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Da stehen sie nun. Die Flaschen vom Weingut AP-Nummer, die meistens am Etikett komplett überlesen wird. Normalerweise kümmern mich solche Ziffern wenig, weil ich als Jurist beruflich genug mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu tun habe. Kleingedrucktes möchte ich nach Feierabend lieber ausblenden.
Doch bei diesen Weinen lohnt sich genaueres Hinschauen, denn da stimmt nämlich irgendetwas nicht. Nein, nicht mit dem Wein, sondern mit der AP-Nummer. Ich tauche ein in die Zahlenwelt der deutschen Weinbürokratie und will Antworten.
Boah – Nachhilfe in deutscher Weinbürokratie
Die Allgemeine Prüfnummer (kurz: A.P.-Nr.) gehört zu den langweiligsten Bestandteilen eines deutschen Weinetiketts. Sie ist quasi die lebenslange Steuernummer eines jeden Qualitäts- oder Prädikatsweines, der in Deutschland auf den Markt kommt. Sie besteht in der Regel aus elf Ziffern, gedruckt aufs Etikett. Die erste („1″) steht für die Prüfstelle bei der Landwirtschaftskammer (hier Koblenz). Die nächsten drei Ziffern („649″) kennzeichnen die Gemeinde, in welcher der Betrieb seinen Sitz hat (also hier Kobern-Gondorf). Die nächsten drei Ziffern („097″) sind die Betriebsnummer des Abfüllers (also Weingut Dötsch-Haupt). Ist doch alles ganz einfach – wenn man es weiß.
Die darauf folgenden zwei Ziffern sind die Nummer der Prüfcharge des Abfüllers (hier also Füllung 08). Die werden dann interessant, wenn ein Erzeuger zwei oder mehrere Weine unter ein und derselben Bezeichnung vermarktet. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Manche Erzeuger füllen beispielsweise jedes Gebinde traditionell einzeln ab. Andere bringen einzelne Partien je nach Nachfrage unter unterschiedlichen Bezeichnungen in den Verkehr. Etwa als Kabinett oder als Literschoppen – je nachdem, was gerade gefragt ist. Das ist nicht gerade transparent, aber auch nicht unseriös. Es sei denn, es wird damit Schindluder getrieben. Sonderabfüllungen für Kritiker und Wettbewerbe zum Beispiel, unterscheidbar nur an den AP-Nummern. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Zeug kam vier Jahre (!) nach der Lese auf den Markt
Die letzten beiden Ziffern bei der AP-Nummer sind die Jahresangabe. Nicht des Weinjahrgangs, sondern der Prüfung. Bei Weißweinen erwartet man das Lesejahr oder – in der Regel – das Jahr danach. Bei meiner Flasche war das die 11, also erfolgte die Prüfung im Jahr 2011. Und damit kommen wir zu dem Punkt, der mich verstört. Die Prüfung erfolgte im vierten Jahr nach der Lese! Das ist bei trockenen Rieslingen wirklich ungewöhnlich. Also was ist hier los?
Die Lösung: Martin Dötsch ist kein Anhänger des Jugendwahns. Nein, keine Sorge, so alt ist er nun auch wieder nicht. Aber er mag halt keine unterentwickelten und trinkunfertigen Weine. Er mag seine Weine, die außer einer neutralen Reinzuchthefe und reichlich Schwefel keine weiteren Zusatzstoffe enthalten. Keine Kohle, keine Enzyme, kein Bentonit und schon gar keine Mittelchen aus Frankensteins Labor. Dafür liegen sie gerne jahrelang im Edelstahltank auf der Feinhefe. Das sind die leichten Trübstoffe, die nach dem ersten Fassabstich nach Ende der Gärung im Jungwein bleiben, bis dieser vor der Füllung in aller Regel sterilfiltriert wird. Was im Falle des oben erwähnten Weines fast vier Jahre (!) gedauert hat.
Frischmaat Golenia kapituliert
Das Ergebnis sind Weine, die polarisieren. „Dötsch-Wein mag man – oder eben nicht“, urteilt Weinkritiker Wolfgang Fassbender im Eichelmann 2006. Und Frischmaat Golenia klinkt sich spätenstens nach der dritten Flasche von Dötsch-Haupt aus. „Übernimm Du den!“, war seine persönliche Kapitulation vor diesem Stil. Ich erwarte nun den ultimativen Rock’n’Roll des Moselweins!
