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Weinpapst Parker: Mächtiger denn je

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Finanzkrise? Systemwechsel? Quatsch, nichts ändert sich. Das merkt man im Weinbusiness, wo nach wie vor nur die Worte von Gott Parker zählen. Keiner schwächt diese önologische Ratingagentur.

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Der Captain beendete Prag mit einer wunderbar trinkreifen und herrlich eleganten Flasche Chateau La Lagune 1995. Und er ist gewiss, Derartiges nicht mehr so oft in seinem Leben trinken zu dürfen. Derartiges, wie einen Bordeaux alter Machart, einen Bordeaux vor Parker. Den Machern von Chateau La Lagune war Parker Mitte der Neunziger noch egal. Und so blieb auch die Wertung dieses Weins nur durchschnittlich. Parker irrte, sagt der Captain, der La Lagune 1995 hat mindestens 98 Punkte verdient. Ach was, egal. I give a fuck dafür, was Parker sagt.

Aber da ist der Captain nach wie vor einer von wenigen. Wie hörige Mitglieder einer Sekte glotzen nach wie vor tausende Händler und Sommeliers vor ihren Jahresbestellungen in die Parker-Wertungen. Vor allem in den neuen Märkten Russland und China ist Parker der unbestrittene Gott der Weinbewertung. Ein Wein ohne ausreichende Parker-Punkte ist dort schlicht unverkäuflich. As simple as that.

Jedes Jahr aufs Neue gibt es im Frühjahr im Bordeaux einen ersten Einblick auf die Weine des vergangenen Jahrgangs. Dieses Jahr also auf 2009, der ja ein Jahrhundertjahrgang gewesen sein soll. Der Captain denkt das auch und freut sich, wenn er in drei Jahren dann so manche Kiste kleinerer Chateaus einlagern darf, die in guten Jahren exzellente Ware keltern. Hier gilt die alte Bordeaux-Regel: In schlechten Jahren nur die starken Chateaus – in guten Jahren auch die Schwachen. Obwohl man freilich immer was versemmeln kann – Mouton 2002 ist so ein Beispiel: mieses Jahr, gutes Chateau, trotzdem Mist.

Robert Parker bestimmt das Sein

Parker kam und kostete. Am Ende hatten 22 Bordeaux die Höchstwertung von 100 Punkten. Und viele andere rangierten nur knapp dahinter. „Danke, Gott Parker, danke, dass du uns mit Licht überschüttest und unsere Finanzen sicherst“. Das werden viele Chateaubesitzer und Chateauverwalter ausgerufen haben. Denn die Zeiten sind hart, amerikanische und britische Händler wollen beim 2009er Bordeaux wegen der zu erwartenden exorbitanten Preise auf die Bremse steigen. Da hilft China und Asien, die letztverbliebenen Wachstumsmärkte. Die werden das wohl alles kaufen, denkt man in Frankreich. Chateau Mouton hat gerade in China eine Weinbar eröffnet, wo „der Chinese“ ein Glas Mouton 1999 für umgerechnet 56,00 Euro nach alter Tradition auf Ex kippt. Selbstverständlich mit Zitronenscheibe im Glas, das kennt er ja vom Schnaps.

Nein, der Captain wird hier keinen Kulturfaschismus aufzäumen. Wenn „den Chinesen“ Wein nur mit Zitronenscheibe schmeckt, dann ist das eben der lokale Geschmack und keine Barbarei. Wer zahlt, bestimmt. Der Captain findet es nur absurd, dass die edlen Chateaus noch vor 15 Jahren die Nase über den „grotesken Russen“ gerümpft haben, der seinen Mouton mit Cola verdünnte. Dieser Käufer war damals nicht willkommen. Des Captains russischer Händler erzählt mit größtem Unbehagen von diesen Tagen, als er im Medoc wie Dreck behandelt wurde. Heute, so sagt er, kriecht man ihm in den Allerwertesten. Und bringt sogar noch die Vaseline mit. Noch schlimmer beim Chinesen. Kotau brutal. Bitte kauft, kauft, was Parker sagt. Und sie tun es.

