Hier am Schiff hat man ein Herz für solche Menschen, die gegen den Strom schwimmen. Frau Walch gehört dazu.
Mitte der 80er-Jahre hat sie die Top-Lagen des Familienweinguts roden lassen und die heimische Rebsorte Vernatsch durch internationale Gewächse ersetzt. Genauer gesagt durch Chardonnay, Sauvignon Blanc, Cabernet Sauvignon und Merlot.
Das klingt so gar nicht nach Heimatscholle und die Beschwörung der autochthonen Gewächse. Aber dieser Trend kam ja erst viel später.
Frau Walch hat gut daran getan. Denn das globale Kraut ist unter ihrer Hand prächtig gediehen.
Ich widme mich heute einem Chardonnay namens „Cardellino“ (ist das italienische Wort für den Vogel Stieglitz) von der Lage Castel Ringberg. Ein für Walch-Verhältnisse moderat bepreister Wein.
Plopp und der gelb leuchtende Saft gluckert ins Glas.
Nase rein. Hm. Da ist nichts.
Seltsam, auf Google stehen so viel tolle Sachen. Und ich rieche nichts. Wird wohl der Heuschnupfen sein. Weg mit dem großen Glas, ich nehme ein kleines.
Und?
Jaaaa! Da ist der Vogel. Etwas kleinlaut allerdings. Ich rieche Kalk und eine stille Baustelle in der Nacht.
Am besten wegstellen. Vielleicht ist der Wein so frisch aus dem Kühlschrank einfach zu kalt. Braucht er auch noch Zeit?
Ticktackticktack.
Ich mache in der Zwischenzeit etwas anderes und greife nach circa 30 Minuten wieder zum Glas.
Da! Es riecht rauchig, ein wenig kräutrig. Ein paar klitzekleine Zitrusnoten huschen vorbei. Spannend.
Ok, ich will trinken. Erster Schluck. Wieder hm. Was ist denn da los?
Ach Mensch, das Glas! Ich fülle in ein größeres um und nehme einen zweiten Schluck.
Und siehe da – jetzt ist die Harmonie voll da.
Willkommen, Früchtchen! Ich schmecke reife Williamsbirne. Herrlicher Schmelz belohnt das Warten. Die Säure ist gut eingebunden und ich genieße einen runden, frischen und gehaltvollen Chardonnay, der eine würzige Mahlzeit wunderbar begleitet.
Was kann/ darf/ muss man dazu essen? Geflügel. Oder ein kräftiger Fisch. Oder ein Pilzragout.
Das Preis-Leistungsverhältnis bei den Walch Weinen scheint mir etwas aus den Fugen geraten. Schon seit längerem. In der Preisklasse gibt es weitaus interessantere Chardonnays, wenn auch nicht unbedingt aus Südtirol. Die Passung zu kräftigem Fisch zweifle ich mal an…
Aber jetzt Schluß mit dem Genörgel, es kommen bestimmt wieder Verkostungsnotizen, die mich erfreuen 🙂
Ich sehe das anders. Für diese Qualität finde ich den Preis völlig ok, vor allem, wenn man sich das Produkt anschaut. Kenne zwar nur die vorherigen Jahrgänge, aber die waren top.