Alle reden über queerness, sogar die Deutsche Bahn pinselt einen ihrer notorisch defekten ICEs in den Regebogenfarben der LGBT-Bewegung an. Aber was ist mit der Weinwirtschaft? Wie geht es den schwul-lesbischen WinzerInnen? Gibt es überhaupt welche?
Natürlich gibt es die, aber nur sehr wenige Menschen kennen eine(n). Aus ganz einfachem Grund: Ein großer Teil der deutschen Winzerschaft ist noch nicht bereit, abweichende Lebensmodelle innerhalb der eigenen Reihen zu akzeptieren.
Man ist ja derzeit noch damit beschäftigt, die Entdeckung des Internets zu verarbeiten. Da müssen andere Themen zurückstehen. Schwule, also männlich-homosexuelle Winzer? Der Captain kennt nur zwei. Einer davon kommt gleich zu Wort. Und lesbische Winzerinnen? Nope. Eine Winzerin aus Baden, die Simone Aurelia Maier heißt und sich 2017 als Transsexuelle outete, fand einen abgeschnittenen Schweinekopf auf ihrem Grundstück. Fazit: Es ist wahrscheinlich gemütlicher, als WinzerIn die sexuelle Orientierung unter dem Deckel zu halten, wenn die nicht der Norm entspricht.
Schon seit einigen Jahren verfolgt der Captain den unaufhaltsamen Aufstieg des Mittelrhein-Winzers Felix Pieper aus Königswinter. 2017 schrieb ich: Hat nach dem Weinbaustudium in Geisenheim 2008 vom Vater übernommen, der jetzt noch das gastronomische Programm des Hauses leitet. Dazu gehören Vinothek, Gästezimmer und ein Restaurant. Bevor Felix die Verantwortung über die Weinproduktion übernahm, sammelte er noch schnell Erfahrung in Neuseeland und an der Ahr bei J.J. Adeneuer. Heute gebietet er über 9 Hektar Rebfläche und schickt jährlich 80.000 Flaschen auf die Reise. Fast alles geht ins nahe Köln. Aber der Onlineshop des Weinguts entwickelt sich gut. Es gilt neue Zielgruppen zu erschließen. Ziemlich schnell war klar: Felix ist schwul, weil er immer wieder beiläufig seinen Lebensgefährten erwähnte. Der heißt Patrick Brumm und ist (noch) Büroleiter des grünen NRW-Landtagsabgeordneten Horst Becker.
Weil Becker demnächst in Rente geht, wird Patrick bald full-time im Weingut mitarbeiten. Ziemlich plumpe erste Frage des Captain: Wie ist das so als Schwuler unter den anderen Winzern? Pieper: Hier in Königswinter haben wir wenig direkten Kontakt zu Kollegen. Das Land ist offen und die Metropolen Bonn und Köln sehr nah. Die sind ja bekanntlich schwulenfreundlich. Tiefer im Weinland ist das anders, wie man hört. In Rheinhessen, Pfalz und Mosel outet man sich ungern, weil man dann nicht mehr dazugehört.
Hier sieht man Felix (re.) und Patrick bei einer Familienfeier:
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Was hält Felix vom Regenbogenmarketing, zum Beispiel Wein, der sich mit den Farben der LGBT-Bewegung schmückt? „Ich will das nicht pauschal beurteilen, sehe die Tendenz aber kritisch. Manche springen da auf, um eine schnelle Mark zu machen. Andere meinen es vielleicht ernst. Generell glaube ich: Je größer eine Firma ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass echtes Engagement dahintersteckt.
Jetzt ist der richtige Augenblick gekommen, um meinen Abendwein aus dem Hut zu ziehen, denkt der Captain, und stellt den → Roten Riesling Terra Rosetta von Pfeffingen auf den Verkostungstisch. Der vielsagend-zweideutige Name ist eine Kreation des Berliner Naturwein-Händlers Holger Schwarz, der seinen Freund, den Winzer Jan Eymael, mit diesem Vorschlag provozieren wollte. Der stieg aber sofort darauf ein und stellte seine gesamte Ausbeute aus der seltenen Rebsorte Roter Riesling aus Versuchsanbau zur Verfügung, gab sogar beim winemaking etwas mehr Gas und schuf daraus einen astreinen Naturwein.
Roter Riesling ist eine Farbmutation des klassischen Rieslings, die seit einigen Jahren im Rheingau wieder stärker angebaut wird. Bis vor kurzem glaubte man noch, der rote Riesling sei eine genetisch eigenständige Sorte, die noch älter als der weiße Riesling sei. Das war ein Irrtum.
Die Stöcke (2014 gepflanzt) wachsen auf sogenannter Terra Rossa, ein eisenhaltiger Boden, den man auch Kalksteinrotlehm nennt und in Deutschland an zwei Stellen zu finden ist: im Ungsteiner Weilberg/ Pfalz und in Westhofen/ Rheinhessen. Nur 1.000 Flaschen gibt es von diesem Wein, der unfiltriert und ohne Schwefelung abgefüllt wurde. Um ihn vor Oxidation zu schützen braucht es jede Menge Tannine, die aus der Maischegärung und der Holzlagerung in gebrauchten Barriques kommen. Ein weiterer Oxidationsschutz ist die Wachsversiegelung des Korkens, sinnigerweise aus rosa Tauchwachs, das Eymael extra in Italien besorgte.
Holger Schwarz über die Idee hinter der schrillen Namensgebung: Wir beliefern die Berliner Gastronomie. Viele in dieser Branche sind schwul und nicht immer ist das leicht. Dieser Wein ist eine Botschaft der Solidarität.