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Wann kapiert ihr die Temperatur für Wein?

Schon wieder zu warm?
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Es ist zum Haareraufen! Fast jeder Wein wird bei uns entweder zu kalt oder zu warm getrunken.
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Es war eine der größten Auseinandersetzungen, die ich je hatte. Es ging nicht um Politik, nicht um Lebenswege. Nein, es ging um Wein. Um die Temperatur, die er haben soll.

Zu Gast in einer schicken Berliner Wohnung, Charlottenburg, alter Westen. Ein großes Speisezimmer mit Stuckdecken. Zu Gast: Ärzte, Anwälte, Medienmacher. Und ich. Ich brachte Wein mit, eine Magnumflasche.

Wie immer lege ich meinen Wein, wie alle Rotweine, für ein paar Minuten (und ein paar Minuten länger) in den Kühlschrank, um sie auf 18 bis 16 Grad herunterzukühlen. Das kontrolliere ich mit einem Manschettenthermometer, den man um den Flaschenbauch klammern kann.

Mein Rotwein war an diesem Abend als erster Rotwein dran, so kam die Flasche mit 16 Grad an den Tisch. Es war April, es hatte 24 Grad Zimmertemperatur. Angenehm kuschlig, keine Jacken notwendig. Die Männer hatten ihre Hemdsärmel hochgekrempelt. Es war gute Stimmung. Bis Hans, ein Anwalt, den Wein ins Glas bekam. „Der ist ja viel zu kalt“, schrie er auf.

Guter Wein muss „bei Zimmertemperatur“ getrunken werden. Hans umklammerte das Glas und versuchte den Inhalt mit der Hitze seiner vorher aneinander geriebenen Handflächen zu wärmen. Seine Freundin half mit ihren Händen. Eine dramatische Rettungsaktion war angelaufen. Nun ist es mir generell egal, wie andere ihren Wein trinken, das anschließende Wortgefecht aber, machte ein weiteres Verweilen in der Charlottenburger Wohnung unmöglich.

Die Diskussion über Weinkultur kann also sehr emotional werden. Und manche Weisheiten halten sich über Jahre, obwohl sie keine Gültigkeit mehr besitzen. So auch die Weisheit über die Zimmertemperatur. Und obwohl inzwischen fast alle Hersteller eine korrekte Serviertemperatur empfehlen und diese auch auf das Etikett ihrer Flaschen schreiben, glauben fast alle Weintrinker, dass Rotwein vor allem warm getrunken werden muss. Denn nur dann kann er sich voll entfalten. Was für ein Quatsch.

Die Regel mit der Zimmertemperatur stammt aus Zeiten von Thomas Mann und den Buddenbrooks, wurde also am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts propagiert, als das Bürgertum sich im Speisezimmer zum gemeinsamen Essen einfand. Zu Tisch erschien die Familie korrekt gekleidet, inklusive angezogenem Jackett. Das Speisezimmer wurde nur gering beheizt, wärmer war es im Salon, wo man später noch einmal zusammenkam. Dort brannte der Kamin, dort fiel auch das Jackett. Im Sommer wurde das Speisezimmer tagsüber verdunkelt. Und so entsprechend kühl gehalten.

Der Rotwein dieser Epoche, zudem ganz anders gemacht, stand also in einem etwas kälteren Zimmer. Dort war es zwar wärmer, als im Keller. Doch für unsere Verhältnisse immer noch kühl.

Heute ist das Unsinn. Ein Rotwein, der zwischen 21 und 24 Grad (oder noch wärmer) getrunken wird, schmeckt einsilbig, alkoholisch und säurebetont. Er brennt in der Speiseröhre, verätzt die Kehle. Kein Vergnügen. Die Verfechter des warmen Rotweins argumentieren mit dem Aromagewinn. Warmer Rotwein schmeckt viel besser, da seine ganzen Aromen erst bei der richtigen Temperatur, der Zimmertemperatur, zur Entfaltung kommen. Das ist Quatsch, den man getrost vergessen kann.

Nein, Rotwein sollte zwischen 16 Grad (junge, eher leichtere Rotweine), 18 Grad (schwere und wie heutzutage leider üblich zu jung getrunkene Rotweine) und 19 bis 20 Grad (ältere und alte Rotweine) getrunken werden. Doch was für viele Rotweine gilt, gilt auch für die meisten Weißweine. Auch jene werden falsch temperiert getrunken. Zu kalt.

Hier scheint es offenbar richtige Tiefkühlwettbewerbe zu geben. In manchen Restaurants kommt der Chardonnay mit zehn Grad (und weniger) zu Tisch. Und der leichte Riesling oft unter acht Grad. Ein Verbrechen.

Das hat einen banalen Grund: Weißwein gilt seit geraumer Zeit nicht mehr als Speisenbegleiter, sonder als Sommergetränk. Und so als Durstlöscher. Durstlöscher müssen kalt sein. Die in Mode gekommene, kalt getrunkene Weißweinschorle tut ein Weiteres. Von der Schorle sprang die Temperatur zum Wein. Ein Unglück.

Schwerer Weißwein, ein anständiger Burgunder zum Beispiel, kann seine Aromen nicht unter 12 Grad entfalten. Eigentlich müssten es noch zwei Grad mehr sein, doch das ist selbst mir zu warm. Ein Weltklasse-Riesling kann zwar auch kalt einigermaßen Vergnügen bereiten, doch raubt man ihm seine gesamte Bandbreite. Während also beim Rotwein eine alte Regel den Genuss verdirbt, beeinträchtigt beim Weißwein die neue Mode das Trinken. Man darf sich von beiden verabschieden.

Der große Dekantier-Schwindel

 

Datum: 13.5.2020
 

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