Eines der Unwörter, das sich nebst TERROIR etabliert hat, heißt MINERALITÄT. Klingt irgendwie nach Admiralität. Beide Begriffe haben gemeinsam, dass sie durch wahllosen Gebrauch fast völlig ihre Bedeutung verloren haben. Sie sind austauschbar. Das Schreckliche daran ist, dass sie sich trotzdem größter Aufmerksamkeit erfreuen. Obwohl sie oft falsch und meistens beliebig eingesetzt werden. Auch vom Captain. Woher kommt das?
Man sagt, es sei möglich, dass man den Boden, auf dem ein bestimmter Wein gewachsen ist, aus dem Glas herausschmecken kann. Bullshit. Jedem Geologen und Chemiker sträuben sich bei dieser Behauptung die Haare. Kein Gestein der Welt ist fähig, Mineralstoffe in solcher Menge abzugeben, dass sich diese über die Rebwuzeln aufnehmen lassen und letztendlich in der Traube und damit wahrnehmbar im Wein landen.
Bleiben wir auf dem Boden. Im Glas landen nur die gepressten und vergorenen Trauben, nicht mehr. Klar, manche Weine riechen kalkig. Schmecken nach Jod oder nassen Steinen. Sind von kühler Aromatik, die über die reine Frucht hinausgeht. Das gilt auch für Aromen von Feuerstein, Schiefer, Granit, Vulkangestein und den ganzen Rest der Steinesammlung, die die Weinwelt zu bieten hat.
Tatsache jedoch ist, dass kein einziges Gestein die Wanderung aus dem Boden ins Glas schafft. Die wahrnehmbare Steinaromatik ist eine Illusion, hervorgerufen durch – ja, was denn eigentlich?
Man weiß es nicht genau. Welchen direkten Einfluss Böden auf den Geschmack eines Weines nehmen, darüber herrscht unter Wissenschaftlern Unklarheit. Fachleute nehmen an, dass für den mineralischen Charakter im Wein hauptsächlich der pH-Wert des Bodens verantwortlich ist, der die Säure in den Trauben reguliert. Und damit das Mundgefühl als Teil des Geschmacks.
Zu diesem tragen auch die sogenannten Mineralstoffe bei. Zum Beispiel Calcium, Kalium und Natrium. Das sind Nährstoffe, die in höherer Konzentration salzig schmecken. Diese Nährstoffe ergeben im Zusammenspiel mit anderen Aromen bestimmte Eindrücke in Nase und Mund. Mancher Wein riecht wie ein Feuerzeug. Oder nach frisch gekalkter Wand. Man ist geneigt daraus Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Bodens zu ziehen, von dem er kommt. Das ist ein Irrtum!
Mancher Wein riecht nach nassem Stein, obwohl der Weinberg, auf dem die Reben stehen, alles andere als steinig ist. Woher kommen diese Eindrücke dann? Die nüchteren Antwort ist: aus dem Kopf. Denn dort ist abgespeichert, wie nasse Steine riechen. Aber Steine riechen nicht, sondern mikroskopisch kleine Pflanzen, die sich im Bachbett darauf angesiedelt haben. Wie im übrigen fast alle Aromen im Wein organischen Ursprungs ist. Denn die größte Arbeit bei der Geschmacksbildung im Wein verrichten Gärhefen. Und die reproduzieren Aromen, die wir aus der Natur und vom Essteller kennen: Brombeere, Zitronenschale, Blut, Majoran usw.
Ich möchte jenen, die sich selbst auf die Suche nach der Mineralität im Glas begeben wollen, einen Wein näherlegen, der leider recht teuer ist. Dieser Wein benötigt keine Abhandlungen über Mineralität und Boden. Er ist der Vertreter einer Rebsorte, die man hierzulande kaum kennt, die aber eine charakteristisch salzig-mineralische Note in sich trägt und hauptsächlich in einem Land angebaut wird, das nicht gerade für preisgünstige Weine bekannt ist.
