Als die gelernte Sommèliere Ende Januar 2020 mit ihrer neuen Firma RebBlut an den Start ging, konnte noch keiner ahnen, welchen dramatischen Umwälzungen die Weinwelt wenige Wochen später unterworfen sein wird. Jenny Weiss: Es gab einen Moment des Schreckens. Dann stellte sich heraus, dass die Krise möglicherweise genau der richtige Treiber für neue Konzepte ist, um endlich die Kluft zwischen Erzeugern und Trinkern zu überwinden.
Welche Kluft? Die überwältigende Mehrzahl deutscher Weinfreunde deckt ihren Bedarf im Supermarkt, die Minderheit geht in den Fachhandel oder kauft gezielt online. Eine emotionale Beziehung zwischen Winzer und Weinfreund ist die absolute Ausnahme. Aber genau diese Beziehung macht aus neugierigen Weinfreunden treue Stammkunden, die Winzern regelmäßige Einkünfte bescheren. Hier setzt Jenny Weiss an: Es geht um Gefühle.
Und wo sollen die herkommen? Von MOD.
Was ist MOD? Eine Winzergruppe, die gemeinsam auftritt und für Rummel sorgt. Im Fachhandel und in der Gastronomie, auf → Verkostungstouren und in den sozialen Netzwerken. Mittendrin Jenny, die alles zusammenhält. Einige der MOD-Mitglieder kennt man bereits. Hier ist die komplette → Liste.
Jenny, warum ausgerechnet du? Weil ich die wichtigen Player im Weinmarkt kenne und weiß, wie man ein Weingut positioniert.
Der Name MOD ist kulturgeschichtlich begründet und lehnt sich an die Mod-Bewegung an, die in den 1950ern von der italienischen Lässigkeit inspiriert einige Jugendgangs der britischen Unterschicht dazu brachte, Anzüge zu tragen und auf Motorrollern herumzudüsen. MOD kommt vom englischen Wort Modernist. So richtig in Fahrt kamen die Mods aber erst in den 1970ern. Die Gruppe The Who lieferte den Soundtrack zum wilden Leben, das oft in Prügeleien mit den verhassten Rockern mündete. Als späte Nachzügler der Mod-Kultur könnte man die Bands Oasis oder Blur bezeichnen.
Jenny kommt aus dem Weinhandel, war vor MOD und der Selbstständigkeit key account manager bei WirWinzer, einer Online-Plattform für Winzer, die 2011 von weinfernen Gründern ins Leben gerufen wurde. Innovationen in der Weinwirtschaft kommen meistens von außen, die Branche ist notorisch modernisierungsfeindlich. 2016 stieg der Weinhandelsriese Hawesko ein, bis heute macht WirWinzer erhebliche Verluste. Als einzige weinkundige Managerin war Jenny für die Betreuung der Winzer auf der Plattform zuständig und lernte im Laufe der Jahre die Bedürfnisse kleiner und mittelgroßer Betriebe kennen. Deren alles entscheidende Frage lautet: Wie werde ich zu einer nachhaltigen Marke für den Weinfachhandel?
Jenny kennt ein Beispiel, das für die gelungene Positionierung eines kleinen Weinguts durch kluges Marketing steht. Fachleute nennen das Storytelling. Es handelt sich um den 10-Hektar-Betrieb Franzen in Bremm an der Mosel.
Kilian Franzen und seine heutige Ehefrau Angelina studieren noch Önologie, als beide plötzlich mit einem Weingut alleine dastehen, denn Kilians Vater verunglückt tödlich. Sie nehmen die Herausforderung an und meistern sie. Ein → Buch entsteht und mit ihm der gleichnamige Wein: Der Sommer war sehr groß. Wie uns das Schicksal über Nacht zu Winzern machte und wir im steilsten Weinberg Europas das Glück fanden. Jenny Weiss: Diese Familie macht alles richtig. Sie übertreiben ein bisschen und wiederholen ihre Story immer wieder. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Aber nicht jeder Winzer trägt so viel Rührseliges im Gepäck, um damit bei Händlern und Weinfreunden Punkte zu machen. Hier steht Jenny mit MOD bereit. Durch Gruppendynamik, erzählerisches Know-how und ihr Profi-Netzwerk, das tief in den Weinhandel und die Weinmedien hineinreicht. 21 Winzer haben sich MOD bereits angeschlossen, maximal 30 sollen es werden, sagt Jenny, denn sie glaubt, dass man den Plattform-Gedanken nicht überdehnen darf. Diese Erfahrung machte sie bei WirWinzer: Man kann nicht jeden mitnehmen. Manche sind einfach zu unbeweglich.
Eines der MOD-Weingüter heißt Bossert und liegt in Gundersheim, Rheinhessen. Die Geschwister Johanna, Phillip und dessen amerikanische Frau Emily leiten den Betrieb in fünfter Generation. Ziegen und Schafe grasen zwischen den Rebstöcken, die im kalkhaltigen Boden wurzeln. Der Captain probierte den hellroten Spätburgunder Höllenbrand und berichtet: In der Nase viel zerquetschte Himbeeren, Orangenschale, dunkle Schokolade mit ganzen Haselnüssen, Kuchenstreusel, Basilikum. Im Mund würzig, frisch und rotfruchtig. Rassige Säure trifft auf fruchtigen Schmelz mit dezenter Restzuckerromantik. Ich schmecke Rote Johannisbeere, hellrote Kirsche, Marzipan und dunkle Schokolade. Ein interessanter und ungestüm nach vorne schreitender Wein.
Jenny, was soll ein Winzer tun, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken und Wein zu verkaufen? Die MOD-Gründerin denkt kurz nach und rattert dann los: