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Letzte Woche habe ich hier ein Experiment vorgestellt, einen Weißburgunder aus dem Rheingau, der auf der Maische vergoren wurde, leicht oxidativ ist und intensiv in neuem Holz ausgebaut wurde („Blanc de Blancs“ von Balthasar Ress).
Dieser Wein widerspricht vielen Regeln und Verordnungen und darf daher nur als einfacher Landwein auf den Markt kommen. Aber immerhin erreicht er den Konsumenten.
Die meisten Winzer scheuen solche Weine und verweigern das Experiment, weil sie froh sind, dass der jahrelang von Weinskandalen geplagte deutsche Weinbau endlich ein Regelwerk gefunden hat, das auch dem Konsumenten ein Begriff ist. Diese Baustelle ist zu. Neue Erdarbeiten werden ungern gesehen.
Auf diese Weise jedoch zieht gepflegte Langeweile in die Flaschen ein. Große Gewächse hohen Niveaus, begleitet von unzähligen tadellosen Gutsweinen, die eine immer breiter werdende Mitteschicht engagierter Winzer auf die Flasche bringt. Ab und zu wagt einer das Experiment, einen seiner Weine auch in der Amphore auszubauen. Das war es aber schon mit der Experimentierfreudigkeit.
Seid provokant, Leute!
Der Weißburgunder von Ress ist eine Provokation, weil er Terroir und Traube hintanstellt und die Idee zum Leitmotiv des Weins macht. Weil er die Kellerarbeit vor die Weingartenarbeit reiht. Das ist gegen alle Moden. Und noch lange keine Moderne. Es ist ein Experiment, wie es leider zu wenige in Deutschland gibt.
Önologische Experimente können nur von Menschen ausgeführt werden, die eine Idee eines Weins im Kopf haben; eine Idee, die sich über Jahre aufbaut, die mit dem Trinken zahlloser falscher und richtiger Flaschen das Reich der Phantasie verlässt; eine Idee, die irgendwann in einem Keller vom Fass in die Flasche springt. Eine solche Idee hatte der Sommelier André Macionga, der bei Tim Raue in Berlin für die Weinberatung zuständig ist. Raue ist das Enfant Terrible unter den deutschen Köchen, ein selbstgewisser Küchenchef, der mit seiner asiatischen Küche zwei Michelin Sterne erkochte.
Essen, trinken, niemals hinterherhinken
Raues brutale Ausrichtung auf Asien ist gleichfalls ein Experiment, eine Provokation, wie sie sonst so nur in New York oder London stattfindet. Raue verweigert sich der deutschen Küche gerade in jenem Moment, als diese wiederentdeckt und modernisiert wird. Doch deutsche Küche ist nicht sein Ding.
André Macionga hat die gar nicht leichte Aufgabe, die richtigen Weine für Raues Kreationen zu finden. Und er tut dies mit Bravour. Mit den Jahren kam Macionga die Idee eines Weins, wie es ihn in Deutschland noch nie gegeben hat. Ein Weißwein aus drei Sorten, geprägt von drei verschiedenen Ausbaumethoden, verschnitten aus zwei verschiedenen Jahrgängen. So ein Bastard muss für die Behörden in der Kategorie Tafelwein (seit 2009: Deutscher Wein ohne Herkunftsbezeichung) abgespeichert werden. Das ist die unterste Stufe. Dort, wo schlechte Säfte industriell verarbeitet werden.
Süß-Sauer
Seine Idee trug Macionga zum fränkischen Cuvée, den Weißwein „Es ist, was es ist. Ein Abend mit André Macionga“, ein Verschnitt aus ca. 44 % Weißburgunder (Jahrgang 2011, Ausbau in Holzfass und Stahltank, trocken), Müller-Thurgau (Jahrgang 2011, oxidativer Ausbau im Barrique, trocken) und Silvaner (Jahrgang 2008, Eiswein, süß).
Der Weißburgunder sorgt für eine gehaltvolle Struktur, für die nötige Noblesse. Der Müller-Thurgau – eine unterschätzte, aber nicht zur Größe fähige Sorte – bringt durch den oxidativen Ausbau einen reifen und überraschend fruchtigen Ton in die Cuvée.
Der Silvaner Eiswein verkürzt die Extreme der beiden anderen Weine und zäumt den Verschnitt mit einer kleinen, wunderbar kalten Fruchtsüße. So ähnelt der „Es ist, was es ist…“ einem Vouvray demi sec von der Loire, dem ein Drittel des Zuckers seltsamerweise abhanden gekommen ist. Einen solchen Wein kennt man nicht, hat man noch nie getrunken.
Warum es nicht mehr solche Weine in Deutschland gibt? Kann es sein, dass diese Art Weinherstellung das geächtete Panschen wieder legitimiert? Meine Antwort: So lange es die richtigen Leute mit den richtigen Weinen machen, ist alles richtig, was gut schmeckt. Der großartige „Es ist, was es ist“ singt das Lied der vergebenen Chancen. Uns Weintrinkern entgeht so einiges.
Experimente? Alter Hut : http://www.weinentdeckungsgesellschaft.de
„Raues brutale Ausrichtung auf Asien ist… eine Provokation,…“
Aha, und was ist an diesem „gebeizten Lachs“ nun so absolut „deutsche Küche ist nicht sein Ding.“? 😉
http://www.bild.de/lifestyle/essen-trinken/kochvideos/tim-raue-lachs-beizen-30163762.bild.html
…eine Provokation? Wo?
Um einem spannenden Experiment Relevanz zu geben, wird der Rest der (Wein-)Welt zum langweiligen Mainstream erklärt. Als ob es unter Deutschlands Winzern keine ausgeprägte Lust auf Neues gäbe – was auch die Gutsweine und GG’s in ihrer ganzen Vielfalt zeigen. Man könnte in der Sache einiges einwenden gegen diese verbreitete Technik einwenden und auf zahlreiche deutsche Winzer hniweisen, die experimentieren. Und auch darauf , dass das ach so Konventionelle doch ungeheuer spannend ist.
Aber solche argumentativen Klischees sind eigentlich viel zu öde, um dagegen aufzubegehren. Der Wein von Horst Sauer und Tim Raues großartigem Sommelier hätten eine andere Einführung verdient.
Hierzu auch bitte den gerade eigestellten Artikel lesen..
Die Provokation ist die Verneinung der Heimatküche..
Die Verneinung der Heimatküche finde ich in jedem Discounter, es wimmelt nur so von Italien-, Spanien-, Frankreich-, Griechenland-, USA-, GB-, Österreich-, … usw. –Aktionen – immer wieder, rund um das Jahr. Im Standardsortiment liegen Cevapcici und Burger, Curry-Wurst, Fladenbrot mit Thunfisch, Sandwich mit Chicken-Tikka, es mediterrant, asiatet und afrikanisiert, dass der Einkaufswagen sich biegt.
Nein, die Verneinung der Heimatküche ist überhaupt keine Provokation sondern Umsatzrenner und breiter Mainstream.