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Robert Weil: Wie schmeckt Riesling von 1917?

Alter Knabe: Rheingau-Riesling von 1917.
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Der Captain trank im Rheingau alten Wein. Richtig alten Wein. Eingeschenkt von Winzer Wilhelm Weil, der zeigen wollte, wie haltbar seine Säfte aus der Renommierlage Kiedricher Gräfenberg sind.
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Wie war das Weinjahr 1917? Man weiß es nicht mehr genau. Unter Weinsammlern gilt der Jahrgang als Gift, weil die erfahrenen Weingutsarbeiter an der Front waren und daher unsauber gelesen und gekeltert wurde.

Auf einem alten Foto von der Mosel sieht man hauptsächlich Uniformierte im Weinberg. Vielleicht wurden ja Soldaten zur Lese abkommandiert.

Im Weingut Robert Weil hatte man offensichtlich Glück im Unglück. Ein Riesling aus dem Schicksalsjahr 1917 schmeckt frisch und lebendig. Was war da los?

Darüber gibt die Chronik des Hauses leider keine Auskunft. Eines ist sicher: Im Rest der Welt wurde gemordet und fleißig umgewälzt.

Die geknechteten Russen revoltieren, die USA traten in den Krieg ein. King George V. gab seinen Namen Sachsen-Coburg auf und nannte sich fortan Windsor. John F. Kennedy kam zur Welt und erhält 46 Jahre später eine Kiste deutsche Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg vom Kloster Eberbach geschenkt. Die Flaschen des Jahrgangs 1917 gelten in Washington als verschollen.

Die ca. 11 Hektar große Weinlage Kiedricher Gräfenberg ist nach Süd bis Südwest ausgerichtet und neigt sich mit 40% bis 60% Gefälle hinunter zum Rhein. Ihre Stöcke stehen auf 150 bis 220 Metern Höhe.

Die warme und luftige Lage hat Vorteile. Kühle Nordwinde, die über den Taunus hereinwehen, werden durch die Erhebungen Heidekopf und Dreibornsköpfe zwischen Eltville und Kiedrich gebremst. Die Traubenreife zieht sich bis in den Spätherbst hin und gewährt den Beeren ausgiebig Zeit, um jene knackige und zugleich schmelzig-dichte Rheingau-Aromatik auszubilden, die weltweit so begehrt ist.

Genau das machte das Weingut Robert Weil für seinen japanischen Eigentümer Suntory interessant, der 1988 einstieg und den Fortbestand sicherte, als der Betrieb in Schieflage geriet.

Suntory, ein riesiger Getränkekonzern, kontrolliert auch die beiden Bordeaux-Weingüter Château Lagrange und Château Beychevelle, die beide im Anbaugebiet Saint-Julien zu Hause sind.

Es heißt, die japanischen Manager mischen sich bei Robert Weil nicht ein. Gründer-Urenkel Wilhelm Weil gibt als Gutsdirektor den Ton an. Ihm gehört noch ein sehr kleiner Anteil: 0,1%.

In einem Ranking der bekanntesten deutschen Luxusmarken, das die Unternehmensberatung Ernst & Young 2013 erstellte (ja, genau die, die die Wirecard-Bilanzen prüften und alles ok fanden), ist Robert Weil als einziger Getränkehersteller vertreten und liegt vor Jil Sander, Miele und Audi.

Auch schön: Seit einigen Jahren ist Wilhelm Weil mit der Winzerin Gesine Roll (Weingut Weedenborn in Rheinhessen, im Bild unten rechts) liiert.

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Die #saar oder was? #vanvolxem #grandopening #wilhelmweil #evaclusserath #philippwittmann #gesineroll #gourmetwelten #riesling

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Wie hegt und pflegt man so eine Flasche, die über 100 Jahre im Keller rumlag?

Vom Einmaleins der Weinlagerung mal abgesehen (Schutz vor Licht, 50% bis 80% Luftfeuchtigkeit, konstante Temperaturen – bei Rotwein zwischen 14 und 15 Grad Celsius, bei Weißwein zwischen 10 und 12 Grad, bei Schaumwein um die 5 Grad), muss so ein Schatz kontrolliert und gegebenenfalls nachjustiert werden. 1999 wurde dieser Wein neu verkorkt und minimal nachgeschwefelt, um die Oxidation zu minimieren, erzählt Wilhelm Weil.

Das war es aber auch schon.

Der 1917er war übrigens nicht der einzige Wein dieser Verkostung, zu der Wilhelm Wein diverse Weinmenschen (Tester und Händler) eingeladen hatte, um eine Produktneuheit vorzustellen: Einen neuen Luxuswein namens Monte Vacano für über 100 Euro, über den der Captain demnächst berichtet.

Neben dem uralten Kiedricher Gräfenberg Cabinet 1917 standen noch weitere Jahrgänge derselben Herkunft am Tisch, die ich gleich einzeln beschreibe. Außerdem Weils moderner Flaggschiffwein Kiedrich Gräfenberg Riesling Trocken Großes Gewächs von 2007 bis 2019. Ebenfalls bereits Raritäten, denn bis zum Jahrgang 2018 sind alle Einzelflaschen schon vergriffen und werden nur noch an die Spitzengastronomie und in Jahrgangskisten abgegeben. Es läuft bei Robert Weil. So scheint es jedenfalls.

