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Schloss Proschwitz: der Kuss des Prinzen

Georg Prinz zur Lippe-Weißenfeld als Jungwinzer.
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Für den Captain berichtet Rudi Knoll über seine erste Begegnung mit Quereinsteiger-Winzer Georg Prinz zur Lippe-Weißenfeld in Sachsen, der viel Ablehnung erfuhr, bis er von den Einheimischen akzeptiert wurde.
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Der Captain befindet sich auf Geschäftsreise durch Norddeutschland, ein bedrückender Trip hinter der Virusmaske. Geht aber nicht anders. Es müssen wichtige Dinge besprochen und hin- und herüberlegt werden. Das funktioniert nicht auf Zoom.

Auf so einer Reise bleibt wenig Zeit zum Newsletter-Tippen und deshalb muss Rudi Knoll ran, der neulich auch den neuen Mittagsletter des Captain vollschrieb. Schon gelesen? Selber schuld, wenn du den nicht abonniert hast. Der kommt jetzt immer öfter. Was der Captain oft sagt, wenn er mit Rudi spricht, geht so: „Erzähl doch mal von früher.“ Dann ist Rudi vielleicht genervt, aber die Chance, Geschichten aus dem Pleistozän des modernen deutschen Weinbaus zu erfahren, darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen, wenn es einen gibt, der alles selbst erlebt hat.

Natürlich gehört zu so einer Historie ein angemessener Wein. Et voilà, es ist der ergreifend-sinnliche Weißburgunder Kloster Heilig Kreuz trocken von Schloss Proschwitz, ein Weingut, das gleich nach der Wende von einem echten Prinzen wachgeküsst wurde. Aber ich will nicht vorgreifen. Hier kommt Rudi:

Bei meiner ersten Tour durch die DDR im Frühjahr 1984 hätte ich auf einen Herrn namens Otto Arndt schimpfen können, der von 1970 bis 1989 Verkehrsminister der Deutschen Demokratischen Republik war. Denn die ersten 40 Kilometer auf sozialistischem Autobahn-Gelände konnte ich nur mit Tempo 30 bewältigen, so uneben war die Fahrbahn. Als die Straße besser wurde, musste ich höllisch aufpassen, dass ich die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf meist 80 km/h und gelegentlich überraschenden 60 km/h nicht übersah. Sonst wäre eine satte Strafe in D-Mark fällig gewesen. Meine umgetauschten Ost-Mark wären dafür kein taugliches Zahlungsmittel gewesen. Ein paar Jahre später erzählte mir ein gewisser Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau (Gott hab ihn selig), dass er die 300-Kilometer-Strecke von Hof bis nach Berlin-West zu DDR-Zeiten in weniger als zwei Stunden zurückgelegt hat. Sein wunderschöner Adelstitel hätte ihm bei einer Verkehrskontrolle sicher nicht geholfen. Schließlich war der Adel im sozialistischen Osten nicht mehr existent. Wer blaues Blut in den Adern hatte, wurde enteignet und aus der demokratischen Republik geschmissen, der alte Besitz aufgeteilt, die Grundstücke Bauern aus der Gegend geschenkt.

Das war der Grund, warum ich im Frühjahr 1992 zu einer weiteren Reise gen Osten aufbrach. Nicht zum ersten Mal nach der Grenzöffnung. Diese Tour versprach besonders spannend zu werden. Doch ich wurde ausgebremst. Schuld daran war wieder ein Verkehrsminister, der gleich nach der Wende als politisches Wunderkind der Ex-DDR Karriere machte, weil er mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag ausgehandelt hat und 1991 zum Bundesminister für Verkehr ernannt wurde. Zwei Jahre später musste Shooting-Star Günther Krause wegen mehrerer Affären zurücktreten. Man merkt schon, der aktuelle Ressortleiter in diesem Amt müht sich redlich ab, diese Traditionslinie aufrecht zu erhalten. Zurück zu meiner Reise in den wilden Osten. Hinter Hof war plötzlich Schluss: Baustellenchaos. Nach gut einer Stunde Standzeit ging es endlich weiter und bei Jena auf eine funktionsfähige Verbindung über Gera Richtung Dresden. Kurz vor der Sachsen-Metropole abgezweigt nach Meißen und die Suche nach einem Dörfchen namens Proschwitz begann. Endlich da.

Ich hielt vor einem Winzerhäuschen. Der Hausherr hatte das Motorengeräusch gehört und stand schon in der Tür. „Schön, dass sie mich gefunden haben“, lachte Georg Prinz zur Lippe-Weißenfeld. In der Fußnote eines Rundbriefs des fränkischen Weinguts Castell hatte ich erstmals über diesen Mann gelesen. Nämlich, dass „…unser Verwandter Prinz zur Lippe derzeit ein Weingut in Sachsen aufbaut“. Dessen Kontaktadresse war schnell eruiert, der Termin an der Elbe rasch vereinbart. Es folgte ein langes Gespräch, verbunden mit einer kleinen Weinprobe des Erstlings, ein Grauburgunder, der auf eigenwillige Weise entstanden war.

Der Gastgeber erzählte, dass die Familie 1945 von Schloss und Weingut und sonstigen Ländereien vertrieben wurde und er jetzt versuche, aus eigener Kraft den Neuanfang zu starten. Die Rückgabe des alten Besitzes war ja im deutsch-deutschen Einigungsvertrag ausgeschlossen worden. Auch daran hatte Herr Krause als ostdeutscher Verhandlungsführer mitgedreht, weil er nicht wollte, dass Agrarland, welches nach 1945 in das Eigentum von DDR-Bürgern übergegangen war, nochmal weggenommen wird.

