Man kann Bordeaux untrinkbar finden und in jeder Beziehung übertrieben. Man darf die Preispolitik in diesem Gebiet für absurd halten und die Primeur-Verkostungen im Frühjahr für einen Auftrieb eitler Möchtegerns.
Mag alles so sein. Aber Bordeaux ist und bleibt eine Benchmark, an der sich andere messen müssen. Dabei gestaltet sich für Weinfreunde der Eintritt ins Paradies gar nicht so einfach.
Da ist dieses rebellische Element voll widerborstiger Rauheit, das beim ersten Glas noch gar nicht erkennen lässt, wie sehr man füreinander bestimmt ist. So wie bei einer Liebesaffäre, in der zunächst weniger Sympathie als viel mehr eine gewisse Faszination reizt, weil der andere einem nicht sofort in die Arme fällt.
Wenn sich beim ersten Probieren zwischen Cassis, Holunder, Schlehdorn und Leder dezente Noten von Kernseife, nassem Hund und alter Gemüsesuppe schleichen. Das weiß man erst gar nicht zu schätzen. Aber dann…
Für jene, die sich vom Trinkabenteuer Bordeaux einfangen lassen, kommt alles, was folgt, einer Geiselnahme gleich.
Das Weinbaugebiet Bordeaux bezieht seine Bedeutung aus einer drei- bis vierhundert Jahre alten Geschichte rund um Adel, Handel und Weine, die ihre besten Seiten aus langer Fasslagerung und gekonntem Blending (Blend = Cuvée = Verschnitt = Rebsortenmischung) entwickeln. All dies ist heute nur ein kleiner Seitenaspekt in einem fast außerirdisch anmutenden Geschäft mit Immobilien, Weingärten und dem, was man dort erzeugen kann. Bordeaux-Weine wurden längst vom Prestige- zum Spekulationsobjekt.
Doch Bordeaux besteht nicht nur aus fünf Premiers Crus und etwa 150 klassifizierter Gewächse rechts und links der Gironde, um die sich ein Marketing-Zirkus gebildet hat, der seinesgleichen sucht.
Die Klassen beginnen beim schlichten Bordeaux AOC und unterscheiden sich vor allem in den unteren Ligen durch Mindest-Pflanzdichte, Höchst-Ertrag pro Hektar und Alkoholgradation und wie weit respektive eng gefasst das Gebiet ist, aus dem die Trauben für die Blend (oder Cuvée, also Mischung) kommen dürfen. Das Terroir, also ein spezieller Weingarten, eine besondere Lage spielen in diesen unteren Klassen keine Rolle.
Aber es ist auch ein lohnender Sport, in der einfachen Bordeaux-Liga nach gelungenen Weinen zu suchen. Selbst wenn die nicht den feinen Tiefgang, die Superkomplexität und die Jahrhundert-Lagerfähigkeit haben, die den Spitzengewächsen eigen ist.
Der Wein von Château Argadens ist ein Bordeaux Supérieur. Das heißt er stammt aus einem nicht höher klassifizierten Bereich innerhalb des Anbaugebiet Bordeaux und ist die klassische Cuvée, wie man sie beispielsweise aus dem Médoc kennt.
Sie besteht (je nach Jahrgang in leicht unterschiedlicher Zusammensetzung) zu knapp zwei Dritteln aus Cabernet Sauvignon, einem guten Drittel Merlot, dazu ein Schuss Cabernet Franc. Die klassischen Bordeaux-Sorten Petit Verdot und Malbec fehlen zwar, doch sie seien ehrenhalber erwähnt. Und für die Erbsenzähler lassen wir natürlich auch die Carmenère nicht unter den Tisch fallen.
Nun zum Wein! Er schmeckt fast bilderbuchhaft nach schwarzen Johannisbeeren, Zedernholz und nach hochprozentiger Schokolade, ohne aber deren Süße zu haben.