Wir sind im Schweizer Kanton Wallis nördlich des Piemont. Genauer gesagt befinden wir uns in Fully, dem im französischsprachigen Teil des Kantons gelegenen Ort der Gemeinde Martigny. Das Wallis liegt vollständig im Gebiet der Alpen. Hier hat die Rebsorte Petite Arvine ihren Ursprung. Die weiße Traube ist unverwechselbar. Neben feinen Grapefruitnoten und viel Kraft ist ihr eine – jetzt kommt´s! – ausgeprägte mineralische Komponente eigen. Diese äußert sich im fast salzigen Charakter des Weins.
Darf ich vorstellen: Marie-Thérèse Chappaz. Sie ist so etwas wie die Süßweingöttin des Wallis. Chappaz erzeugt aus Petite Arvine fast unbezahlbar teure Süßweine. Diese altern ebenso vornehm wie ihre großen Kollegen aus dem Sauternes oder Beerenauslesen von der Mosel. Aber auch der trockene Petite Arvine von Chappaz, den wir heute trinken, ist alles andere als billig. Chappaz arbeitet biodynamisch. Wer sie mit ihren Birkenstocksandalen, dickem Wollpulli und Brille einmal live erlebt hat, weiß wie eine Biowinzerin aus dem Bilderbuch auszusehen hat. In jedem Falle wirkt sie ungekünstelt und eigenständig. So sind auch ihre Weine.
Ihr trockener Petite Arvine fordert den Trinker, ist intensiv und kräftig. Er riecht etwas nach Marzipan, Äpfeln und einer ordentlichen Portion Walnüssen. Am Gaumen ist der Wein geradezu brachial. Er ist kräftig. Ein bisschen Quitte, dann Butter und Brot sowie etwas Kräuter. Neben einer ausgeprägten Grapefruitaromatik schmeckt man eine ordentliche Portion Salzigkeit. Die macht den Wein mineralisch und bringt ihn von der rein fruchtigen Seite weg.
Somit wären wir auch wieder beim Stichwort „Mineralität“ angekommen. Von dem keiner genau weiß, was es heißt. Ich auch nicht.
Ich habe meiner Freundin mineralisch so erklärt: Wenn der Abgang so ein bisschen flach nach Münchner Leitungswasser schmeckt, oder generell der ganze Wein ein bisschen zu schlaff rüberkommt, kannst du meistens von mineralisch sprechen.
Vor allem kann man darüber lamentieren, wenn einem für den eben im Glas gefundenen Geschmack keine andere Komponente einfällt.
Aber mal im ernst. Ich habe mich gefragt ob man die mit dem Alter entstehenden Rauchtöne beim Pouilly Fumé nicht auch als mineralisch bezeichnen kann, da sie ja ohne Zweifel durch den Silex entstehen. Oder eben den Mix aus Silex und SB und Alterung. Aber eine Komponente ist doch unwiderlegbar mineralisch.
Davon abgesehen war mein der Mineralik am nächsten stehendes Erlebnis ein viel zu junger P.C. von Bürklin-Wolf. Wachenheimer Rechbächel war es. Bestimmt gibt es in den G.C. Lagen noch bessere Beispiele dafür.
Von der Hefe und Grapefruit in der Nase abgesehen, hatte man im Mund auf jeden Fall nebst der Säure dieses … was man als Trinker eben als mineralisch bezeichnen würde. Nach diesem kurzen mineralischen Erlebnis, geht es direkt wieder in den zitronigen, vom der Säure geprägten Abgang.
Aber das war eben auch nur die im Text beschriebene kalte, schlanke mineralische Frische.
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SCHWARZPULVER? Matrose Jonas hat sich seinen 10 Euro-Gutschein verdient. Mit einer Kurzbesprechung des Riesling Forster Ungeheuer 2010 (12,5 % Alkohol) von Von Winning:
„2010 – gar kein Arschjahr! In der Nase reife Zitrusfrucht, kandierte Ananas, Birne, leichte Apfelnoten, etwas Exotisches ist auch noch dabei, Kräuter und außerdem irgendetwas wie Schwarzpulver oder Schwefel?? Am Gaumen erinnert der Wein kurz nach dem Öffnen durchaus ein wenig an Sauvignon Blanc. Wieder ist diese Mineralik zu finden, leicht salzig. Nach etwas Luft auch Aprikose und wieder Ananas, zupackende Säure, langer Nachhall. Hat durchaus noch Potential weiter zu reifen. Ein wirklich mineralischer Wein für mich!“
Sehr geehrter Herr Budai,
es gibt für mich wesentlich schlimmere Wörter in der Weinschreiberei als Terroir und mineralisch. Diese sind nämlich zumindest rein sprachlich gesehen korrekt. Ganz anders als z. B. „trinkig“…
Muss ich mir als Chemiker Sorgen machen, wenn meine Haare noch ganz brav liegen?
