Was gerade zugunsten der Nachrichtenlage über Covid-19 in den Hintergrund gerät, ist das Thema Klimawandel. Das Weinland Argentinien durchlebte im Herbst 2020 (bei uns Frühjahr) eine Lesezeit, wie noch nie gehabt. Und das nicht nur wegen social distancing bei der Arbeit. Die stolze Weinnation blickt auf das wahrscheinlich heißeste Jahr ihrer Geschichte zurück. Wird das auch Auswirkungen auf die Weine von dort haben? In Deutschland steht nach dem Hitzejahr 2018 eindeutig fest: Ja. In Argentinien ist man anderer Meinung.
Die Rebsorte Malbec lernte der Captain zu schätzen, als er wegen des Corona-Virus in Miami festsaß und irgendwann keine Lust mehr auf die vielen breiten Rotweine aus US-Produktion verspürte, für die man auch noch Unsummen bezahlen muss. Da bot sich im lokalen Weinhandel die Alternative aus Argentinien an – eine Vielzahl wohlschmeckender und charaktervoller Weine, die obendrein leistbar sind. Leider schaffen es nur die wenigsten davon nach Deutschland, denn der Import ist mühsam und erfordert Mut. Der Deutsche trinkt eben lieber, was er kennt. Oder billig. Oder beides. Wie schade.
Die argentinische Weinlese begann 2020 so früh wie nie und dauerte nur zwei Monate, statt der bisher üblichen vier. Historisch hohe Temperaturen, Dürre und Frost während der Weinbausaison sorgten für niedrige Erträge. Zwischen 5 und 7 Hitzewellen zählten die Metereologen in diesem südamerikanischen Sommer. Die Schneefälle in Mendoza sackten auf den niedrigsten Stand der letzten 20 Jahre ab. Da man gezwungen war, die Bewässerung zu reduzieren, reiften die Beeren schneller aus und die Ernte musste um zwei bis vier Wochen vorgezogen werden. Resultat: Die Weinkellereien hatten die angelieferte Traubenmenge doppelt so schnell zu verarbeiten. Am 26. April berichtete das Nationale Weinbauinstitut Argentiniens (INV), dass 2,04 Milliarden Kilogramm Trauben geerntet und verarbeitet worden waren. Der Zehnjahresdurchschnitt liegt bei 2,62 Milliarden Kilo.
Und jetzt kommt der wirklich interessante Teil: Es heißt nämlich, dass trotz aller Widrigkeiten die Frische der Weine nicht gelitten habe, meldet die nationale Weinbau-Behörde. Es kann natürlich pure Propaganda sein, kennt man ja auch bei uns. Das schmerzfreie Hochjubeln von Ernteergebnissen ist jedes Jahr der peinliche Höhepunkt aller Pressemitteilungen aus den 13 deutschen Anbaugebieten. Bei der Lektüre fühlt sich der Captain jedesmal an die Ernteschlacht-Parolen in der DDR erinnert.
Aber vielleicht ist dennoch was dran an der Story, dass frischer Wein auch bei glühender Hitze möglich ist. Argentinische Fachleute streiten nämlich ab, dass eine zwingende Kausalität zwischen hohen Temperaturen und entsprechend breiten Weinen wirkt. Wer die Argumente genauer kennenlernen möchte, klickt am besten auf einen Artikel des englischen Fachmediums → The Drinks Business. Da wird Fachchinesisch gesprochen.
Der Captain öffnet einen roten Argentinier aus dem nicht so dollen Jahr 2015, das feucht war und eher als Weißwein-Jahr durchgeht. Er heißt ganz einfach Malbec und kommt aus dem Herz der argentinischen Weinproduktion: Mendoza. Schwere Glasflasche, typisch Neue-Welt-Wein. Carbon footprint ist denen egal, wahrscheinlich wegen dem China-Export, dort weiß man Gewicht zu schätzen. Im Glas glänzendes Karminrot. In der Nase zartwürzig und ätherisch nach Schwarzkirsche, Blaubeere, Schwarze Johannisbeere, ein Hauch Lakritze, etwas Lorbeer und kalter Hagebuttentee. Dann der erste Schluck: Im Mundgefühl sehr vergleichbar zu einem guten Mittelklasse-Bordeaux für 30-50 Euro. Gleiche Textur, mittlere Konzentration und Säure, dabei frisch und dunkelfruchtig nach Heidelbeere, Kirsche, etwas Roter Beete und Wacholder. Ein Hauch Extraktsüße verleiht dem Getränk diskrete Opulenz ohne Breite. Im Abgang etwas Blutorangensaft und dunkle Würze. Für diesen Preis ein echter Bringer.
Der Wein stammt aus der Weingutskette der reichen Familie Arizu mit besten Verbindungen ins Establishment. Clanchef Alberto ist oberster Weinlobbyist des Landes und steht an der Spitze des Verbandes Wines of Argentina. Der italienische Name des Herstellers geht zurück auf den Einwanderer Luigi Bosca, der im 19. Jahrhundert aus Cuneo/ Piemont nach Südamerika kam und hier mit den Arizus das Unternehmen begründete. Ein Barolo-Weingut selben Namens lässt sich bei der oberflächlichen Gugl-Recherche bis in die 1960er-Jahre verfolgen, dann verliert sich die Spur.