Jetzt aber zu den ganz alten Knaben…

  • 1917: erstaunlich lebendig und frisch. Straffe Säure, Minzblatt, ein bisschen Zitronenschale, ein Hauch Honig, minimale Süße.
  • 1921: aus einem Jahrhundert-Jahrgang. In der Nase Dörrobst, Botrytis. Im Mund sehr klare Kante, Waldboden, mit zarten Sherrynoten, eindeutig am Ende des Lebens.
  • 1934: sinnlicher Duft nach getrockneter Aprikose und Feige. Im Mund staubtrocken und nach kaltem Aschenbecher.
  • 1937: in der Nase und im Mund wie guter Whisky. Trocken, komplex und rauchig. Der letzte Jahrgang, bevor die Nazis den jüdischen Weinhandel in Deutschland ausradierten, bemerkt Thomas Curtius (Master of Wine), der neben mir sitzt.
  • 1947: Rauch in der Nase. Im Mund lebendige Säure, Orangenschale, sehr trocken. Extrem straff, man müsste was dazu essen. Aber wer will die Verkostung eines dermaßen ehrwürdigen Weins mit schnödem Gemampfe entweihen?
  • 1949: Mohnsamen in der Nase. Im Mund herrlich frisch, straffe Säure mit Limette und Orangenschale. Köstlich und kaum zu glauben, dass der schon so alt ist.

Fazit: diese Weine haben nichts Schmeichelhaftes (mehr), sie sind intellektuelles Vergnügen, abenteuerlich zu trinken und im historischen Kontext ein Erlebnis, für das man dankbar ist.

Weinfreunden, die jetzt vor Neid erblassen, sei jedoch gesagt: Purer Genuss ist etwas anderes.

Diese alten Weine sind Schatten von dem, was sie einmal gewesen sein müssen. Wir werden nie erfahren, wie sie schmeckten, als sie drei, vier, fünf Jahre auf dem Buckel hatten.

Übrigens: Früher lieferte man viel langsamer aus, berichtet Wilhelm Weil. Der Jahrgang 1904 von Robert Weil wurde erst nach 11 Jahren für den Handel freigegeben.

In 10 Jahren wird der aktuelle Jahrgang 2019 des Kiedrich Gräfenberg Riesling Trocken Großes Gewächs längst vergriffen sein und in den Kellern von Weinfreunden lagern. Wenn nichts dazwischen kommt. Ein Wein, der sich erst mit den Jahren entwickeln wird.

Dem Captain gefiel im August 2020 der 2014er am besten, ein gelbfruchtiges Meisterwerk, herrlich weich und rund. Deshalb ist der 2019er-Trinkbericht nur eine Momentaufnahme: Dieser Spitzenriesling mit britzelnder Frische und gleichzeitig goldgelber Tiefe steht phänotypisch für die Rheingau-Stilistik. Seine Trauben stehen mit den Rappen viele Stunden auf der Maische und werden dann gepresst, spontan vergoren und im großen Holzfass (1.200 und 2.400 Liter Volumen und alt) ausgebaut. In der Nase satte Noten von gelbem Steinobst, vor allem Aprikose. Dann gelber Apfel, etwas Grapefruit, ein Hauch Orange, Tee. Im Mund konzentriert, herrlich griffig, kreidig, elegant-fruchtig nach Apfel, Honigmelone und zartbitter nach Kohlrabi, dabei mit vier Gramm Restzucker knackig-trocken. Eine fulminante Spülung des Mauls, die sowohl salzige Frische als auch reife Opulenz verbreitet und ganz nach hinten trägt. Sehr elegante Struktur, aber nicht überfordernd, sondern erstklassiger und saftiger Genuss, den jeder versteht.

Anti-Aging mit Robert Weil

Das Weingut Robert Weil existiert seit 1875. Seine Gründung beruht auf einem Zufall und den Folgen einer kalkulierten politischen Provokation, wie sie heute gang und gäbe ist – siehe Putin und Erdogan. Als der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck die sogenannte Emser Depesche seines Chefs Kaiser Wilhelm zwo in bewusst verkürzter und damit grob unhöflicher Version veröffentlichen ließ (es ging um die spanische Thronfolge), kochte der französische Volkszorn über und Napoleon III. erklärte den Preußen den Krieg. Kawumm! Es wurde ungemütlich für alle Deutschen in Paris.

Auch für einen gewissen Dr. Robert Weil, Professor für Deutsch an der Universität Sorbonne.

Der fühlte sich im nunmehr feindlichen Land nicht mehr behaglich und beschloss, in die alte Heimat zu ziehen. Schon zuvor hatte er einen kleinen Weinberg im Rheingau-Örtchen Kiedrich erworben. Ein guter Grund, sich dort häuslich niederzulassen. Offenbar verdienten Lehrer damals nicht so schlecht und Weil erwarb die stattliche Villa des englischen Kunsthistorikers Sir John Sutton.

Weil beschloss sein Traubenengagement auszudehnen. Er schwatzte einem gewissen Herrn Nilkens dessen Weingut ab und kaufte noch Rebflächen dazu. So wurde Weil schon damals zum Glücksfall für die quirlige Berliner Gastronomieszene, die Weil-Weine liebt. Denn Nilkens wirkte später als Chefkoch im Adlon.

 

Datum: 27.9.2020 (Update 28.4.2022)
 

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