Für mich ist mineralisch eine sehr gute Möglichkeit, um einen Wein, der auf einem kargen, steinigen Boden gewachsen ist mit nur einem Wort von einem auf einem fetten Boden erzeugten zu unterscheiden.
Beste Grüße!
Wine Nerd
Lieber Wein Nerd,
dann scheinen Sie ja eher Germanist als Biologe zu sein…
Das finde ich jetzt interessant, dass sie einen Wein vom fetten Boden folglich als nicht mineralisch beschreiben würden. Sehe ich das richtig so?
Hallo zusammen,
hier abschliessend noch meine Gedanken zu Terroir und Mineralik:
– der salzige Geschmack könnte tatsächlich von einem etwas höheren Salzgehalt stammen, aber auch von vielen anderen Stoffen. Der Wein ist ein hochkomplexes Gesmisch von hunderten verschiedenen chemischen Verbindungen; die einfache Folgerung von ’salzig‘ auf ‚Terroir‘ ist zwar menschlich, aber sehr wahrscheinlich Nonsens.
– der Geruch des Weins nach „Erde“ oder „Stein“ stammt mit Sicherheit nicht vom Boden, auf dem die Rebe steht. Man kann gewöhnlichen Stein nicht riechen, denn dazu müsste er ja Moleküle an die Luft verdampfen. Den Erdgeruch gibt es, aber er entsteht ganz anders, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Petrichor
– sicher hat der Boden einen gewissen Einfluss auf die Inhaltsstoffe der Trauben, und damit den Geschmack, aber vermutlich weniger als man denkt, und mit Sicherheit anders als das Schema: „karger Boden = mineralischer Wein“, „fetter Boden = fülliger Wein“.
Na ja so einfach ist das auch wieder nicht. Feuerstein z. B. finde ich hat schon einen charakteristischen Geruch.
Und da der Boden die Nährstoffversorgung beeinflusst finde ich es sehr wahrscheinlich dass das die Traube beeinflussen kann. Genauso wie die Bewirtschaftung des Weinbergs im Allgemeinen.
Die Gährführung und die Arbeit im Keller kommen dazu.
Ein einfaches Beispiel für alle, die einen Garten haben: Schmecken am Stock gereifte Tomaten im Hochsommer genau so wie die aus dem Supermarkt im Februar?… 🙂
Grüße
Wine Nerd
Einen fachbezogenen Einblick in die Materie kann man sich bei Dieter Hoppmann: Terroir verschaffen. Die Lektüre bereitet einem fachfremden aber weinaffinen Leser wie mir zwar ein wenig Mühe, klärt aber vieles.
Der Text von Markus Buddai gefällt mir, eine kleine Anmerkung sei aber erlaubt: im Wallis spricht man doch wohl überwiegend Deutsch. So richtig frankophon ist das benachbarte Waadland.
Gast,
im Wallis ist die Amtssprache Französisch (1.) und Marie Thérèse begrüßt einen auch mit einem „Bonjour“. 🙂
Als Walliser kann ich euch sagen, dass das Wallis ab Salgesch aufwärts deutschsprachig ist, während man im westlichen Teil Französisch spricht.
Ja – ich habe das zur Abänderung in die Redaktion gegeben.
Es ist falsch ausgedrückt, weil ich mich auf Chappaz bezogen habe, die aus Fully stammt.
