Das wichtiges, was wir von diesem Wein lernen, nachdem wir ihn getrunken haben, ist: Etiketten bedeuten nichts!
Aber auch gar nichts. Wie oft ist mir schon angesichts eines gelungenen Etikettendesigns das Herz vor Freude in die Luft gesprungen. Der Flascheninhalt war dann allerdings eine Enttäuschung. Und hier?
Ich sehe die wahrscheinlich hässlichste Weinflasche des Universums mit infantilem Billig-Etikett.
Es handelt sich um den Petite Ours Brun (= kleiner brauner Bär) des Winzers Matthieu Barrett von der Domaine du Coulet im Weinbaugebiet nördliche Rhône. Die Buddel sieht aus wie ein zu groß geratener Alcopop.
Das Auge trinkt mit. Wenn dieser Spruch irgendeine Bedeutung hat – dann gute Nacht!
Ok, langsam. Bleiben wir fair. Matthieu Barret ist nicht irgendwer. Und seine Weine auch nicht.
Die Lage, von der die Trauben des kleinen braunen Bären kommen, nennt er Niemandsland. Und dieses Niemandsland liegt genau zwischen den Appellationen Cornas und St. Joseph im Rhônetal.
Bei Weinkennern klingelt´s jetzt. Rotwein aus Cornas hat einen ganz speziellen Sound.
Ausschließlich Syrah darf hier auf den Böden voller Granit, Kalk und Lehm angebaut werden. Cornas heißt „verbrannte Erde“ (keltisch) und man beginnt zu ahnen, was hier klimamäßig abgeht.
Cornas-Syrahs sind tiefdunkle, erdige Weine mit kräutrigen Noten und ordentlich Tannin.
Und St. Joseph? Das ist der nicht so bekannte Nachbar im Norden. Auch hier nur Syrah (die weißen Rebsorten Rousanne und Marsanne sind als gelegentliche Cuvée-Partner erlaubt) und ähnliche Böden wie in Cornas. Das Gelände ist unwegsam, Wein wird oft in Terrassen angebaut.
St. Joseph bedeutet Frucht, Leichtigkeit, sanftes Tannin und rassige Säure. St. Joseph ist also etwas anders als Cornas. Übrigens: direkt östlich von St. Joseph und am anderen Ufer der Rhône liegt die berühmte Appellation Hermitage, bei der so manch Frankreich-Trinker feuchte Augen bekommt.
Und mittendrin werkelt Monsieur Barret an seinem hässlichen, kleinen, braunen Bären. Wie sich das für eine ordentlichen Biowinzer gehört, pflügen zwei Mulis durch den Weinberg.
Das ist symphatisch. Aber schaun wir mal, was in der Flasche drinsteckt.
In der Nase juckt mich gleich zu Beginn etwas brauner Pfeffer. Dann geröstetes Tomatenmarkt, trockene Gewürze. Ich zähle: Thymian, Rosmarin, Majoran, Oregano. Und zum Schluss kommt dezentes Pflaumenaroma auf. Alle Achtung, das war jetzt ein Duftbad! Aber hält der Mund, was die Nase verspricht?
Da ist es erstmal frisch, sehr frisch! Der Wein hat nur 13 Volumenprozent Alkohol. Ich schmecke ein bisschen Pflaume, etwas mehr Brombeere, Kakao, Kellerstaub und nassen Waldboden. Hintennach bleiben auch ein paar Krümel Salz hängen – Mineralik! Alles sehr schön aufeinander abgestimmt, tolle Balance.
Das ist ein grundfreundlicher, zugänglicher und trotzdem alles andere als langweiliger Bio-Wein, der mit natürlichen Hefen im Betontank vergoren wurde und den kleinen fetten Bären am Etikett jetzt ein wenig plausibler erscheinen lässt. Und die Qualitäten beider Appellationen, zwischen denen er entsteht, in sich vereint: frische Mineralik und raue, erdige Tiefe.
Was dazu essen? Etwas unkompliziertes. Zum Beispiel Lammkoteletts oder Tafelspitz mit brauner Soße, wie er im Berliner Restaurant Borchardt gelegentlich serviert wird…