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Was heißt mineralisch?

Marie Thérèse Chappaz im Wallis.
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Der Captain macht sich auf die Suche nach dem Begriff MINERALISCH und findet: Nichts. Stop, nein: Es gibt einen teuren Wein aus der Schweiz, der alles erklärt.
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Eines der Unwörter, das sich nebst TERROIR etabliert hat, heißt MINERALITÄT. Klingt irgendwie nach Admiralität. Beide Begriffe haben gemeinsam, dass sie durch wahllosen Gebrauch fast völlig ihre Bedeutung verloren haben. Sie sind austauschbar. Das Schreckliche daran ist, dass sie sich trotzdem größter Aufmerksamkeit erfreuen. Obwohl sie oft falsch und meistens beliebig eingesetzt werden. Auch vom Captain. Woher kommt das?

Man sagt, es sei möglich, dass man den Boden, auf dem ein bestimmter Wein gewachsen ist, aus dem Glas herausschmecken kann. Bullshit. Jedem Geologen und Chemiker sträuben sich bei dieser Behauptung die Haare. Kein Gestein der Welt ist fähig, Mineralstoffe in solcher Menge abzugeben, dass sich diese über die Rebwuzeln aufnehmen lassen und letztendlich in der Traube und damit wahrnehmbar im Wein landen.

Bleiben wir auf dem Boden. Im Glas landen nur die gepressten und vergorenen Trauben, nicht mehr. Klar, manche Weine riechen kalkig. Schmecken nach Jod oder nassen Steinen. Sind von kühler Aromatik, die über die reine Frucht hinausgeht. Das gilt auch für Aromen von Feuerstein, Schiefer, Granit, Vulkangestein und den ganzen Rest der Steinesammlung, die die Weinwelt zu bieten hat.

Tatsache jedoch ist, dass kein einziges Gestein die Wanderung aus dem Boden ins Glas schafft. Die wahrnehmbare Steinaromatik ist eine Illusion, hervorgerufen durch – ja, was denn eigentlich?

Man weiß es nicht genau. Welchen direkten Einfluss Böden auf den Geschmack eines Weines nehmen, darüber herrscht unter Wissenschaftlern Unklarheit. Fachleute nehmen an, dass für den mineralischen Charakter im Wein hauptsächlich der pH-Wert des Bodens verantwortlich ist, der die Säure in den Trauben reguliert. Und damit das Mundgefühl als Teil des Geschmacks.

Zu diesem tragen auch die sogenannten Mineralstoffe bei. Zum Beispiel Calcium, Kalium und Natrium. Das sind Nährstoffe, die in höherer Konzentration salzig schmecken. Diese Nährstoffe ergeben im Zusammenspiel mit anderen Aromen bestimmte Eindrücke in Nase und Mund. Mancher Wein riecht wie ein Feuerzeug. Oder nach frisch gekalkter Wand. Man ist geneigt daraus Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Bodens zu ziehen, von dem er kommt. Das ist ein Irrtum!

Mancher Wein riecht nach nassem Stein, obwohl der Weinberg, auf dem die Reben stehen, alles andere als steinig ist. Woher kommen diese Eindrücke dann? Die nüchteren Antwort ist: aus dem Kopf. Denn dort ist abgespeichert, wie nasse Steine riechen. Aber Steine riechen nicht, sondern mikroskopisch kleine Pflanzen, die sich im Bachbett darauf angesiedelt haben. Wie im übrigen fast alle Aromen im Wein organischen Ursprungs ist. Denn die größte Arbeit bei der Geschmacksbildung im Wein verrichten Gärhefen. Und die reproduzieren Aromen, die wir aus der Natur und vom Essteller kennen: Brombeere, Zitronenschale, Blut, Majoran usw.

Ich möchte jenen, die sich selbst auf die Suche nach der Mineralität im Glas begeben wollen, einen Wein näherlegen, der leider recht teuer ist. Dieser Wein benötigt keine Abhandlungen über Mineralität und Boden. Er ist der Vertreter einer Rebsorte, die man hierzulande kaum kennt, die aber eine charakteristisch salzig-mineralische Note in sich trägt und hauptsächlich in einem Land angebaut wird, das nicht gerade für preisgünstige Weine bekannt ist.

Wir sind im Schweizer Kanton Wallis nördlich des Piemont. Genauer gesagt befinden wir uns in Fully, dem im französischsprachigen Teil des Kantons gelegenen Ort der Gemeinde Martigny. Das Wallis liegt vollständig im Gebiet der Alpen. Hier hat die Rebsorte Petite Arvine ihren Ursprung. Die weiße Traube ist unverwechselbar. Neben feinen Grapefruitnoten und viel Kraft ist ihr eine – jetzt kommt´s! – ausgeprägte mineralische Komponente eigen. Diese äußert sich im fast salzigen Charakter des Weins.

Darf ich vorstellen: Marie-Thérèse Chappaz. Sie ist so etwas wie die Süßweingöttin des Wallis. Chappaz erzeugt aus Petite Arvine fast unbezahlbar teure Süßweine. Diese altern ebenso vornehm wie ihre großen Kollegen aus dem Sauternes oder Beerenauslesen von der Mosel. Aber auch der trockene Petite Arvine von Chappaz, den wir heute trinken, ist alles andere als billig. Chappaz arbeitet biodynamisch. Wer sie mit ihren Birkenstocksandalen, dickem Wollpulli und Brille einmal live erlebt hat, weiß wie eine Biowinzerin aus dem Bilderbuch auszusehen hat. In jedem Falle wirkt sie ungekünstelt und eigenständig. So sind auch ihre Weine.

Ihr trockener Petite Arvine fordert den Trinker, ist intensiv und kräftig. Er riecht etwas nach Marzipan, Äpfeln und einer ordentlichen Portion Walnüssen. Am Gaumen ist der Wein geradezu brachial. Er ist kräftig. Ein bisschen Quitte, dann Butter und Brot sowie etwas Kräuter. Neben einer ausgeprägten Grapefruitaromatik schmeckt man eine ordentliche Portion Salzigkeit. Die macht den Wein mineralisch und bringt ihn von der rein fruchtigen Seite weg.

Somit wären wir auch wieder beim Stichwort „Mineralität“ angekommen. Von dem keiner genau weiß, was es heißt. Ich auch nicht.

 

Datum: 20.9.2019 (Update 14.11.2020)