„Mineralik“ – ein fürchterliches Wort bei dem einem in Gedanken die Ohren schmerzen. Gibt es übrigens auch gar nicht, ist wieder mal so typische Weinsprech (früher „Weinlyrik“ genannt), die dazu dient, weniger Wissbegierige abzuschrecken weil sie nur Bahnhof verstehen. Also nur weiter so mit diesem Sprachmurks!
Und noch eine mineralische“ Besprechung von Leser-Matrose Anton hat uns per E-Mail erreicht:
„Ja – der Name verrät es schon. Aber hier findet sich meiner Meinung die Mineralität nicht nur auf dem Etikett: Emrich-Schönleber, Riesling Mineral 2010.
Dieser Riesling ist eben mehr als nur schlank und nur fruchtig.
Klar, ein bisschen Steinobst schmecke ich hier auch. Aber da ist dann noch ein „Mehr“. Das geht für mich eben eine Spur weiter.
Ein trockener Riesling, der mich als Trinker herausfordert und beglückt. Genau das macht für mich einen mineralischen Wein aus.“
Der perfekte Einstiegsriesling in die Welt der Wittmann’schen Mineralik: fängt langsam an mit leicht reduzierter Fruchtnote und schon deutlichen Unterton nach Tabak und leicht holunderartigem Blütenduft, im Mund dann schleichend in der Mitte des Gaumens, um dann zum Angang hin die volle Bremsspur der Mineralität im Mund zu hinterlassen: salzig, stoffig, fast stumpf und enorm druckvoll. Dieser Gutsriesling kann es mit fast allen GGs aufnehmen!
Wer nach diesem Wein nicht weiß, was Mineralik ist, dem wird dieses Thema ewiglich verschlossen bleiben.
Beste Grüße,
Oliver Kunze
Und noch ein Leser-Matrose, der bei Mineralität ans Weingut Emrich-Schönleber denkt.
Jens Marten: „Ich mußte zuletzt beim Trinken vom Großen Gewächs Halenberg 2009 von Emrich-Schönleber an Mineralik denken.
So wie ich den Halenberg kenne, ist auch dieser Jahrgang das, was ich als mineralisch bezeichne.
Ich meine damit eine gewisse Kargheit und Finesse, im Gegensatz zu Schmelzigkeit oder Üppigkeit. Die Frucht ist da (Steinobst, Aprikose, Pfirsich, Zitrone, Grapefruit), wird aber fast dominiert von Feuerstein und Salz, was ich Mineralik nenne.
Ich glaube den Schiefer zu schmecken, was aber wohl eher eine Rauchigkeit ist. Viel Extrakt und Dichte. Mineralik von mir auch als Gegenpol zu fruchtsaftig zu verstehen.“
Hallo zusammen,
hier abschliessend noch meine Gedanken zu Terroir und Mineralik:
– der salzige Geschmack hängt natürlich mit dem Boden zusammen. Der Boden ist ein hochkomplexes Gemisch von hunderten verschiedenen chemischen Verbindungen, und dass das Einfluss auf den Wein hat, ist kein Nonsens, sondern nur folgerichtig.
– die Mineralik des Weins kann nur vom Boden stammen, denn die Rebe ist ja auf intensivste mit dem Boden verflochten. Diese Eigenheiten des Bodens übertragen sich praktisch unverändert auf die Traube (wie jeder weiss, der schon mal an einem Stein geleckt hat. Und das hat jeder, als er oder sie mal klein war, jeder !).
– deshalb gilt, weil das ja klar ist, folgendes leicht zu merkendes Schema: „karger Boden = mineralischer Wein“, „fetter Boden = fülliger Wein“.
Mineralik ist ein Fall für die Entsorgung: http://www.recycling-nord.com/de/mineralik
Ansonsten frage ich mich natürlich wo die ganzen „fülligen“ Weine von den steinigen Steillagen in DE herkommen? Und die ganzen „mineralischen/kargen“ Weine von den Böden mit dicker Humusschicht? Naja, vielleicht habe ich es nur nicht verstanden.
Weinlyrische Grüße…
Sorry, ich glaube, das ist eine romantische Vorstellung. Hier ist heute ein ganz interessanter Text dazu erschienen: http://www.schnutentunker.de/2014/04/15/mineralik-1-stein-im-wein/