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Kronen-Schlösschen: Wir machen Gourmets

Hans B. Ullrich und Tochter Johanna.
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Rechtsanwalt und Hotelier Hans B. Ullrich leitet das größte Feinschmecker-Event Europas und trinkt seit 22 Jahren keinen Alkohol. Der Captain sprach mit dem Erfinder des Rheingau Gourmet & Weinfestival.
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[Dieses Interview wurde im Frühjahr 2019 geführt] Vor 23 Jahren erfanden Sie das Rheingau Gourmet & Wein Festival. Fast genauso lange trinken Sie keinen Wein mehr. Wie kommt das? Es ist schnell erklärt. Nach einer Leber-Transplantation trinke ich seit 1998 keinen Alkohol.

War das ein Schock? Die Krankheit schon, aber das Aufhören nicht. In meinem Kopf legte sich ein Schalter um, der mein Bedürfnis nach Wein sofort einstellte. Die menschliche Psyche ist faszinierend und passt sich den Umständen an. Ich hatte Glück, da ich bis zu diesem Zeitpunkt bereits alle großen Weine der Welt getrunken hatte. Heute schnuppere ich ins Glas und male mir aus, wie der Wein schmeckt. Das ist völlig ausreichend.

Das Kronenschlösschen war im 19. Jahrhundert eine Galerie, dann Hotel, das verfiel. Ullrichs Vater verdiente sein Geld als Hotelbesitzer in Fulda. Den Sohn zog es zunächst in die Juristerei. Er wurde Wirtschaftsanwalt in Frankfurt. Die Familie der damaligen Ehefrau betrieb ein Hotel, das verkauft werden sollte: Krone Assmannshausen. Das Haus existiert seit 1552 und blickt auf eine ehrwürdige Geschichte zurück, die mit der aufblühenden Demokratiebewegung verbunden ist. Revoluzzer Ferdinand Freiligrath schreib hier das aufmüpfige Lied „Trotz alledem“. Ullrich schlug zu und fand Spaß an seiner neuen Rolle als Bettenvermieter und Gastronom. Später und gerade noch rechtzeitig erkannte er, dass der Krone ein Standortproblem erwächst. Ullrich verkaufte und machte einfach im Hattenheimer Kronenschlösschen weiter. Auch dort jede Menge Historie: In der heutigen Turmsuite berieten Adenauer und Heuss über das Grundgesetz.

Seit 23 Jahren kommen jährlich die besten Köche und Winzer der Welt hierher und bestreiten das Rheingau Gourmet & Wein Festival. Sie sind ihrem Publikum sozusagen zum Greifen nah. Es gibt kleine, unkomplizierte Weinproben, lehrreiche Wein-Lunches und pompöse Diners. Ca. 6.500 Gäste drängen pro Jahr ins verwinkelte Kronenschlösschen, um eine oder mehrere der 60 Veranstaltungen zu besuchen. Seit einiger Zeit ist Ullrichs Tochter Johanna Bächstädt die Co-Chefin des Festivals. Hier ist das aktuelle → Programm, von dem man heute (Stand Mitte Januar 2021) nicht weiß, ob es umsetzbar ist. Es macht Spaß, sich durchzuklicken. Neuerdings kann man auch Gutscheine erwerben und verschenken.

Der Captain war 2019 einen halben Tag dabei, als Frédéric Drouhin seine Weine vorstellte. Man konnte ausgiebig verkosten, zwanglos mit dem charmanten Winzer plaudern und ihm Fragen stellen, bevor es zum Gourmet-Diner mit Koch Ronny Siewert ging, der seit 2008 als Küchenchef im Restaurant Friedrich Franz im Grand Hotel Heiligendamm an der Ostsee wirkt. Erste Frage an Drouhin: Wie spricht man ihren Namen eigentlich aus? Im Video hört man die Antwort.

13 Weine fuhr Frédéric bei dieser Verkostung auf, darunter ein 10 Jahre gereifter Tropfen: Beaune Clos Des Mouches Blanc 1er Cru 2009. Ein Klassiker des Burgund, der im Laden weit über 100 Euro kostet. In der Nase sehr animalisch und ätherisch, die Frucht ist komplett verduftet. Ich rieche Heu und Wiesenblumen und denke sofort an Sex in der Natur. Dann Süßholz, Feuerstein, Eisenbahnschiene, Unterholz, Rauke. Im Mund kraftvoll und ganz großes Säure-Würze-Spiel. Perfekte Balance, leichte Süße, viel Saftigkeit. Sehr nobler und sinnlicher Wein und ein tolles Trinkerlebnis.

Ein Freund des Captain moderiert seit mehreren Jahren immer wieder einen der Wein-Events: Giuseppe Lauria, Chefredakteur der Zeitschrift Weinwisser für fortgeschrittene Weinfreunde und Profis. Lauria:

Das Kronenschlösschen ist eine Oase des guten Geschmacks und das Festival einzigartig. Ich kenne nichts Vergleichbares in Europa. Hans Ullrichs Weinproben sind legendär und für das, was dort aufgeboten wird, sogar preiswert. Da werden bisweilen Raritäten geöffnet, an die man sonst nur sehr schwer rankommt. Es ist absolut beachtlich, was dieser Mann auf die Beine gestellt hat.

Herr Ullrich, wie wird man zum Gourmet? Als Student lebte ich bescheiden. Es gab 25 Tage Spaghetti, aber zwei Mal im Monat fuhr ich mit Freunden rüber ins Elsass und wir hauten dort bei den besten Köchen unser Taschengeld auf den Kopf. Man muss einmal das große Erlebnis eines gelungenen Menüs gespürt haben, dann kann es losgehen.

