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Meine Muse heißt Musar

Manchmal bist du richtig theatralisch!
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Chateau Musar ist wahrscheinlich das ungewöhnlichste Spitzenweingut der Welt und eine Legende. Trotzdem sind selbst reife Tropfen nicht übertreiben teuer. Eine Liebeserklärung.
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Es gibt unter eingefleischten Weinkennern ein kurioses Gesetz für die Verkostung von Weinen, deren Etiketten verdeckt sind. Man nennt so ein Ritual Blindverkostung. Es ist ein merkwürdiges Hobby, das man auch als Weinratespiel bezeichnen kann.

Lest hier, was unser Weintester Patrick Hemminger über Blindverkostungen geschrieben hat:

Ich liebe Blind-Verkostungen!

Diese Gesetz besagt, wenn Du bei einer so einer Blindverkostung gereifter Weine einen ganz fantastischen Tropfen im Glas hast, der dich einfach nur fertigmacht aber nicht zu erraten vermagst, woher er kommt (Bordelais, Rhône, Rioja, Neu Welt…?), dann ist es ein Chateau Musar aus dem Libanon.

Chateau wird hier ganz bewusst ohne Hütchen auf dem a geschrieben.

Chateau Musar gehört zu den spannendsten Weinbauunternehmen der Welt und wurde 1930 von einem Franzosen namens Gaston Hochar auf Schloss Mzar nahe dem Städtchen Ghazir gegründet, das etwa 25 Kilometer von Beirut entfernt liegt. Das Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert. Die alteingesessene Familie war irgendwann im Zuge der Kreuzzüge aus der nordfranzösischen Picardie eingewandert.

Musar hat keine eigenen Weinberge, sondern kauft das Lesegut von eng an den Betrieb gebundenen Weinbauern aus dem Bekaa-Tal auf und verarbeitet die Trauben im klassichen Bordeaux-Stil. Aber auch die Weinbergsarbeit in den verstreuten Parzellen auf insgesamt rund 130 Hektar Land obliegt Musar. Alle Weine sind voll bio. Sie werden nicht gefiltert und auch nicht geschönt. Fäulnis ist bei dem Klima sowieso kein Thema.

Die durchschnittlich 70 bis 80 Jahre alten Stöcke stehen auf kiesigen Kalkböden in ca. 900 Metern Höhe.

Ich durfte neulich an einer Verkostung junger und gereifter Musar-Weine im großartigen Restaurant GLASS in Berlin-Chalottenburg teilnehmen. Man hatte mich eingeladen, das Talent des Chefkochs zu bewundern und darüber zu berichten. Die Rechnung ging auf, denn sowohl Essen als auch Ambiente suchen seinesgleichen in dieser Stadt, in der man ständig bemüht ist, seinesgleichen zu suchen und ergo nicht zu finden.

Der weinvernarrte Wirt und Chefkoch im GLASS ist Israeli und er sagte mir, Château Musar liege ihm besonders am Herzen, obwohl er wahrscheinlich nie im Leben dieses Weingut betreten darf. Weil er das ganze Land nicht betreten darf. Armer Naher Osten.

Lest hier meinen Artikel über Gal Ben Moshe, der das Restaurant GLASS zu einem Gourmettempel für Winzer und Weinfreunde gemacht hat:

Der Koch, den die Winzer lieben

Es gibt eine Liedtextzeile: „The life was cheap of bread and wine“. Die fällt mir immer ein, wenn es um den Libanon geht, ein brüchiges Land mit einer katastrophalen Geschichte, einer fragilen Gegenwart und einer unsicheren Zukunft.

Was kaum einer weiß: Der Libanon ist das bedeutendste Weinbauland des Nahen Ostens.

Die Textzeile stammt aus einem Song der britischen Band Human League, das Lied heißt The Lebanon und ist eines der besten Stücke Politpop. Die Textzeile erzählt von den schönen Jahre des Libanon zwischen 1965 und 1974, als das Land vielen Europäern als Paradies galt. Mittelmeer, Strände, Gebirge mit Skiorten, schöne Täler, Wüste und die boomende Hauptstadt Beirut, in der das Leben billig und gut war. Haschisch inklusive.

Der Libanon ist aber eine Zusammenwürfelung verschiedener Ethnien und Religionen. Und liegt noch dazu in einer ständigen Krisenregion. Der Regierung gelang es nur eine Zeit lang, sich aus den Konflikten der Nachbarn herauszuhalten. Bis der Bürgerkrieg begann, der das Land ähnlich heftig verwüstete.

Man stand Jahrzehnte unter französischen Einfluss. Das hatte (und hat) Auswirkungen auf die Genusskultur. Im Libanon gab es vor dem Bürgerkrieg die besten Restaurants der Region. Und hier werden auch die besten Weine gekeltert. Chateau Musar ist das bekannteste der 42 großen libanesischen Weingüter.

Der wichtigste Wein der Hochars ist der Chateau Musar rouge, ein Klassiker mit irrem Alterungspotenzial wie ein Spitzenbordeaux. Seit Jahrzehnten gilt der Red bzw. Rouge von Musar unter Weinfanatikern als Leckerbissen. Jenseits dieser Kreise ist dieser Exot aber kaum bekannt. Und deshalb zum überschaubaren Preis zu haben.

Ein 18 Jahre alter Chateau Musar rouge aus dem Jahr 1999 kostet nur 39 Euro!

