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Wie schmeckt Premiumwein aus China?

Chinas Wein-Autorin Janet Z. Wang beim Verkosten.
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Der Captain trinkt chinesischen Wein. Doch nicht so, wie die Matrosen sich das vorstellen. Hier die Geschichte des ultimativen Gesichtsverlusts. Ganbai!
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Irgendwann muss ich nach China. Wegen des Weins. Nicht, dass man morgen schon in China die genialsten Weine der Welt keltert. Aber ich beobachte eine Firma, ein chinesisches Weinunternehmen namens Changyu, das es schon seit 1892 gibt und das den letzten Kaiser, die marodierenden Japaner und die maoistische Kulturrevolution überlebte. Auch die größten Verbrecher wollen saufen.

Alkoholverbote werden immer nur von gottgefälligen Puritanern ausgesprochen und erst die Prohibition ließ die Mafia eine Weltmacht werden. Ok, ohne Mafia keine Sopranos. Diesen Einwand lasse ich gelten.

Die Chinesen trinken Alkohol, um den allgegenwärtigen Druck zu entkommen. Bräuche, Sitten oder Rituale – Unterordnung, Fetisch und tausende Verpflichtungen machen das Leben des gemeinen Bürgers tagtäglich zur Herausforderung. Deswegen trifft er sich nach Sonnenuntergang gerne zum Abspannen mit Freunden aus dem geschäftlichen Umfeld und kippt gleich zu Beginn des gemeinsamen Essens mehrere Schnäpse auf ex. Die Welt, sie soll verschwinden.

Das klingt tragisch. Und ist es auch. Trinken in China heißt die Bewusstlosigkeit suchen. Schnell. Bewusstlosigkeit ist das bislang einzige Ziel der Alkoholisierung. Trotzdem soll China so etwas wie eine Weinkultur bekommen. Dafür sorgte bis Januar 2018 Herr Sun Liqiang, Chairman von Changyu, der sein Amt angetreten hatte, um den Landsleuten die Weinbräuche der Europäer einzubläuen und jetzt seine Rente genießt. Hoffentlich bei einigen Flaschen guten Weins.

Auch uns Europäern will der Changyu-Konzern zeigen, wie großartig chinesischer Wein schmecken kann. Aber das geht nur in Schritten. Sun Liqiang lud mich einmal zu so einem Schritt in ein chinesisches Restaurant in Düsseldorf ein. Mit ihm kam seine ganze Entourage, ohne die sich Mr. Chairman nicht außer Landes begab. Die Begleiter sollten wohl erzählen, wie weit es Sun Liqiang gebracht hat, wie angesehen er im Ausland ist, wie respektvoll ihm seine Gesprächspartner begegnen.

Ein chinesischer Tisch ist immer ein großes Spektakel. Man sitzt im Rund, eine Platte mit Speisen kreist und jeder nimmt sich runter, was er essen will. Aufgegessen wird nicht, denn das bedeutet, dass der Gastgeber zu wenig aufgetragen hat. Die Chinesen wissen inzwischen, dass der Deutsche keine halbvollen Teller zurückgehen lassen kann und sehen über dieses Defizit gelassen hinweg, obwohl es einen Gesichtsverlust darstellt, die wohl größte Sünde im China-Knigge. Überhaupt Gesichtsverlust. Der droht dauernd.

Politische Belehrung: Gesichtsverlust. Ansprechen der Menschenrechte: Gesichtsverlust. Kritik an der Louis-Vuitton-Rolex-Kopierindustrie: Gesichtsverlust. Anmerkung der Überlegenheit beim Autobau: Gesichtsverlust. Am Tisch damals saß auch ein Deutscher, der in China Wein macht. Seine Spitzenkreation wird sich am Ende des Abends als die beste herausstellen. Gesichtsverlust.

Leider weiß er von seiner Überlegenheit und erklärt die Gründe, ohne gefragt worden zu sein. Also: sauber arbeiten, die Leute mehr fordern, mehr auf die Böden achten, die Fässer selber mitbringen. Gesichtsverlust.

Würde der Chinese am deutschen Wesen genesen, so die Aussage des Deutschen, dann wären seine Weine um ein Vielfaches besser. Gesichtsverlust. Ich beende den Horror mit einem Trinkspruch.

