Was schreibt der Captain da immer von Noten und Tönen, wenn er im Wein schnüffelt und daran rumkaut?
Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Die Sitte hat sich in der sogenannten Gustatorik etabliert, mit der Weinschreiber ihre sensorischen Eindrücke notieren.
Falls jemand genau weiß, wann, wie und warum diese Norm populär wurde, freue ich mich über Nachhilfe und biete im vorauseilenden Gegenzug das beste Musikstück an, das ich in diesen Tagen hörte und sah.
Es handelt sich um das brandneue Gesamtkunstwerk GIRL LIKE ME von den Black Eyed Peas in Zusammenarbeit mit der 43jährigen Shakira Isabel Mebarak Ripoll aus Kolumbien.
Der Captain kann sich einfach nicht entscheiden, was er hier am besten findet: den fröhlichen Sound in Kombination mit einem herzergreifend schlichten Text, die grandiose Retro-Optik des Videos oder die kunstvolle Ober- und Unterarmchoreographie, mit der die Tänzer blitzschnell geometrischen Figuren bilden:
Mit dieser Gute-Laune-Impfung verabschiedet sich der Captain aus dem Einleitungstext und kommt zum Wein.
Es geht um Zweigelt, eine österreichische Rebsorte, die 1922 vom Botaniker Friedrich Zweigelt aus den Sorten Blaufränkisch und St. Laurent gezüchtet wurde.
Der Grazer Zweigelt hatte sich schon lange vor dem „Anschluss“ seiner Heimat an das Deutsche Reich mit der Nazipest infiziert und verfolgte später als Direktor der wichtigsten Weinbauschule der Ostmark (in Klosterneuburg bei Wien) eine Art Herrentrauben-Ideologie.
Als der mörderische Fascho-Spuk vorbei war, stilisierte sich Zweigelt als Querdenker aus Versehen und kam damit ganz gut durch.
Seine eigene Züchtung taufte er Rotburger. Dass diese Schöpfung erst posthum nach ihm benannt wurde, haben wir dem Weinpionier Laurenz Moser III zu verdanken. Er war Zweigelts Ex-Schüler, Bewunderer und Freund.
Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen linker Kreise, die Sorte umzubenennen, aber alle Vorstöße versanden wie eine Eingabe in der Verwaltung von Kafkas „Schloss“.
Soviel zur allgemein bekannten Geschichte.
Weniger bekannt ist der Umstand, dass Zweigelt auch in Deutschland heimisch wurde, allerdings nur in sehr kleinem Umfang.
Eine Statistik aus dem Jahr 2017 nennt 110 Hektar auf deutschem Boden, davon 60 im Anbaugebiet Württemberg. Die österreichische Saat fiel in Deutschland also auf weitaus unfruchtbareren Boden als die Hetze von Adolf Nazisau.
Zweigelt (auch Blauer Zweigelt genannt) ist so etwas wie Österreichs rote Nationalrebsorte. Lange Zeit galt sie als relativ anspruchslos und nur für einfache Massenweine geeignet, doch immer mehr Winzer machen aus Zweigelt exquisite Weine mit feinen Tanninen und ausgeprägtem Sauerkirscharoma. Spitzenweine werden auch in Barriques ausgebaut.
Bei einem guten Zweigelt konstatiert man neben der lebendigen Säure eine feine Kirschfrucht, die manchmal mit einer Prise Pfeffer unterlegt ist. Meistens wird er jung getrunken, aber besonders bei Ausbau im Holzfass kann Zweigelt auch ein beachtliches Reifepotenzial entwickeln. Ein Genuss unter anderem zu Ochsenschwanzsuppe.
Der Wein Zweigeltrebe HADES ist ein richtig nobler Bursche im dunkelblauen Samtanzug, zubereitet von Jörg Ellwanger, der im 26-Hektar-Betrieb der Familie im Keller steht. Bruder Felix kümmert sich ums Geschäftliche.
Vater Jürgen Ellwanger gehörte Mitte der 1980er-Jahre zu den Gründern einer önologischen Untergrundorganisation namens HADES, welche gegen erbitterte Widerstände die französische Sitte des Holzfass-Ausbaus im Barrique zu etablieren suchte. Was aus heutiger Sicht grandios gelang.
Ein Praktikant, der aus Österreich bei den Ellwangers schaffte, regte bei Jürgen Ellwanger an, es mal mit der Rebsorte zu versuchen. Der holte sich aus Deutschkreuz (Burgenland) ein paar Stöcke und begann (damals illegal) zu experimentieren.
Heute sind es 4 Hektar, die auf 350 bis 500 Meter Höhe im östlichen Remstal stehen. Die Herausforderung beschreibt Felix Ellwanger so: „Zweigelt ist eine Wuchs-Sau, die man zurückschneiden und ausdünnen muss. Er reift früher als Lemberger und später als Spätburgunder. Er wird bei uns nicht fett, eher kräutrig, weil unsere Pflanzung höher liegt und es nicht so heiß wird wie am Neusiedlersee.“
Dieser Wein ist eine echte deutsche Rotweindelikatesse, die auf der Zunge wegschmilzt wie Beereneis. In der Nase Pflaumenkompott, dunkle Lindt- Schokolade mit ganzen Mandeln, etwas Malz. Im Mund konzentriert, frisch, beerig und saftig. Ich spüre soliden Säure-Grip, würzige und weiche Tannine, Bio-Kakaopulver, getrocknete mediterrane Kräuter. Nach einiger Zeit feinster Extraktzuckerschmelz. Was für ein straffer, kräutriger und fleischiger Tropfen erster Güte. Und dabei gar nicht schwer: 13,5% Vol. Ich bin neugierig, wie der in drei Jahren schmeckt. Deutsche Rotweingeschichte zum Saufen.