An jenem Abend saß ich mit Marc Hochar am Tisch, der ein sehr gewitzter Gesprächspartner ist und in München lebt, von wo aus er die Themen Marketing und Finanzen für Chateau Musar organisiert. Bis vor ein paar Jahren war er Banker in der Londoner City, schmiss aber aus Überdruss hin, um sich dem Familienunternehmen zu widmen.

Auf meine Frage, wie das so ist, in einer permanenten Krisenregion Wein zu machen, sagte er lakonisch: „Kriege sind nicht unser größtes Problem. Viel schlimmer sind die Weinblätterdiebe, die sich nachts über unsere Rebstöcke hermachen. Wenn die Sonne dann auf die ungeschützten Trauben brennt, geht viel kaputt.“

Etwa eine Million Syrien-Flüchtlinge sind in gigantischen Zeltlagern in der Nähe untergebracht. Hochar: „Wir spüren nicht das Geringste.“

Und sonst so?

Frost, Krieg, 42° Hitze. Regelmäßig geht ein großer Teil der Ernte verloren. Aber in den unendlich langen Kellergewölben schlummern Flaschen aus Jahrzehnten.

Platz ist hier kein Problem. Von jeher setzen die Hochars auf jahrelangen Ausbau in Betontanks und zumeist gebrauchten Barriquefässern, danach ausgiebige Flaschenreifung.

Die beiden Flaggschiffweine Rouge und Blanc werden gar nicht raus gegeben, bevor sie 10 Jahre alt sind. Reklamationen sind höchst selten. In angemessenen Zeitabständen öffnet man die älteren Jahrgänge, nimmt einen Probeschluck, ersetzt die entnommene Menge mit frischem Wein und verkorkt die Flasche mit einem neuen Stopper.

Die lange Reifezeit ist fast schon ein Fetisch bei den Musars.

Marc erzählte mir, während des Krieges 1984 musste man wegen heftigem Granatenbeschuss einen Lastwagen mit fertig gelesenen Trauben im Weinfeld stehen lassen. Das Zeug vergor unter der heißen Sonne zu einer ungenießbaren Brühe mit Madeira-Noten.

Die Mitarbeiter wollten alles wegkippen, doch Vater Serge Hochar schritt ein und ließ den Wein trotzdem ausbauen. 20 Jahre später hatten sie einen köstlich-frischen Wein im Glas. Marc Hochar: „Wine comes back!“

Musar-Weine (und ganz besonders die weißen) entziehen sich jeder Kategorie. Das schmeckt man schon beim ersten Probieren.

Ich kostete an jenem Abend 10 Weine aus den Jahren 1974 bis 2012.

Sofort springt einen diese unglaubliche Aromatik an. Und selbst ältere Jahrgänge wirken ungemein lebendig. Sie verändern sich alle 10 Minuten. Marc Hochar: „Das ist meine größte Freude – die Fähigkeit sich zu wandeln. Guten Wein trinken ist ein Kampf gegen die Langeweile.“

Der Rouge ist eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Carignan und Cinsault. Selbst der 1974er schmeckt herrlich frisch. Alle Weine zeichnet eine geniale Würze und wunderbare Weichheit aus. Ich spüre Mango, Orangenzeste, Walderdbeeren, Minze, Hagebutte, Schwarzkirsche, kalter Earl Grey, der lange gezogen hat, rohes Fleisch. Ummantelt von weichen Tannine und einer perfekt abgestimmten Säure. Bei den älteren Jahrgängen erdige Töne, Erdbeere, Sauerkirsche, Mokka.

Ich suche beim Nippen ständig nach Parallelen, kann aber nichts festmachen. Am ehesten noch Südrhône. Aber dafür ist Musar viel zu lasziv.

Doch eher Rioja? Nein, viel femininer.

Ich bin begeistert und motiviert. Gelegentlich beim Weinverkosten beschleicht einem ja das Gefühl, alles würde sich wiederholen. Der eine ahmt den anderen nach. Ein sich ewig drehendes Karussell mit Pferdchen, die ihre Köpfe heben. Aber das hier ist einzigartig und macht Lust auf die nächste Enthüllung. Welche wird das sein?

Dann der Blanc von Musar aus Obaideh und Merwah, die Ursprungsreben von Chardonnay und Semillon. Vor 7.000 Jahren von den Phöniziern in den Westen gebracht. Dieser Wein ist eine Sensation der Sinnlichkeit.

Was für eine üppige, theatralische Frucht! Ich rieche braunen Honig, getrocknete Aprikosen und Feigen, einen Fichtenwald im Sommer, zarte Petrolnoten. Im Mund Aprikose, Orangenzeste, Thymian, Braugerste, etwas Melone, Löwenzahnblätter und Salz. Alles auf Trab gehalten von einer süß-säuerlichen, feinen Rieslingspannung.

Alter, das ist flüssige slam poetry. Eine Kaskade der Opulenz und dabei mädchenzart. Ich werde nachdenklich.

Diese Verkostung führte mir ein weiteres Mal vor Augen (und Zunge), wie schön und aufregend Weintrinken sein kann. Das vergesse ich gelegentlich in der Routine des Alltags. Und wie sehr sich manche Weine ihrer Schubladisierung verweigern. So sollte es sein.

Leute, bleibt neugierig! Nutzt jede Gelegenheit ein neues Trinkerlebnis zu erfahren. Ende der Predigt.

 

Datum: 14.9.2017
 

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