Warum kommen die Leute zum Rheingau Gourmet & Wein Festival? Weil es vom Anfang bis zum Ende immer locker bleibt. Man kommt schnell mit den anderen Gästen ins Gespräch und wer möchte, lernt dabei etwas über Wein. Obendrein sind wir gar nicht teuer. Wir brauchen drei Tage, um aus Ihnen einen Gourmet zu machen, falls Sie noch keiner sind, und das kostet um die 1.500 Euro. Ich finde, es ist ein guter Deal.

1997 fand das erste Festival statt. Vorbild war die jährliche Kultveranstaltung Masters of Food and Wine in Kalifornien. Gemeinsam mit dem 2004 verstorbenen Winzer und Weinpionier Bernhard Breuer und dem Musikmanager Michael Hermann (Rheingau Musik Festival) stampfte Ullrich das Rheingau Gourmet & Wein Festival aus dem Boden. Es war die Zeit, als das Genießertum in Deutschland angekommen war. Im TV schwang Alfred Biolek den Kochlöffel und mancher deutsche Winzer machte mit sturer Qualitätspolitik allmählich von sich reden. Vorturner dieser Entwicklung war der vielreisende Winzer Breuer aus Rüdesheim, der schon in den früher 1980er-Jahren ein Weinbild malte, das dem Ausdruck unmittelbarer Herkunft Vorrang gab. Der Weinberg, also das Terroir, sollte im Glas schmeckbar sein. Das war damals völlig neu in Deutschland. Breuer gehörte zu einer kleinen Clique, die den deutschen Wein beflügelte. Der drahtige Intellektuelle und Kunstfreund wirkte aber nicht nur bei sich zu Hause, wo er für die FDP Lokalpolitik machte, als diese Partei noch für irgendwas stand. Gemeinsam mit seinem besten Freund Bernd Philippi vom Weingut Koehler-Ruprecht in Kallstadt brachte er den Weinbau auf Madeira nach vorne und das südafrikanische Weingut Mont du Toit in Paarl auf Vordermann. Dann stieß Werner Näkel hinzu und das Trio peppelte die herabgewirtschaftete Quinta da Carvalhosa im Douro-Tal auf. Breuer initiierte die Wiedergeburt des trockenen Riesling, adaptierte das französische Konzept der Qualitätsstufen, war Vordenker des VDP und schmiss seine Mitgliedschaft wieder hin, als die Kleinkrämerei überhand nahm. Hätte die deutsche Weinwirtschaft so etwas wie ein Traditionsbewusstsein, gäbe es schon längst ein Denkmal für diesen Mann. Aber das ist wohl Aufgabe der jungen Winzergeneration, die nun in den Startlöchern steht. Den Funktionären in Gummistiefeln, die heute noch das Sagen haben, fehlt dazu die innere Größe. All das sollte man wissen, wenn man über Hans B. Ullrich und sein Kronenschlösschen spricht, das mehr ist, als ein geschmackvoll eingerichtetes Landhotel mit gutem Restaurant, sondern auch Meilenstein der Weinkultur.

Fast zierlich wirkt der leise und dabei dezidiert sprechende Hans B. Ullrich zwischen den schweren Holzbalken seines Kronenschlösschens. Vokabular und Satzbau sind von der lebenslangen Arbeit an Schriftsätzen und Verträgen poliert, die schnörkellose Rede ist vom Anwaltsberuf geprägt. Ullrichs aufrechte Haltung und sein gerader Blick verkörpern die Bedeutung des Begriffs Hausherr auf angenehm kühle Weise. Daneben ganz und gar nicht untergeordnet wirkt Tochter Johanna, wenn sie sich dem Vater zur Seite stellt. Beide verdienen beste Haltungsnoten.

In den letzten 30 Jahren leitete Ullrich über 100 Verkostungen außergewöhnlicher Sammlerweine. 2020 stand (unter anderem) ein Raritäten-Dinner mit Weinen auf dem Programm, die von Robert Parker mit 99 und 100 Punkten bedacht wurden. Darunter: 2005 Château Tropolong Mondot, 2003 Château Montrose, 2000 La Mondotte, 1989 Château Lynch Bages, 2009 Château Clinet usw. Der Spaß kostete knapp 700 Euro.

Die Bordeaux-Preise steigen und steigen. Stehen wir vor einem Crash? Die Top-Qualitäten werden keinen Einbruch erleiden. Mit Ausnahme von Lafite, der lange überbezahlt war. Glücklicherweise stieß ich vor einigen Jahren alle Flaschen ab. Sie waren im Vergleich zu den anderen Grands Crus viel zu teuer geworden. Dann ist der Preis stark gefallen. Man kannte in der Szene die Ursache der Entwicklung: Reiche Chinesen kauften die Bestände, um sie aus Prestigegründen weiterzuschenken. Für Flaschen mit perfekt erhaltenen Etiketten gab es sogar einen Aufpreis. Ein kleiner roter Fleck auf dem Label hingegen kostete 30% Wertminderung. Das waren Auswüchse. Es ging gar nicht mehr um Wein.

Wie sehen sie im Verhältnis dazu die Entwicklung bei großen deutschen Riesling-Weinen? Da werden wir einen Preissprung erleben. Die Großen Gewächse sind um ein Drittel zu billig – im Vergleich zu ebenbürtigen Weinen aus Frankreich. Bestes Beispiel ist Georg Breuer. Der Hype um den Schlossberg bildet ab, was kommen wird.

 

Datum: 16.6.2020 (Update 16.1.2021)
 

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