Das wird der Captain lange nicht vergessen. Da sitzt er (noch vor der ersten COVID-Welle) in der guten Stube von Käfer und will mit Juliette Monmousseau Weißwürste verspeisen, die der Captain so sehr liebt. Aber der Kellner lässt sich nicht erweichen, während im Erdgeschoss das gute Zeug massenhaft rumliegt. Im ersten Stock kommen jedoch keine Weißwürste auf den Tisch. Trotz intensiver Bitten. Keine Chance. München halt. Obwohl gar nicht lange her, wirkt diese kleine Episode wie aus der Zeit gefallen. Es gab dann einen trockenen Hirschrücken, den Juliet und der Captain mit viel mitgebrachtem Crémant runterspülen mussten. Jetzt wären sie im Käfer wahrscheinlich froh, wenn sie ihre Weißwürste auch in den ersten Stock bringen dürften.
Juliette Monmousseau ist knapp über 40, wuchs als Kind einer schwedischen Mutter und eines Vaters auf, dessen Mutter Engländerin war. Keine schlechte Mischung. Vater Patrice sah sie jedoch nicht oft. Bevor sie zu Bouvet Ladubay ging, arbeitete Juliette bei einem Filmvertrieb in Paris. Aber mir fehlte die Leidenschaft für Film. Wein ist viel spannender.
Juliette trat in das Unternehmen ein, als fremde Leute das Sagen hatten. Warum das so war, erkläre ich gleich. Erstmal diese Frage: Wie kann man nur für eine Firma arbeiten, die einem nicht mehr gehört? Das fragte ich mich auch. Aber wenn man das Gefühl hat, dass man einfach in diese Position passt, dann geht das. Die Generationen meines Vaters und die davor hatten ein anderes Verhältnis zu Besitz. Zwei Weltkriege und Wirtschaftskrisen hinterlassen Spuren im Verhältnis zum Eigentum. Das hat sich wahrscheinlich auf mich übertragen.
Bouvet Ladubay wurde 1851 von Etienne Bouvet und seiner Frau Célestine Ladubay gegründet und produziert in der Anbauregion Saumur heute 6,5 Millionen Flaschen nach der → Méthode traditionelle. Deutschland ist wichtigster Exportmarkt. 40.000 Besucher strömen in einem normalen Jahr in den Firmensitz, um die alten Weinkeller, das Theater und ein Kunstzentrum zu besuchen. 1932 übernahm Justin Marcel Monmousseau das Unternehmen. 1974 gab es Stress unter den Erben und Bouvet Ladubay fiel an die Groupe Taittinger. Aber der talentierte Patrice Monmousseau aus der Eigentümerfamilie blieb an Bord. 2005 kam es jedoch auch bei Taittinger zu Verwerfungen und plötzlich landete das Luxus-Konglomerat (Hotels, Kristallgläser, Wein) inklusive Bouvet Ladubay im Schoß des gigantischen Hotelkonzerns Starwood. Juliette: Als Starwood übernahm, kamen sie und wollten für ihre Hotels unsere Réserve mitnehmen. Mein Vater weigerte sich. Und was geschah? Nichts. Sie hatten großen Respekt vor Vater und ließen ihn in Ruhe.
Aber die Starwood-Spitze war gar nicht an den akquirierten Weinbetrieben interessiert. Domaine Carneros in Kalifornien, Taittinger und Bouvet Ladubay sollten wieder abgestoßen werden. Es ging den neue Herren nur um die Hotels. Juliette: Mein Vater erhielt eine Liste mit potenziellen Käufern und sollte sich auf den Weg machen, um für Bouvet Ladubay einen neuen Besitzer zu finden. Das fühlte sich nicht gut für ihn an. Trotzdem legte er los und nach vielen Meetings traf er Vijay Mallya, einen schwerreichen Inder, der Bouvet besuchte. Mallya hatte zwei riesige Diamanten an den Ohrläppchen. Zwischen Vater und Vijay funkte es sofort. Danach stieg er in den Helikopter und flog rüber in die Champagne zu Taittinger, denn er war dort ebenfalls an einer Übernahme interessiert. Bevor er abhob, fragte er: Was haltest du von Taittinger, soll ich kaufen? Vater sagte: Du hast zwei große Diamanten in deinen Ohren – so ist Taittinger. Aber der Preis ist hoch. Der Inder wurde bei Taittinger überboten und seine → United Breweries Group schlug bei Bouvet Ladubay zu. Das war im Juli 2006.
