Einer der vielen Glaubenskriege unter Winzern und Weinfreaks tobt um die Frage der Vergärung des Mostes, also des frisch gepressten Saftes der Trauben. Es wird Zeit, dass der Captain mal sachlich erklärt, was die Spontanvergärung überhaupt ist. Zu diesem Zweck zitiert er sich einfach selbst und veröffentlicht einen Abschnitt des Buches „CaptainCork – das ultimative Weinbuch“. Leider ist es schon total vergriffen.
Die Vergärung erfolgt in der Regel durch Zugabe von sogenannten Reinzuchthefen, die man abgepackt kaufen kann. Viele Verfechter des Terroirgedankens, also der Herstellung von authentischen Weinen, die ihre Herkunft unmittelbar widerspiegeln, schwören dagegen auf die komplizierte Spontanvergärung, bei der ausschließlich die im Weinberg vorhandenen Hefen den Gärprozess in Gang setzen sollen. Hefen gibt es aber nicht nur im Weinberg. Auch im Weinkeller haben sich über die Jahre Hefen gebildet, die quasi von den Wänden fallen und sich beim naturbelassenen Gärprozess manchmal mit einem leichten Kellerton bemerkbar machen. Der mag durchaus erwünscht sein und erweitert dann oft den Begriff Terroir.
Gerade um die Reintönigkeit und den Charakter ihrer Weine zu erhalten, setzen zahlreiche Terroirwinzer auf den Einsatz standardisierter und sicherer Reinzuchthefen. Kommerziell genutzt werden über zweihundert Varianten, darunter auch sogenannte Turbo- und Aromahefen, die bei der Gärung bestimmte Aromen besonders hervorheben können. Solche Hefen sind umstritten und werden von qualitätsbewussten Winzern abgelehnt. Im ökologischen Weinbau stellt sich die Frage nach Turbo- und Aromahefen erst gar nicht, weniger aus gesetzlichen als aus prinzipiellen Gründen.
Die deutsche Weinszene fährt total auf spontanvergorene Weine ab. Vielleicht eine Modeerscheinung, die wieder vergeht. Oder der Beginn einer neuen Entwicklung? Man weiß es nicht. Ganz nüchtern betrachtet Deutschlands populärster Weinkritiker Stuart Pigott das Thema Spontanvergärung in meinem Podcast:
Natur, dieses Wort und Konzept, sitzt sehr tief in der deutschen Seele. Es fängt damit an, dass man den Wein für ein Naturprodukt hält, was völliger Quatsch ist. Wein ist ein Kulturprodukt. Honig und Wein lassen sich ein bisschen miteinander vergleichen. Bei beiden werden natürliche Prozesse vom Menschen gelenkt. Allerdings gibt es beim Honig zumindest die theoretische Möglichkeit, in den Wald zu gehen und wilden Honig zu finden. Das geht beim Wein nicht. Die Trauben fallen nicht simultan in ein Gefäß, wo sie sich zerquetschen und zu Saft werden und dann entsteht von selber Wein. Das ist nicht möglich. Aber der Deutsche klebt an der Vorstellung, dass Wein etwas Natürliches ist und die Weinszene erst recht. Spontangärung kann eine wunderbare Sache sein. Ich arbeite für ein Weingut, wo die Weine aus den eigenen Lagen grundsätzlich spontanvergoren sind. Und das funktioniert in diesem Keller mit diesem Lesegut. Aber in einem anderen Keller mit anderen Trauben kann das schieflaufen. Auch bei uns ist es theoretisch vorstellbar, dass es auch mal schiefgeht. Man muss sehr genau kontrollieren und sich immer wieder die Frage stellen, ist das wirklich besser? Oder soll ich eine Hefetüte aufmachen und reinkippen? Die gezüchteten Hefen sind nicht hundertprozentig berechenbar, aber berechenbarer als die Spontangärung. Die Vorstellung, dass alle gezüchteten Hefen eine böse Erfindung sind, ist totaler Kappes. Es gibt einen guten Mittelweg, den viele rheinhessische Jungwinzer beschreiten: spontan angären und auf halber Strecke eine gezüchtete Hefe dazugeben, um sicher zu sein, dass der Wein trocken wird.
Ja, nicht wenige Winzer und Weinmacher setzen inzwischen auf diese pragmatische Lösung. Zu Beginn lassen sie den Wein spontan vergären und helfen später mit neutraler Reinzuchthefe nach.
Die Gärung ist beendet, wenn der Zucker komplett in Alkohol umgewandelt wurde – oder die Hefen unterwegs schlappmachen. Der Winzer kann den Prozess auch stoppen, um im Wein eine bestimmte Restsüße zu erhalten. Das geschieht durch starke Kühlung und/oder die Zugabe von Schwefeldioxid.
Wir ahnen: Auch diese Methoden sind umstritten und Anlass gleich mehrerer Glaubenskriege.
Nach Abschluss der Gärung wird der Wein zum weiteren Ausbau in Tanks oder Fässer umgepumpt und dabei meistens filtriert. Einige Winzer verzichten auf die Filterung, wodurch die Weine etwas gehaltvoller werden und auch cremiger. Allerdings sagt man diesen Weinen eine verminderte Lagerfähigkeit nach, was ich nicht bestätigen kann.
Bis zur Abfüllung in die Flaschen kann noch vieles getan werden, denn jetzt kommt die moderne Önologie ins Spiel, die mit dem Griff in den Chemiebaukasten und durch Nutzung diverser Hightech-Apparaturen die meisten Weinfehler nach und nach ausbügelt. Ein individueller Charakterwein, der die Besonderheiten der Lage und des Jahrgangs widerspiegelt, wird auf diese Weise allerdings nicht entstehen.
Mit Schönungsmitteln wie Bentonit (Vulkanasche) und diversen Enzymen können mögliche Fehltöne oder die Folgen unerwünschter Oxidation ausgeschaltet werden. Bakterien sorgen für die Umwandlung der geschmacklich aggressiven Apfel- in die mildere Milchsäure, was den Wein gefälliger macht. Andere Enzyme werden wiederum zur Stabilisierung des Weins eingesetzt.
Wer im Weingarten alles richtig gemacht hat, kann auf all dies verzichten. Es gibt jedoch ein Mittel, zu dem es keine Alternative gibt. Man kann es höchstens reduziert einsetzen oder ganz weglassen. Die Rede ist vom Schwefel, der den Wein haltbar macht. Konventionell arbeitende Winzer setzen Schwefel sogar schon im Most ein, was dessen Oxidation verhindert, aber nicht für eine feine Machart spricht.