Der Prinz (Jahrgang 1957, damals noch in München als Unternehmensberater für Roland Berger tätig) führte eigentlich ein gutes Leben mit Wohnsitz in einem schmucken Penthouse. Doch das Abenteuer Wein lockte zu sehr. Ende 1990 sondierte er die Lage in Proschwitz und machte Bekanntschaft mit Mitarbeitern einer Weinbrigade. Er übernahm 15 Hektar zunächst in Pacht – und die 16-köpfige Brigade gleich mit dazu. Ein Weilchen pendelte er noch zwischen München und Sachsen hin und her und empfand die Beschäftigung mit Weinbau als angenehme Abwechslung. „Ich wusste vorher vor lauter Arbeit schon nicht mehr, ob Sommer oder Winter ist.“

Ein bisschen Ahnung hatte er ja, weil zu seinem Studium der Agrarwissenschaften auch ein paar Semester Weinbau gehörten. Aber Weinmachen ohne Kellerei geht nicht. Also wurde der Prinz bei der Meißener Genossenschaft vorstellig, ob er hier seine 1991er Ernte ausbauen könne. Der Geschäftsführer der Kooperative forderte erstmal frech eine Einlage von 100.000 D-Mark. Wenn ihm das nicht passe, dann sei er der Erste in Sachsen, der Rosinen ernten würde, gab man dem Jungwinzer hämisch zu verstehen. Und das kurz vor der Lese.

Doch die Gier wurde nicht belohnt. Denn da gibt es noch die noble Verwandtschaft in Castell. Hier erklärte man sich bereit, den Ausbau zu übernehmen. Nur die Trauben müsse er schon selber nach Franken bringen. Eine Spedition fand sich dafür nicht, aber ein Mitarbeiter der Brigade wusste, dass im aufgelösten Fuhrpark der Nationalen Volksarmee noch ein alter Militär-Lkw stand. Mehrfach fuhr der Prinz die 340 Kilometer nach Castell, lieferte Trauben ab, fuhr zurück und bestückte seinen Transporter erneut. Zweimal landete er dabei fast im Straßengraben. Aber die Tour war erfolgreich und die Ausbeute beachtlich: 25.000 Liter Wein. Um die Verarbeitung kümmerte sich zunächst das Casteller Weingut, dessen Kellermeister Eduard Krammer das Werden der Jungweine überwachte.

Nippel-Alarm auf Schloss Castell

Der nächste Jahrgang, der bei meinem Besuch 1992 gerade austrieb, konnte dann schon in einem Behelfsgebäude in der Nähe der prinzlichen Notunterkunft ausgebaut werden, wieder überwacht vom fränkischen Kellermeister. Prinz Georg kam langsam voran, konnte Fläche zukaufen und pachten, sah sich beim Wein selbst als „Universell-Dilettant – keine Ahnung, aber jede Menge Ideen“, holte Geld in die Kasse, weil er nebenbei noch als Unternehmensberater tätig war.

Und er hatte mit netten Bürgern zu kämpfen, die ihn am Telefon bedrohten, seine Autoreifen zerstachen und einmal sogar einen Brandsatz deponierten, der gottlob nicht hochging. „Wir brauchen keinen Prinzen. Den Adel haben wir schon ausgerottet“, hieß es.

Im Frühjahr 1994 bat mich Georg Prinz zur Lippe-Weißenfeld im Meißener Restaurant Vincenz Richter zu einer Jungweinprobe aus dem Tank, ganz unter vier Augen, und brachte ein paar Flaschen mit provisorischen Etiketten mit. Tage später kam ein amtlicher Anruf aus Sachsen: „Stellen Sie sich vor, was ich heute bekommen habe – eine Anzeige wegen In-Verkehr-Bringen von ungeprüften Weinen.“ Die Anzeige stammte vom freundlichen Wirt, der uns bedient hatte.

Inzwischen ist der hochadelige Winzer akzeptiert und integriert. Nach Bewältigung diverser Probleme und finanzieller Engpässe gebietet Georg Prinz zur Lippe-Weißenfeld über einen 60-Hektar-Betrieb, dessen Herzstück das alte Familienschloss ist, das er 1996 im verwahrlosten Zustand kaufte. Heute strahlt es prächtig herausgeputzt im alten Glanz, zu dem die Ehefrau des Winzers, die Politik-Journalistin Alexandra Gerlach, Erhebliches beitrug.

Rudi Knoll berichtet über seinen Lieblingswein aus Schloss Proschwiz, den oben erwähnten Weißburgunder Kloster Heilig Kreuz trocken, den er im Sommer 2020 probierte und dem Captain aus dem Gedächtnis diktierte: Sinnlicher Wein aus der jahrhundertealten und lange verwahrlosten Lage eines längst zerstörten Klosters, die von Weinbauberater Günther Rühle (1942-2019) wiederentdeckt, von Experten der Wein-Hochschule Geisenheim untersucht und von Winzer Georg Prinz zur Lippe neu aufgerebt wurde. In der Nase weißer Pfeffer, Kräuterwürze, Honig. Im Mund extreme, aber klare und saubere Würze, viel Tiefgang. Immer noch frisch und anspringend, viel Spannung. Dieser Wein hat meinen Mund richtig austapeziert. Wir tranken ihn an einem heißen Tag und fühlten uns wie wiederbelebt.

 

Datum: 6.4.2021 (Update 7.4.2021)
 

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