Kurz danach holte Pierre Emmanuel Taittinger in einem Kraftakt das Champagnerhaus in den Familienbesitz zurück. Er beschwor seinen Kollegen und Freund Patrice: Mach es wie wir und kauf zurück! Juliette: Aber Vater war nicht bereit, er war verunsichert. Wie sollte das Unternehmen völlig alleine seine Position im Schatten der mächtigen Champagne behaupten? Das Schicksal erleichterte ihm die Entscheidung. 2015 stiegen die Inder bei Bouvet Ladubay wieder aus, weil der Mutterkonzern in Schieflage geraten war. Patrice und seine Tochter Juliette Monmousseau wagten den Schritt in die Unabhängigkeit und übernahm mit Hilfe von Banken und Investoren die Firma. Das Kunststück gelang. Der Laden läuft. Warum eigentlich? Juliette: Luxus zum leistbaren Preis ist eine große Chance. Heute mehr denn je zuvor.
Seit damals war klar, dass Juliette einsteigen wird. Juliette, hast du dich gut auf deine Rolle vorbereitet? Vater sagte immer: Du must nur wissen, wie du zu etwas Ja oder Nein sagst. Das genügt. Aber ich hatte das Gefühl, ich brauchte Legitimation, deshalb besuchte ich einen Kurs für Executives an der → INSEAT.
Die Situation in der Pandemie ist bei Bouvet Ladubay unter Kontrolle. In Deutschland legte der Verkauf über diverse Online-Händler um 30% zu, der Absatz an die Gastronomie brach um 30% ein und blieb im stationären Fachhandel stabil. Vor CORONA reiste Juliette viel durch Deutschland, besuchte Händler und lernte Winzer kennen. Sie spricht sogar Deutsch. Ihr Auftreten ist vorsichtig, jede mögliche Reaktion abtastend. Es dauert etwas, bis Wärme in ihre Worte strömt. Dann jedoch ist die Herzlichkeit groß.
Wie kam es damals in den 1970er-Jahren, dass Taittinger an Bouvet-Ladubay interessiert war? Im 19. Jahrhundert lieferte die Loire eine riesige Menge Grundwein in die Champagne. Viele Champagnerfamilien hatten deshalb in Weingüter an der Loire investiert. 1975 wurde die Appellation Cremant de Loire gegründet und jener Teil der Taittinger-Familie, der Piper Heidsieck gehörte, kaufte sich dort ein. Sie sind krachend gescheitert. Es gab also einen gewissen Ehrgeiz im Hause Taittinger. Abgesehen davon war unser Preis nicht hoch für ein gut eingeführtes Unternehmen. Als mein Vater in den Betrieb eintrat, war der Ausstoß 300.000 Flaschen pro Jahr. Heute sind es 20 Mal soviel.
Juliette und der Captain haben schon ein paar Flaschen aufgemacht und kommen zum Bouvet Saumur Brut Rosé Trésor aus 100% Cabernet Franc. Trésor (Schatz) bezeichnet die gehobene Linie des Hauses. Der Captain schnüffelt 30 Minuten nach dem Öffnen ins Glas, wo das Perlenspiel dünne Fäden zieht. Vorher macht das keinen Sinn. Am besten, man wartet noch viel länger. In der Nase deutliche Noten von wilden Erdbeeren, zarte Anklänge von Hefe bzw. Roggenbrot, etwas Rote Johannisbeere und ganz hinten festes Bananenfleisch. Im Mund weiches Mousseux, Herbe mit rotfruchtigen Nuancen, dann gelbes Steinobst und ein geringer Anteil tropischer Opulenz. Was sofort auffällt, ist die gelungene Balance dieses Klassikers. Nichts bestimmt vordergründig das Geschmacksbild, alles schwebt in einem saftigen Equilibrium. Der Wein hat ausreichend Wumms, um als Tischgetränk auch deftige Feiertagsspeisen zu bewältigen. Dazu trägt die Zuckerdosage von 10 Gramm pro Liter bei. Im Abgang nochmal viel reifes Gelb auf der Zunge. Kein erfrischender Leicht-Sprudel, vielmehr ein echter Wein, den man gerne spürt, auch wenn er nicht mehr ganz kalt ist.
Beschreibe uns bitte das Leben an der Loire. Es ist ruhig. Seit dem 11. Jahrhundert kam kein Krieg bis hierher. Es gibt keine Großindustrie. Wir haben viel Landwirtschaft und einen überschaubaren Tourismus. Jeder Besucher bleibt durchschnittlich für 1,8 Tage. Es ist eine sehr friedliche Region, das merkt man besonders, wenn man von großen Reisen zurückkehrt.
Bist du reich? Mir geht es gut. Aber reich waren wir nie. Das Geld für den Rückkauf von Bouvet Ladubay hat mein Vater mit der Hilfe eines klugen Beraters von Banken und Investoren zusammengekratzt.
