wo er war) und gelangte über Kanada nach Kalifornien.

1958 kam er praktisch mittellos im Napa Valley an. Aber Grgich wusste, wie man Wein macht. Zu einer Zeit, als es dort noch nicht viele Weinmacher gab. Innerhalb weniger Jahre erwarb er sich einen guten Ruf, indem er wichtige Aufgaben in mehreren bekannten Weingütern übernahm.

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Ein Beitrag geteilt von Grgich Hills (@grgichhills)

Miljenko Grgić (Geburtsname) war das jüngste von elf Bauernkindern. Nach altem Brauch hätte man ihm den Namen eines nahen Verwandten verpassen müssen, aber seinen Eltern fiel kein Name mehr ein. Alle verbraucht. Was tun? Mein Vater erhielt jedes Jahr einen Brief von meiner Schwester in Amerika. Sie schickte ihm immer 5 Dollar, erzählte Grgich einem Journalisten. Er war Analphabet. Es war die einzige Post, die er bekam. Die 5 Dollar waren ihm sehr wichtig. Also ehrte er den Mann, der ihm diesen Brief übergab, indem er einen Sohn nach ihm benannte.

Das war der Postbote. Von Kindheit an arbeitete der Kleine auf dem Hof mit: Schafe hüten, Trauben zerstampfen. Mit 14 übernahm er die Leitung das kleinen Lebensmittelladens eines Cousins. Als die Kommunisten Kroatien übernahmen, beschlagnahmten sie die Waren des Geschäfts. Ab damals hasste Mike die Roten erbittert. Dennoch blieb er pragmatisch. Er bemerkte, dass der kommunistische Staat viele Buchhalter beschäftigte und besuchte die Wirtschaftsschule in Zagreb. Die Materie langweilte ihn jedoch und so begann er an der Uni ein Weinbaustudium.

1954 bewarb sich Grgich für ein zweimonatiges Programm zum Studium der Pflanzengenetik in Westdeutschland. Als die Zeit abgelaufen war, weigerte er sich zurückzukehren. Die Behörden steckten ihn in ein Internierungslager für Flüchtlinge in Nürnberg. Ein Bauer oder Winzer, bei dem er während des Programms gewohnt hatte, bezahlte seine Freilassung. Grgich harrte 18 Monate aus und hoffte auf ein US-Visum, bis ein Freund vorschlug, nach Kanada auszuwandern. Dieses Visum bekam man schneller. Er kam in Vancouver an, wo er den Namen Mike Grgich annahm, und arbeitete mehrere Jahre als Kellner, Verkäufer und schließlich als Qualitätskontrollingenieur für eine Papierfabrik.

1958 brachte ihn einer seiner Neffen, ein Priester im Bundesstaat Washington, mit einem Weingut im Napa Valley in Kontakt. Der Eigentümer schickte Grgich eine Bürgschaft, die er für die Einreise in die USA benötigte. Die Anfangszeit war nicht einfach. Der erste kleine Durchbruch kam, nachdem er André Tchelistcheff, den russischen Ausnahme-Önologen von Beaulieu Vineyard besuchte. Tchelistcheff sprach etwas Kroatisch, ein großer Trost für Grgich, dessen Englisch nach über 60 Jahren im Napa Valley immer noch holprig ist. Zwei Monate später wurde bei der Weinchemikerin von BV Leukämie diagnostiziert. Tchelistcheff bot Grgich den Job an und der bewährte sich. So sehr, dass er schließlich bei Mondavi landete.

Aber: Die Arbeit bei Mondavi war Fließbandproduktion, sagte Grgich. Alle hatten es eilig. Er wollte lieber Wein wie die Franzosen herstellen.

André Tchelistcheff – der Film

1972 bot ein südkalifornischer Anwalt namens Jim Barrett Grgich die Möglichkeit, selbstständig zu werden und Teilhaber von Chateau Montelena zu sein. Der Rest ist Geschichte.

Durch den Triumph in Paris stieg das Weingut zu Weltruhm auf. Das Verhältnis zu Barrett verschlechterte sich jedoch. Grgich verkaufte seine Anteile an Chateau Montelena, aber er hatte immer noch nicht genug Geld, um sein eigenes Weingut zu gründen. Dann traf er auf Austin Hills, dessen Familie kurz davor eine Kaffeerösterei verkauft hatte. Hills träumte davon Winzer zu sein, traute sich alleine aber nicht. Da kam Grgich wie gerufen. Grgich Hills begann 1977 ohne eigene Weinberge, man erzeugte Wein aus gekauften Trauben. Mit der Zeit (und dem Erfolg) kauften die beiden Partner Rebland zu. Inzwischen wird nur eigenes Traubenmaterial verarbeitet.

Tochter Violet, Grgichs einziges Kind, und ihr Cousin Ivo Jeramaz leiten heute das Weingut. Es gibt auch ein Grgić-Weingut in Kroatien, das Ivo in den 1990er-Jahren gründete. 2003 wurde Grgich wegen sexueller Belästigung von drei Frauen verklagt. Der Mann bestritt die Tat, die er eine alte Sitte meiner Heimat nennt. Der Streit wurde außergerichtlich beigelegt. Was soll man davon halten? In dubio pro Chardonnay, sagt der Captain.

Chardonnay: America First!

Der Estate Chardonnay von Grgich Hills kommt aus dem südlichsten Zipfel von Napa Valley, wo es kühler ist: Los Carneros und die Gemeinde American Canyon.

Carneros ist eines der ältesten Anbaugebiete Kaliforniens. Hier wurden bereits in den 1830er-Jahren Reben gepflanzt. Die Gegend zählt zu den Top-Regionen für Pinot Noir und Chardonnay. In den 1980er-Jahren wählte das Champagnerhaus Taittinger Carneros als Standort für seine kalifornische Schaumweinproduktion.

Für Techniker: Dieser Bio-Wein durchlief keinen Biologischen Säureabbau (BSA) und bewahrte seine frische Säure. Er vergor in französischen Barriques und ruhte ebendort für ca. 10 Monate. Was für ein Leben. Und was für ein Wein. Denkt der Captain und lässt den goldenen Saft durch seine Kehle plätschern.

 

Datum: 4.5.2021 (Update 9.6.2021)
 

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