Er hat eine angenehme mitteldichte Textur, frische Säure, gut ausgebildetes und reifes Tannin. Nicht extradicht verwoben, aber angenehm in jeder Beziehung. Viele Eigenschaften, die man in etlichen teuren, deutlich mehr aufgemotzten Bordelaisern nicht mehr findet.
Manche würden ihn vielleicht als etwas rustikal bezeichnen, rau, was er sein darf in seinem Alter – ich trank den Jahrgang 2010, der für das ganze Bordelais generell bejubelt wird.
Natürlich gibt es vielschichtigere, anspruchsvollere, mit feinerer Klinge arbeitende Weine. Und dennoch transportiert er sehr viel von dem, was Bordeaux-Weine einzigartig macht.
Zum Chateau im Ort Saint-André du Bois im Entre-Deux-Mers-Gebiet gehören 45 Hektar Rebfläche. Der Besitz wurde 2002 von der Familie Sichel gekauft, seit 1883 Weinhändler an den Quais von Bordeaux. Die Sichels besitzen insgesamt sechs Weingüter in Bordeaux und drei weitere im Roussillon und an der Mittelmeerküste. Die bekanntesten sind Château Palmer im Margaux und Château Angludet im Médoc.
Château Argadens wird von den Sichel-Brüdern selbst betrieben. An der Wand im großen Salon des Hauses hängt ein Porträt von Peter A. Sichel, der in den 60er-Jahren das Familienunternehmen mächtig nach vorne brachte.
Hier haben wir ein sehr schönes und leistbares Beispiel für einen guten Bordeaux, der am Boden bleibt und zum unkomplizierten Einstieg in das einflussreichste Weinbaugebiet der Welt einlädt.
Was ich dazu auf den Tisch stelle? Ein saftiges Stück dampfendes Raostbeef mit grünen Bohnen. Oder ein Hamburger mit fein gehobeltem Trüffel. Beides passt ganz fantastisch zu diesem aromastarken Wein.
Ich hab zu Bordeaux bisher nie den wirklichen Zugang gefunden. Das liegt vielleicht daran, dass man in anderen Regionen für 10 Euro schon exzellente Tropfen ins Glas bekommt, während man für einen exzellenten Bordeaux leicht mal das Fünffache hinblättern muss.
Nun sah ich in diesem Artikel die Chance, dem Bordeaux mal wieder eine Chance zu geben, denn auf absehbare Zeit werde ich nicht reich sein und somit noch lange warten müssen, bis ich mir mal ohne weiteres eine Grand Cru leisten kann. Also habe ich mir gleich bei Amazon das Dreierpack des 2014er Jahrgangs (andere gab’s im Internet nicht mehr) für 30 EUR bestellt und noch am selben Abend eine Flasche probiert.
Und wieder wurde ich enttäuscht. Der Wein war viel zu trocken und schmeckte, als würde man in Holz beißen – wie die meisten der wenigen Bordeaux, die ich je getrunken habe. Zugegeben, ich hatte ihn erst direkt vorm Genuss in die Karaffe gepackt. Nach etwa 5 Stunden und wildem Hin- und Herschütten in der Hoffnung, so viel Luft wie möglich an den Traubensaft zu bringen, begann endlich einmal die Säure, sich angenehm bemerkbar zu machen, aber der Wow-Effekt blieb immer noch aus.
Die anderen zwei Flaschen werde ich nun erst mal eine Weile liegen lassen und bei Gelegenheit werde ich die Weinflasche am besten schon am Vortag öffnen.
Jetzt meine Frage an die Experten: ist der 2014er-Jahrgang einfach dermaßen viel schlechter als der 2010er? Ist er noch zu jung? Muss ich noch vier Jahre warten? Sind auch „kleine“ Bordeaux-Weine nach gut drei Jahren noch nicht trinkreif? Oder muss ich wirklich mindestens 30 EUR hinblättern, um einen Bordeaux zu trinken, der nicht wie eine Drei-Euro-Gran-Reserva von Netto schmeckt?