Die wichtigsten Produkte des Hauses Bouvet Ladubay sind nicht teuer. Der einfache Crémant kostet um die 11 Euro, die gehobene Trésor-Linie bekommt man schon für 17 Euro pro Flasche. Es gibt auch etwas Luxus, zum Beispiel den aufregenden Ogmius Saumur Brut in der Magnumflasche für 100 Euro, die den Champagnerleuten zeigen soll, wo der Bartl den Most holt. Der Captain hat diesen beeindruckenden Schäumer hier besprochen:
Wie ein Manager des Unternehmens ganz aktuell dem Captain mitteilte stieg in der Pandemie der Gesamtverkauf von Crémant in Deutschland um 2%, während Champagner um 26% zurückging.Juliette, bist du froh, dass die Deutschen billigen Wein lieben? Wir verkaufen in Deutschland etwas mehr als zwei Millionen Flaschen im Jahr. Unser Bestseller ist Crémant de Loire, aber Rosé holt stark auf. Crémant ist in. Wir setzen auf Kunden, die beim Geld achtgeben. Mein Vater war immer fasziniert vom Schaumweindurst der Deutschen. Deshalb hat er sie ins Herz geschlossen. Er selbst trinkt hauptsächlich günstige Weine. Bei besonderen Anlässen auch schon mal etwas Edles von der Rhône.
Frauen in der Weinwirtschaft – was ist dein Kommentar? Seit ich in der Exportabteilung von Bouvet begann, traf ich nicht viele Frauen in gehobenen Positionen. Ich sollte mehr darüber nachdenken. Was Vitalie Taittinger macht, ist bemerkenswert.
Aber das Weinmarketing wird immer weiblicher, oder? Absolut! Die Frauen bestimmen, was zu Hause auf den Tisch kommt. Insbesondere im Bubble-Sektor. Pinke Verpackungen lehne ich allerdings ab. Das sind Verrücktheiten von verwirrten Marketingleuten.
Die traditionellen deutschen Sektmacher kämpfen eingeklemmt zwischen Rotkäppchen und Henkell um die Gunst der Konsumenten. Was rätst du diesen Kollegen? Seid nicht verzweifelt, es gibt immer einen Weg. Die Zeit spielt euch in die Hände. Es dauerte 20 Jahren bis die Crémant-Macher die Champagnerproduzenten in Deutschland überholten. 2019 hatten wir es geschafft. Das wachsende Image von deutschen Premiumweinen wird auch die guten Sekte hochziehen. Wir an der Loire waren immer die Billigheimer von Frankreich. Das ändert sich langsam.
Das Familienunternehmen Bouvet Ladubay besitzt keinen einzigen Rebstock, sondern bezieht seinen Rohstoff (40% Most und 60% fertige Grundweine) von rund 60 Zulieferern in der Region Saumur. Ein Crémant de Loire besteht hauptsächlich aus Chenin Blanc und etwas Chardonnay. So macht es Bouvet Ladubay ebenfalls, es gibt aber auch einen Crémant aus 100% Chardonnay. Die Saumur Brut aus der Trésor-Linie von Bouvet Ladubay reifen in Barriques, die bis zu 8 Mal wiederverwendet wurden und ruhen ca. 4 Jahre auf der Feinhefe (Flasche). Deutschland-Statthalter von Bouvet-Ladubay Benoit Defranoux empfiehlt mit Nachdruck, jeden Trésor lange vor dem Genuss zu öffnen, am besten noch am Vortag: Dadurch gewinnt er enorm und verliert trotzdem keine Kohlensäure.
Und noch etwas Geschichte: Als der junge Unternehmer Etienne Bouvet Mitte des 19. Jahrhunderts im Loire-Tal einen riesigen Keller kauft, hat er eine Idee. Es ist eine 8 Kilometer lange Mine, wo Mönche Tuffstein abbauten, um eine Abtei zu errichten, die es nicht mehr gibt. Etienne gründete in den Stollen ein Crémant-Haus, kaufte Most von Weinbauern, baute ihn aus und verwandelte ihn in Schaumwein. Um 1900 war Bouvet Ladubay mit einer Jahresproduktion von 7 Mio. Flaschen einer der größten Schaumwein-Produzenten der Welt. Die Belle Epoque war eine gute Zeit für Sprudel und es gab noch keine gesetzlichen Bestimmungen, die den Gebrauch des Namens „Champagner“ verboten. Bei Bouvet hielt man sich jedoch mit diesem Trick zurück, wie ein Sprecher des Hauses betont. Etienne Bouvet errichtete ein Stromwerk, Arbeiter-Wohnungen und ein Theater für Angestellte.