Der Captain ist ein großer Freund flaschenvergorener Sekte aus Deutschland und stets bereit,den Ruf ihrer Erzeuger zu mehren und sie vor Konkurrenz von außen zu schützen. Aber der Captain ist auch hingebungsvoller Schampusfan, der jede Gelegenheit nutzt, ein hohes Lied auf dieses herrliche Getränk anzustimmen.
So sind sie, die Reporter alter Schule. Haltung im Job? Fehlanzeige. Nur die schnelle Schlagzeile zählt. Sonst nichts.
Und Gelegenheit für so eine Überschrift fand der Captain auf einer Verkostungsreise in die Champagnerstadt Reims, die ihn und ein Grüppchen Weinjournalisten durch Keller und Probierstuben führte. Es war die letzte Station und sie blieb ihm in unvergesslicher Erinnerung, zumal es sich um einen Hersteller handelt, von dem der Captain bislang nichts wusste: Palmer & Co, eine unglamouröse Genossenschaft mit funktionalem Firmensitz am Rande des Zentrums von Reims.
Auf die Idee, kurz vor Abfahrt des TGV nach Saarlouis dort vorbeizuschauen, kam ein geschätzter Kollege mit jahrzehntelanger Verkostungserfahrung und stilsicherem Urteil. Es handelt sich um den ehemaligen Verlagsmanager Christian Wenger aus Hamburg, der das Blog → Winedine betreibt und in der Alta Langa im Piemont (um die Ecke von Barolo und Barbaresco) einen eigenen Weinberg anlegen ließ, aus dessen Früchten er Schaumwein erzeugt. Es gibt schlechtere Methoden, seine Rente zu verballern.
Palmer & Co hat nichts mit dem hochberühmten Château Palmer im Margaux zu tun, wo zufällig des Captains Lieblingsbordeaux entsteht. Man schätzt sich gegenseitig und tauscht gelegentlich Flaschen aus. Mehr nicht. Und so lief unsere kleine Gruppe schweißnasser Verkoster in die Arme des charmanten PR-Managers François Demouy, der sich stundenlang Zeit nahm, um unseren Wissensdurst mit den Champagnern des Hauses zu stillen. François kam von Veuve Clicquot zu Palmer. Sein Vater ist hauptberuflicher Champagner-Historiker. Das gibt es auch.
Die Besonderheit des Hauses ist ein Verfahren, das man aus dem Sherryland kennt: die Solera. Es ist ein Lagerungs- und Verschnittsystem, das auch bei der Herstellung von Madeira, Malaga, Bränden und hochwertigem Essig zur Anwendung kommt. Das Prinzip ist die fortlaufende Reifung. Jedes Jahr entnimmt der Kellermeister einen Anteil Wein aus der Solera für die zweite Flaschengärung und füllt jungen Wein aus der neuen Ernte nach. Auf diese Weise verbleibt immer ein Anteil, der schon seit Jahrzehnten reift. Als Vorteil des Solera-Verfahrens gilt die über die unterschiedlichen Jahrgänge hinweg gleichbleibende Qualität des Endprodukts. Nur ganz wenige Häuser der Champagne nutzen die Solera. Zum Beispiel auch die genialen Brüder Thierry und Christian Laherte in ihrem gleichnamigen Betrieb.
Nun, seit diesem Vormittag hat der Captain einen Lieblingschampagner, bzw. mehrere, denn bei Palmer & Co zieht sich die Qualität von ganz oben an der Spitze bis runter an die leistbare Basis. Am Beispiel des „einfachen“ Brut Réserve für 33 Euro ahnt man, wozu dieser Betrieb fähig ist: In der Nase Creme und sehr erfrischende Zitrusnoten. Im Mund lebendige und zarte Perlage, enorm geradlinig und klar, animierend und exzellent ausbalanciert. Ich schmecke Ananas, Marille, Limette. Ein umwerfend überzeugender Champagner aus der untersten Preisklasse und ein Preis-Leistungs-Wunder wie man es selten erlebt. Der elegante Basis-Champagner (das Wort Basis klingt angesichts der Trinkqualität total deplaziert) mit 8 Gramm Zucker lag 48 Monate auf der Hefe und besteht aus Chardonnay (50%), Pinot Noir (40%) und Meunier (10%).
Palmer & Co vereint rund 300 Mitglieder unter einem Dach, die teilweise selber pressen und mindestens über eine Grand-Cru-Lage verfügen. Alle Champagner von Palmer & Co sind von brillanter Klarheit und Frische geprägt, dass mir die Spucke wegbleibt. Und obendrein nicht teuer. Für den Captain war das die Entdeckung des Jahres 2019.
Übrigens, im Jahr 2018 wurden in Deutschland 377,73 Millionen Euro durch die Schaumweinsteuer eingenommen. Diese Steuer wurde 1902 vom Reichstag zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt. 1933 wurde die Schaumweinsteuer auf Null gesenkt, aber nicht abgeschafft und 1939 in Form eines Kriegszuschlages wieder aktiviert. Die Sekt- oder Schaumweinsteuer ist ein bekanntes Beispiel für Abgaben, die zu einem bestimmten Zweck eingeführt, aber nach Wegfall des Zwecks nicht wieder abgeschafft wurden. Ob jemand eine Flasche Champagner im KaDeWe oder Billigsekt bei ALDI kauft – jeder zahlt 1,02 Euro. Das ist Gerechtigkeit.