Voilà, frisch geöffnet erinnern die Weine mehr an einen Weißburgunder als an einen Riesling – so weich und mollig sind sie. Eine Folge des langen Hefelagers. Zudem wird im Lesegut auch ein gewisser Teil an edelfaulen Trauben (Botrytis) akzeptiert, was den Weinen eine gewisse Cremigkeit verleiht. Zusammen macht das einen ziemlich braven Eindruck. Irgendwie hatte ich mir Rock’n’Roll an der Mosel anders vorgestellt. Mich erinnert das höchstens an einen neuzeitlich-lahmen Auftritt von Peter Kraus.
Aber: gibt man den Weinen Luft, dann ändert sich das Bild. Hinter den weichen, hefigen Noten kommen immer deutlicher die mineralischen Töne des Koberner Uhlen zum Vorschein. Diese machen die Weine vielschichtiger und authentischer – und einfach trinkanimierender.
Der Koberner Uhlen ist übrigens eine Lage, die weit weniger geläufig ist als der berühmte Winninger Uhlen, über den hier an Bord schon berichtet worden ist. Dabei handelt es sich um ein und dieselbe Lage, die zwischen Kobern und Winningen gelegen ist und nach beiden Orten benannt werden darf. Der Uhlen halt. Und der ergibt erdige und herb-florale Noten nach frisch gemähter Frühlingswiese mit reichlich Gänseblümchen und ein wenig Lavendelblüten. Diese Aromen stammen von den unterschiedlichen Gesteinsformationen, mit denen der Uhlen geologisch untermauert ist – von Schieferformationen über Kalk, Sandstein und Quarzit, alles gerne auch gemischt.
Jetzt kommt die kitschige Verkostungsdichtung…
Frappierend an den Weinen von Martin Dötsch ist, wie diese in sich ruhen. Als könne sie in diesem Leben nichts mehr erschüttern. Das zeigt sich umso deutlicher, wenn man verschiedene Jahrgänge des Weines – am Beispiel der trockenen Spätlese – aus vergleichbaren Jahrgängen im Glas hat. 2005, 2007 und 2009 gelten an der Mosel als sehr reife Jahrgänge. Und so präsentieren sich die Weine auch: alle kraftvoll-vollmundig, cremig und überaus saftig mit viel reifer, fast schon kandierter Frucht, subtiler, reifer Säurestruktur und ohne das in deutschen Landen weit verbreitete Zuckerschwänzchen.
Der 2009er zeigt sich mit jugendlich-parfümierter, gleichwohl niemals kitschiger Frucht und Floralität und erinnert fast schon ein wenig an einen Viognier von der Rhône, etwa einen Condrieu. Beim erst im Februar gefüllten 2007er steht die Frucht noch im Vordergrund, sie ist aber ein wenig erwachsener geworden und hat ihr Parfum abgelegt, die Mineralität tritt deutlicher hervor und die verschiedenen Komponenten werden spürbar harmonischer. Erst beim 2005er zeigen sich erste zarte Petrolanklänge, welche die erste Reife eines Weines andeuten. Frucht und Cremigkeit sind hier weiter zurückgegangen und einer rauchigen Mineralität gewichen. Die floralen Noten erscheinen hier witzigerweise leicht welk und harmonieren prima mit den Eindrücken nach frisch geschnittenem Brot. Dennoch ist die Frucht noch nicht gänzlich eingebunden, man merkt, dass der Wein immer noch zu jung ist und seinem nächsten Höhepunkt in vielleicht zwei bis vier Jahren in aller Ruhe und Gelassenheit entgegenreift.
Aaaah – DAS ist eine Vertikale!
Wer die Reifentwicklung bei klassisch ausgebauten Rieslingen einmal nachvollziehen möchte, kommt an solchen Weinen nicht vorbei. Für solche – übrigens wirklich lehrreiche – Vertikalen benötigt man aber normalerweise einen gut sortierten Keller. Glücklicherweise geht es hier aber auch ohne, da die Dötschens selber einen haben. Hier gibt es Weine bis zurück in die letzten Jahre des vergangenen Jahrtausends. Die übrigens noch nicht einmal teuer sind. Wer´s lieber rassig mag, kann natürlich auch die etwas schlankeren 2008er mit dem 2004er und dem 1998er vergleichen. Nur den 2010er gibt es leider nicht.
Die Dötschens haben sich schlicht geweigert, ihre Weine aus 2010 zu entsäuern. Und unter eigenem Etikett vermarkten wollten sie die wenig bekömmlichen Weine schon gar nicht. Also haben sie schlicht und ergreifend die Produktion des gesamten Jahrgangs im Tank verkauft. Ganz ohne A.P.-Nummer. Und da röhrte er dann doch, der Rock’n’Roll!
- Riesling Spätlese trocken Koberner Uhlen 2005, 2007 sowie 2009 vom Weingut Dötsch-Haupt in Kobern-Gondorf an der Mosel (13 – 13,5 % Alkohol), für 9,00–11,50 Euro.
