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Die Weinbranche wird sich verändern

Pfälzer und Wein-Tausendsassa: Dirk Würtz
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Was passiert jetzt und dann, wenn alles vorbei ist? Der Captain spricht mit dem umtriebigen Branchenkenner und Wein-Manager Dirk Würtz. Ein Blick in die Glaskugel der Weinwirtschaft.
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Lange, bevor der Captain sein Schiff zu Wasser ließ, war Dirk Würtz einer der ersten, die im Netz ausführlich und populär über Wein schrieben. Das geschah auf seinem Blog → Würtz-Wein. Seine pointierte Schreibe machte den Pfälzer zu einem der einflussreichsten Kommentatoren der deutschen Weinszene. Inzwischen tritt Würtz als Blogger kürzer, denn er hat anderes zu tun. Seit letztem Herbst ist Dirk Würtz Chef im Weingut St. Antony in Rheinhessen und als Gesellschafter am Unternehmen beteiligt.

Würtz wuchs in Ludwigshafen auf und landete mit 17 aus Liebeskummer beim Wein. Der Vater der Angebetenen wollte ihn trösten und gab ihm zu trinken: Lafite 1900 aus der Magnum. Während des Studiums der BWL und Politikwissenschaften absolvierte Würtz ein Praktikum im Traditions-Weingut Robert Weil und arbeitete sich mit viel Talent zum Kellermeister hoch. Würtz zum Captain: Ohne Wilhelm Weil wäre ich nicht geworden, was ich heute bin. Er ist mein Mentor. Später war Würtz Betriebsleiter im Weingut Balthasar Ress. Einige der Weine, die er dort kreierte, erreichen Kultstatus. Zum Beispiel der hochelegante und kühne Pinot Noir Caviar, den der Captain leider nicht kennt. Aber sein Mitverkoster Axel Biesler, der hier den Wein beschreibt: Bei Balthasar Ress ist ein ganzes Team damit beschäftigt, Beeren händisch vom Stielgerüst zu zupfen und nur die allerfeinsten Spätburgunder-Früchte in neue 400-Liter Gebinde aus französischer Eiche zu betten, wo sie als „Caviar“ dann in aller Ruhe auf ihre Gärung warten. Auf die Zugabe von Schwefel wurde bei diesem Wein vollends verzichtet. Im ersten Eindruck kühl und von ätherischer Würze. Wie von einem Balkon lugen Sauer- und Süßkirsche auf eine Landschaft aus ätherischer Kräuterwürze herab, schließen sich am Gaumen zu wunderschöner Transparenz und Vitalität zusammen. Dieser Wein klingt lange und tänzerisch nach und beweist grazile Größe.

Wir in der Weinbranche befinden uns so oder so im größten Strukturwandel aller Zeiten. Was jetzt passiert, beschleunigt die Prozesse enorm. Allen voran die Konzentration. Die Großen werden größer, die Kleinen nicht verschwinden, aber sicherlich deutlich dezimiert. Für den eh schon kränkelnden Fachhandel könnte das der finale Todesstoß sein. Könnte wohlgemerkt, muss nicht. Es wird die Uninspirierten treffen, die mit dem geringsten Grad an Professionalisierung. Leider auch die ganz Kleinen mit den außergewöhnlichen Sachen abseits des Mainstream.

St. Antony gebietet über rund ein Viertel der Lagen am Roten Hang zwischen Nierstein und Nackenheim. Ausgedehnte Rebflächen von Pettenthal bis Orbel kommen dazu. Im September 2019 übernahm Würtz die Geschäftsführung des Weinguts, das dem reichen Unternehmer Detlev Meyer gehört. Meyer machte sein Vermögen im Textilhandel und kontrolliert als Großaktionär den Weinhandels-Giganten HAWESKO. Wie hoch der Firmenanteil ist, den Meyer seinem Kompagnon Würtz überließ, damit dieser bei St. Antony das Geschäft ankurbelt, wird nicht verraten. Nebenbei berät Würtz Meyers Beteiligungsgesellschaft Tocos als Head of business development and innovation wine. Hört sich jedenfalls beeindruckend an.

Was macht ihr bei St. Antony derzeit, um der Krise zu trotzen? Zu allererst haben wir uns überlegt, was wir tun müssen – nicht in Bezug auf das Geschäft, sondern in Bezug auf die Menschen die hier arbeiten. Für uns war beispielsweise schon lange vor der offiziellen Absage der ProWein klar, dass wir da nicht hingehen. Wir machten uns sehr früh über alle möglichen Szenarien Gedanken, wie wir uns hier am besten schützen. Dennoch rechneten wir nicht im Ansatz mit dieser Wucht. In Sachen Geschäft trifft uns einerseits der Wegfall der Gastronomie brutal. Andererseits sind wir sehr gut im Privatkundengeschäft aufgestellt. Wir sind digital und im social network präsent. Allerdings verkaufen wir keine nennenswerten Mengen via Facebook oder Instagram. Der gute alte Webshop ist der Schlüssel. Wir haben einen fürchterlich hässlichen, aber sehr gut funktionierenden Webshop, der natürlich nicht von alleine läuft. Ein Webshop macht nur dann Sinn, wenn die Leute auch bei dir landen. Wir versenden mindestens zwei Aufrufe im Monat. Online und in klassischer Brief-Form. Und wir verschicken das St. Antony-Magazin, das viermal im Jahr erscheint. Aktuell haben wir ganz schnell das „stay at home“ aufgenommen und versenden zweimal pro Woche per E-Mail Angebote, um das cocooning zu verschönern. Zum Beispiel eine besondere Flasche Wein frei Haus, nichts aus dem Standardsortiment. Es hilft, dass wir über eine gut gefüllte Schatzkammer verfügen. Das läuft gut an und macht allen Spaß.