Überhaupt Trinkspruch. Der chinesische Toast ist tradierte Trinkkultur und verschafft den Anwesenden die Gelegenheit etwas schneller gesellig zu werden.

Ich trinke auf „das Gedeihen der chinesischen Provinzen“ (da macht man nichts falsch), alle heben ihre Gläser und lassen sie in der Mitte zusammenkrachen. Dazu schreien wir „Ganbei“ und stürzen den Wein in einem Schluck hinunter. Das macht man mit Plörre genauso, wie mit einem Chateau Latour aus 1961. Die Welt, sie soll verschwinden. Ist sie weg, droht kein Gesichtsverlust.

Chairman Liqiang wiederholte das Ritual von nun an jede Viertelstunde. Und weil Chairman Liqiang und seiner Entourage das für Saufgelage überlebenswichtige Enzym Acetaldehyd dehydrogenas fehlt, waren sie nach drei Ganbeis schon ordentlich breit. Nach dem fünften dämmerten sie am Tisch ein. Schulter an Schulter. Das sieht sehr niedlich aus. Kleine Chinesen, die leise schnarchend und aneinander lehnend ihren Rausch in Windeseile ausschlafen.

Wer jetzt Fotos macht und diese in sozialen Netzwerken teilt, kann sich seinen Millionenauftrag an den Hut stecken. Gesichtsverlust.

Der Konzern Changyu hat mehrere Weingüter in vielen chinesischen Provinzen. In die Mitte jedes dieser Weingüter hat die Firma ein Schloss hingestellt, architektonische Kreuzungen zwischen Versailles und der kleinen Potsdamer Prahlerei. Über die Schönheit und Zweckmäßigkeit dieser Neuschwansteins sollte man nicht zu diskutieren beginnen. Gesichtsverlust.

Sun Liqiang hat sich für den langen Marsch nach Westen einen Österreicher an seine Seite geholt: Laurenz Moser V, genannt Lenz, der Abkömmling einer großen Weinbaufamilie ist. Der dritte Moser erfand die in unseren Breiten übliche Stockkultur. Er prägte so auch das europäische Landschaftsbild. Wer einen solchen Verbündeten hat, ist auf dem richtigen Weg. Denn die konfuzianische Lehre schreibt vor, dass man Älteren und Weisen stets ohne groß zu hinterfragen gehorchen soll.

Diese Formel erklärt Nordkoreas geisteskranken Familienkult genauso, wie Changyus Respekt vor Lenz Moser.

Moser ist zwar nicht alt, er zieht sich mitunter auch nicht ehrenwert an (lila Hosen) und seine Anwesenheit füllt keine Stadien mit tuchschwingenden Bodenturnerinnen. Doch Moser ist ungemein taktvoll (Österreicher eben), verkörpert die europäische Weinbau-Tradition und erklärt diese und sich in ruhigen und bedachten Worten.

Tradition macht in China immer großen Wind, eine Person, die Tradition teilen will, ist ungeteilt beliebt. Doch kann Mosers Rat in China Berge versetzen?

Zum Beweis stellte Chairman Liqiang mehrere Jahrgänge Changyu-Weine auf den Tisch. Und es war erschreckend, wie schnell die chinesischen Önologen Fortschritte machen. In den Kellern der barocken Märchenschlösser wird erstaunlich guter Wein gekeltert, die Eisweine aus dem Norden kann man nachgerade sensationell nennen. Noch vor wenigen Jahren kam man über ein höfliches Nippen nicht hinaus, der Mund signalisierte dem Auge schnell einen Spucknapf zu suchen. Das ist vorbei.