Besten Dank für diesen Artikel. Dötsch-Haupt hatte ich bis jetzt nocht nicht verkostet. Ein für mich bisher unbeschriebenes Blatt aus dieser Gegend. Bitte mehr Artikel mit diesem Informationsgehalt!
schade,
ich hoffte eigentlich auf einen aufgedeckten Skandal. Is‘ nicht, aber ich durfte etwas über einen Winzer erfahren, der seine Weine später abfüllt. Das ist sowas von Standard und abgedroschen, überhaupt wenn der Autor von den Reinzuchthefen und von dem kräftigen Einsatz von Schwefel spricht.
Die Story lässt mich das Weingut ablehnen, leider!
Ich kenne an der Mosel vielleicht Betriebe, bei denen eine Trockenbeerenauslese nicht so recht gären will. Oder ich kenne Betriebe, die bestimmte Partien bewusst erst später auf den Markt bringen, die sie aber schon längst vorher gefüllt haben. Ich kenne aber niemanden, der heute noch eine trockene Riesling-Spätlese aus dem Jahrgang 2005 auf der Feinhefe liegen hat. Wenn es da aber noch andere interessante Adressen gibt, freue ich mich über Hinweise!
Im übrigen unterscheiden sich diese Weine von ihren Pendants an der Terrassenmosel durchaus. Sie sind deutlich geschmeidiger und fülliger, und dabei geschmacklich völlig trocken. Das muss man nicht mögen. Standard ist das aber nicht.
Was spricht eigentlich per se gegen den Einsatz neutraler Reinzuchthefen oder von Schwefel?
Ich verstehe nicht recht, was an einer Füllung vier Jahre nach Prüfung sog. „Standard“ ist? Ist die ewige Verehrung der sog. „Spontanvergärung“ nicht abgedroschen? Ich würde mich über eine Antwort freuen.
Mitnichten, es ist der einzige Weg zu authentischem Wein, das lehrte schon Müller Thurgau: „Reinzuchthefen nehmen dem Wein Charakter, machen ihn flach und austauschbar…“ Nebenbei kapier ich den Sinn von reichlich Schwefel und langer Fasslagerung nicht. Wann wurde der Wein denn geschwefelt?
Karter Karlo, ihre Aussage halte ich für reichlich pauschal. Sie lesen sich so, als ob alle großen Weine der Welt mit Spontihefen vergoren wurden, und umgekehrt alle schlechten mit Zuchthefen. Das ist mir doch ein wenig zu einfach!
Die Spontangärungsdiskussion ist schon sehr häufig in den Weinforen geführt worden – eine Annäherung der Standpunkte war nie erkennbar. Insofern ist sie müssig (dass 90% der von mir wertgeschätzten Weine spontanvergoren sind, hat Gründe, die aber keiner Geschmacksdiskussion aussetzbar sind).
Was mich nach dem sehr interessanten Artikel von einem Verkosten der Dötsch-Haupt-Weine abhält , ist der hohe Alk.- Gehalt. Mittlerweile finden sich leider immer weniger trockene Rieslinge mit 12 % Alk., die ohne den Geschmacksträger Alk. auskommen – gerade auch an der Terrassenmosel.
Das kann ich prinzipiell nachvollziehen. Die Weine stecken – gerade wegen ihrer Hefigkeit – den Alkohol zwar ganz gut weg, dennoch wird die Reife des Leseguts gut erkennbar. In den nicht ganz so dicken Jahren fällt allerdings auch der Alkoholstand moderater aus – so liegt der 08er bei 12,5%.
Danke für die Anmerkung. Ich bin zwar selber auch ein Fan spontanvergorener Weine. Allerdings habe ich schon eine ganz Reihe großartiger, authentischer Weine getrunken, bei denen Reinzuchthefen zum Einsatz kamen. Die beschriebenen Weine sind weder flach noch austauschbar, noch ist bei ihnen der Einsatz selektierter Hefen klar herauszuschmecken.
Die lange Lagerung auf der Feinhefe hat das Ziel, dass die Weine komplexer werden, sich langsamer entwickeln und länger frisch bleiben. Schwefel konserviert die Weine zusätzlich und bewahrt diese vor einer vorzeitigen Alterung. Die Weine sind meines Wissens wie die meisten anderen Weine auch mehrfach geschwefelt worden.
Der Wein wurde mit einer geringen Schwefelgabe nach beendeter Gärung eingelagert. Vor der Füllung, also etwa Anfang Februar 2011 haben wir den Schwefelgehalt eingestellt. Laut Prüfanalyse vom 28.02.2011 weist er einen Gesamtgehalt an schwefliger Säure von 165mg auf. Für weitere Fragen melden sie sich gerne.