Welche Vorbereitungen trefft ihr für die anstehenden Weinbergsarbeiten, gibt es Ausfälle von ausländischen Kräften? Wir haben unsere Kernmannschaft hier und natürlich bin ich besorgt, wie alle anderen Kollegen auch. Ich warte jetzt einfach mal ab, was in Sachen Spargel und Erdbeeren passiert. Das wird die Blaupause für den Weinbau. Der Weinbauverband hat einen großen Katalog an Forderungen und Wünsche an die Politik formuliert, um sicherzustellen, dass unsere Arbeitskräfte zu uns kommen können. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Momentan habe ich das Gefühl, dass unsere Regierung das Richtige macht. Das hatte ich schon lange nicht mehr. Ich reibe mir täglich verwundert die Augen. Es hilft enorm, eine Kanzlerin zu haben, die nicht mehr zur nächsten Wahl antritt. Die macht, was sinnvoll ist. Und nicht das, was nötig ist, um eine Wahl zu gewinnen. Sollte der worst case eintreffen und die Leute nicht zu uns kommen können, dann müssen eben selber ran. Wir sind hier ausnahmslos Winzer und Bauern, auch im Vertrieb und in der Verwaltung. Wir haben alle Familien. Viele meiner Freunde sind Freiberufler oder solche, die jetzt von Kurzarbeit betroffen sind. Die haben ihre Hilfe angeboten. Wir können jeden gebrauchen, denn wir haben 60 Hektar zu bearbeiten

Ihr verschickt neuerdings Wein innerhalb von Deutschland ohne Versandgebühr – so wie einige wenige andere Hersteller und Händler auch. Warum greift deiner Meinung nach fast keiner zu dieser Maßnahme? Das verstehe ich überhaupt nicht. Klar, Versandkosten sind Kosten, die zu Buche schlagen und davor haben alle Angst. Man sollte die Versandkosten grundsätzlich in seiner gesamten Kalkulation berücksichtigt haben.

Weinverkauf: Wir versenden gratis!

Wie sieht die Weinbranche aus, wenn das alles vorbei ist? Wir befinden uns so oder so im größten Strukturwandel aller Zeiten. Was jetzt passiert, beschleunigt die Prozesse enorm. Allen voran die Konzentration. Die Großen werden größer, die Kleinen nicht verschwinden, aber sicherlich deutlich dezimiert. Für den eh schon kränkelnden Fachhandel könnte das der finale Todesstoß sein. Könnte wohlgemerkt, muss nicht. Es wird die Uninspirierten treffen, die mit dem geringsten Grad an Professionalisierung. Leider auch die ganz Kleinen mit den außergewöhnlichen Sachen abseits des Mainstream. Was ich in dem Kontext übrigens sehr bedenklich finde, sind Winzerkollegen, die vor lauter Panik und Angst jetzt versuchen ihre Weine billiger ab Hof zu verkaufen, als ihre Händler das können. Und auch ganz deutlich dazu auffordern, bei ihnen zu kaufen und nicht beim Händler. Das geht gar nicht! In Zeiten der Krise muss man solidarisch zusammenstehen. Irgendwann ist das Ganze vorbei und dann ist das Erwachen böse, wenn man keinen Händler mehr hat. Wer das tut, ist dämlich.

Wird der Online-Handel mit Wein dauerhaft profitieren? Ich bin davon überzeugt, dass dieser Corona-Mist dem Online-Handel mit Wein einen riesigen Schub gibt. Der dümpelte ja immer vor sich hin, im Vergleich zu anderen Branchen. Das ändert sich jetzt gewaltig und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es nach der Krise nicht rückläufig sein wird.

Der deutsche Winzer und das Internet – deine Diagnose bitte. Das wird nix mehr in meiner Generation und der darüber. Aber ich setze große Hoffnung in die nächste und übernächste Generation. Da sieht man durchaus viele, die sehr aktiv sind und ganz vieles richtig und vor allem neu machen. Der Bauer, und dazu zähle ich den Winzer, ist genetisch konservativ. Der macht das mit dem Internet nur halbherzig, weil es irgendwie dazugehört. Das ist echt schade, weil so vieles auf der Strecke bleibt. Die Macht des Internet ist vielen Kollegen erst dann bewusst, wenn etwas nicht läuft. Schönes Beispiel waren die sogenannten Bauernproteste. Da hat man das Netz genutzt. Wenngleich natürlich nicht in all seinen Facetten und Möglichkeiten. Eher als Verlautbarungsorgan und Platz zur Verabredung. Dass man im Netz gestalten und beeinflussen kann, haben die nicht verstanden. Grundsätzlich ist es aber auch so, dass der Winzer heute noch mehr Generalist sein muss, als das früher der Fall war. Er muss Trauben produzieren, daraus Wein machen, Marketing- und Vertriebsfachmann sein. Und dann auch noch Influencer. Dass man das alles nicht unter einen Hut bringt, liegt auf der Hand. Ich habe große Hoffnung, dass diese aberwitzige Krise dazu beiträgt, dass sich jeder endlich überlegt, was er kann und was nicht. Und was sein muss und was man lassen kann.

 

Datum: 20.3.2020
 

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