Das System Parker bietet Sicherheit

Trotz aller Kritik ist das System Parker offenbar unangreifbar. Unangreifbar, weil es das Gerüst eines sicheren Gebäudes ist, das im Augenblick keiner abreissen will. Kritik sehr wohl, doch bitte im Haus bleiben und nicht auf die Strasse gehen. Man kennt ja sonst nichts. Wer will zurück in die Anarchie vor Parker?

Das hat gewisse Parallelen mit dem herrschenden Finanzmarktkapitalismus, der (wie Parker) seit 20 Jahren unser Handeln diktiert und dabei (wie Parker) offenbar große Verwerfungen anrichtet. Jeder kritisiert, keiner ändert. Schockstarre.

Parker ist heute mächtiger denn je. Er ist die Ratingagentur einer oft hoch verschuldeten Branche, die ihre Produktion an die Leute bringen muss. Heute werden im Bordeaux ein Drittel mehr Flaschen (vor allem hochwertiger Weine) produziert, als vor 1990. Die Weinbranche kämpft – wie viele Branchen – mit der Überproduktion. Es wird zu viel gekeltert. Und zu viel Gleiches in Flaschen gefüllt. Eine einfache Wahrheit.

Aber anstatt Konsequenzen zu ziehen und die Produktion herunter zu fahren, wird erweitert und vergrößert, als hätte das Morgen seine Glocken nicht läuten lassen. Man kennt die Fehler. Und lernt nicht draus. Denn es gibt Gott Parker, der vielleicht einen Weg aus dem Tal der Tränen kennt.

Wer Parker angreift, muss das System angreifen

Das Erwachen wird mit jedem Monat der Verzögerung notwendiger Konsequenzen nur noch schlimmer werden. So wie Griechenland und Portugal (und mit ihnen auch der Euro) durch Finanzmarktregeln nicht zu retten sind, so sind manche großen Chateaus nur noch Beweis ihrer Unnötigkeit. Vor allem jene, die mit Fremdkapital errichtet oder aufgepäppelt wurden. Ihr Sterben kann Gott Parker (wie er es in Spanien tut) nur noch verzögern.

Und wie bei den Ratingagenturen bedient sich der Weinmarkt kurioser Bewertungsriten. Der Captain nimmt an, dass ein sehr junger Bordeaux, der gerade erst vergoren und gefüllt wurde, noch lange nicht zeigen kann, wie er in zehn Jahren schmecken wird. Jede Bewertung des 2009er Jahrgangs muss also mit Phantasie geschehen, mit einem weisen Vorausblick darauf, was da noch kommen kann. Und der Captain bezweifelt, dass dies nun allen Testern möglich ist. Er weiß von seinem Unvermögen aus eigener Erfahrung. Und nimmt deswegen an solchen Verkostungen auch nicht Teil.

Parkers Kritiker rudern im gleichen See

Leider sind Parkers Kritiker nicht gut aufgestellt. Das beweist ein Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“, der einen deutschen Parker-Kritiker zu Wort kommen lässt, der seine Kritik wieder in nebuloses Weingeschwätz wie „sprödes Edelstahl-Tannin“ kleidet. Anstatt einfach zu sagen, dass der 100 Punkte-Wein, den er verkostet hat, hart, grün und ungenießbar schmeckt. Die Kritik muss die Sprache wechseln.

Die Wahrheit ist den Leuten zumutbar. Man muss sagen, wenn Systeme neue Zustände erzeugen. Der Finanzmarkt wird den europäischen Sozialstaat, wie wir ihn kennen, ruinieren. Das ist seine Aufgabe, er kann nicht anders. Wenn man das nicht haben will, muss man eine Systemdiskussion führen. Und keine Reformdiskussion.

Das System Parker sucht einen Weltgeschmack für Wein. Parkers Ausflüge in das Autochthone sind Gänseblümchen auf einer sattgrünen Wiese. Parker will den Weingeschmack der Welt dominieren. Das ist seine Aufgabe, er kann nicht anders. Wenn man das nicht haben will, muss man eine Systemdiskussion führen. Oder an dem System nicht mehr teilnehmen. Aber dann geht es ans Eingemachte. Wer will das schon? Deswegen ist Parker mächtiger denn je.

 

Datum: 17.5.2010 (Update 14.4.2011)
 

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