Wie schmeckt nun Premiumwein aus China genau? Ich probierte den 2015er-Chateau Changyu Moser XV Grand Vin. 100% Cabernet Sauvignon, der zwei Jahre lang in französischen Barriques ruhte. Flaschenform und Etikett sind eine Hommage an das Bordelais. So wie die ganze Weingutsarchitektur von Chateau Changyu. Tiefrot mit Tendenz zu Schwarz glänzt dieser Moser-Grand Vin im Glas. In der Nase üppige Noten von Schwarzer Johannisbeere, Pflaume, rotem Chili und Kakao. Dann Wildlederhose, Safranwurz (Kurkuma), Gewürznelke und grüne Rappen. Der erste Schluck. Sauber gemacht, gekonnt balanciert, kräutrig und mit einem gewissen Säurebiss versehen. Ich schmecke Dörrpflaume, Rumtopf, Lorbeer und ganz deutlich Arnikawurzel. An Bordeaux erinnert hier alles bzw. an Médoc (Hochburg des Cabernet Sauvignon) und es ist so dick aufgetragen, dass es gar nicht wahr sein kann. Terroirwein: nein! Weltwein: ja. Der Tropfen lag zwei Jahre lang in französischen Barriques.

Zuletzt hatte ich so etwas in Gestalt eines Weins von Regie-Altmeister und Winzer-Genie Francis Ford Coppola in einem noblen Steakhouse in Miami im Mund und amüsierte mich prächtig damit. Urlaubslaune halt. Beim Bezahlen war der Spaß dann leider vorbei. Zu Hause in Berlin hätte ich dem Sommelier wahrscheinlich den Vogel gezeigt.

Der Moserwein aus China ist nicht billig. Richtig teuer aber auch nicht. In Deutschland kostet er zwischen 60 und 70 Euro. Aus Fortbildungsgründen sollte man sich den Spaß wenigstens einmal leisten.

Zurück zu meinem Festmahl mit den Chinesen. Weil die Weine so gut sind, wird die Hälfte mit Ganbei geleert. Die andere Hälfte trinken jene, die das Enzym besitzen (oder sein Fehlen überleben), in aller Ruhe zur Neige. Dann wachen Mr. Chairman und seine Entourage auch wieder auf und verlangen neue Flaschen.

Die Deutschen neigen bei solchen Treffen gerne zum Niedermachen des eigenen Landes. Das steht oft im krassen Gegensatz zu der stets unterschwellig betonten kulturellen Überlegenheit. Ein namhafter Weinkritiker, der dem Essen beiwohnte, erzählte dem Vize von Chairman Liqiang hinter vorgehaltener Hand (als drohe ihm die standrechtliche Erschießung), dass auch Deutschland wieder eine Partei brauche, die all die faulen Menschen zur Arbeit zwinge.

Hahaben siehi ihin Deuheutsland keiheine kohomunnistische Parteihei?, fragte der Vize. Doch, sagt der Deutsche, aber die wollen, dass alle Menschen Geld ohne Arbeit bekommen. Dahas ihist nicht kohommunistisch, erklärt der Vize. Dachte ich’s doch, bemerkt sein inzwischen knallrot angelaufenes Gegenüber, dreht sich zu einem anderen Deutschen um und schreit: Der Chinese da sagt, die PDS ist gar nicht kommunistisch. Gesichtsverlust.

Beliebt ist auch der Hinweis, dass man sicher glaube, dass „die Chinesen“ bald alle überholt haben. Das hat man vor 15 Jahren auch schon gesagt. Wieder drängt sich ein Medienmitarbeiter mit umfassender Weit- und Weltsicht in die Mitte der Kommunikation: Da wird sich der Amerikaner noch wundern! Was sagen sie, Mister Yang? Mister Yang blickt zu Boden und schweigt. Später fragt er mich, ob alle Deutschen Amerika hassen. Jetzt schaue ich zu Boden und schweige. Gesichtsverlust.

Wie geht das weiter mit Wein aus China? Der Fragende gehört zur chinesischen Botschaft in Berlin. Ich versuche die üblichen Umschreibungen, damit ich ja in kein Fettnäpfchen trete. Also stelle ich mir vor, ich hätte asiatische Gesichtszüge und die begleitende, lauernde Gelassenheit: Es werden sich Wege finden, dass die großen Weine des Chairman Liqiang ihren Weg nach Europa und Deutschland finden. Und viele Millionen Chinesen werden sich freuen, wenn sie die einfachen und wunderbar geradlinigen Kreationen von Changyu trinken dürfen.

Die Augen meines Gesprächspartners werden noch schmäler. Darauf trinken wir. Aber Ganbai. Die ganze Flasche. Besinnungsverlust.

 

Datum: 25.1.2020 (Update 28.12.2020)
 

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