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Weinjournalismus: Der alte Scheiß

Einfach riechen und trinken. Und keinen Schwachsinn faseln
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Montag ist Wein der Woche-Tag. Doch heute kriegt ein angesehener Kollege eins auf die Nase. Seine Erregung über Weinkritiker ist ein weiterer Beweis, dass die Weinschreiber der Printmedien Meister der Verklärung sind.

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Beat Koelliker ist Schweizer und angesehener Autor von publikumsnahen Fachbüchern, wie zum Beispiel der „Weinschule“ (wie das schon klingt, igitt – wer geht gerne zur Schule?) im Hallwag-Verlag. An seinen fachlichen Kenntnissen ist kaum zu zweifeln.

Irgendetwas ist Koelliker letzte Woche über die Leber gelaufen, denn er hat einen Kommentar im Hamburger Abendblatt verfasst, der in manchen Ansätzen die richtige Richtung finden will. Die Absicht scheitert aber am generellen Zustand des Autors. Koelliker offenbart sich als Wein-Spießer, wie er vom Captain nicht besser beschrieben werden kann.

Koelliker schreibt: „Wer kennt sie nicht, die Weinkritiker? Selbstverliebt und fehlersüchtig degustieren sie sich durch Dutzende von Weinen: Schlürfen, Spucken, Benoten … Halten wir fest: Kein Wein auf der Welt wurde je dafür gemacht, in einem hygienisch reinen Degustationsraum ausgespuckt zu werden.“. Das klingt gut, klingt auch ein wenig nach Captain, ist aber gleich mal völliger Nonsens.

Erstmal kennt der Deutsche keine Weinkritiker. Hinz und Kunz lesen kaum Weinkritik. Weinkritik interessiert sie nicht, weil Journalisten wie Koelliker die Weinkritik mit Floskeln und Weingeschwätz längst auf die Bahre gelegt haben. Genau das wird Koelliker im nachfolgenden Artikel eindrucksvoll beweisen.

Zweitens kennt der Captain keinen fehlersüchtigen Weinkritiker (selbstverliebte sehr wohl) und er kennt auch keine Verkostungen, die in einem hygienisch reinen Verkostraum stattfinden. Also ist das nur blöde Polemik. Oder Koelliker hat noch nie bei einer Weinverkostung mitgemacht. Da herrscht oft alles andere als Hygiene.

Dann legt Koelliker gleich mit weiterem Unsinn nach: „Weinkritiker können analysieren, messen und bewerten so viel sie wollen. Gerade ihre klassenbesten Weine zeigen uns Liebhabern oft genug die kalte Schulter und tun so, als wollten sie mit uns gar nichts zu tun haben. Und umgekehrt: Wie oft ist es jedem Weinliebhaber schon passiert, dass Weine von den hinteren Bänken ihn berührt, vielleicht sogar beeindruckt und für einen kurzen Augenblick glücklich gemacht haben.“

Der Captain weiß nicht, was ein Weinkritiker groß messen könnte. Die Schwanzlänge des Traubensaftes? Gemessen (Alkohol, Säure, Zucker) hat schon der Önologe. Und die Zeit, als die „klassenbesten“ Weine der Weinkritiker den Konsumenten die kalte Schulter zeigten, diese Zeit, lieber Koelliker, war die Zeit vor Parker. Aus diesem Grund gab es Parker. Und man kann Parker kritisieren, wie man will (der Captain tut dies hart und oft), aber Parkers Weine zeigen dem Konsumenten mitnichten die kalte Schulter. Und der Captain kennt inzwischen auch keinen einzigen namhaften Weinkritiker, der am Publikum vorbeischreibt. Koelliker phantasiert sich also für seine nachfolgenden Sätze ein Feindbild herbei.

Schwachsinnig auch der Ausdruck „Weine von den hinteren Bänken“. Ein guter Wein sitzt nie auf der hinteren Bank. Oder anders gesagt: Der Captain hat noch keinen schlecht beurteilten Wein getrunken, der nicht wirklich schlecht gewesen wäre. Wohl aber differenziert beschriebene Weine, die sich mit den Jahren besser entwickelt haben. Zudem gibt es kaum schlechte Weinkritiken, weil kein Weinkritiker seine Klientel mit schlechter Kritik langweilen will. Auch in den Wein-Guides werden mittelmäßige Winzer und ihre Produkte kaum aufgenommen. Koelliker schwätzt von einem Zustand, den es nicht gibt.

Danach schreibt Koelliker manch richtig Klingendes, etwa, dass authentische Weine besser schmecken, als „Laborweine“. Doch so unterstellt er den kritisierten Weinkritikern, dass sie Laborweine den authentischen Weinen vorziehen würden. Dem Captain ist kein einziger freier Weinjournalist bekannt, der dies tun würde. Aber man darf zudem die Frage stellen, ob nicht auch ein Laborwein ein authentischer Wein ist. Eben ein authentischer Laborwein. Wenn er in der Region geerdet ist und sauber gekeltert ist: Was spricht gegen einen Laborwein?

Koelliker bereichert eine Weinphantasie, die schön klingen mag, aber der Realität nicht entspricht. Er schreibt, dass ihm und seinen Freunden Weine von authentischen Winzern gefallen (dem Captain freilich auch); er schreibt: „Man merkte es sofort, hier hat nicht eine Laboranalyse den Wein geformt, sondern ein Mensch mit seinem Geschmack, seinem Können und seiner Kultur, in die er geboren wurde oder in der er aufgewachsen ist.“ Das klingt gut und findet sofort Zustimmung. Dass diese Art Weinmacher aber maximal 5 % der Weine am Weltmarkt herstellen, das erwähnt Koelliker in keinem Satz. Und die Leser des Hamburger Abendblattes werden auch nach der Lektüre von Koellikers Phrasen mehrheitlich industrielle Laborweine trinken, diese gut finden und nicht daran sterben.

Doch dann wird es wieder kritisch. Koelliker über Ausnahmewinzer und ihre Weine: „Aber jede Begegnung ist auch ein Wagnis und birgt das Risiko des Neuen, Unerwarteten in sich. Ein noch nie gekosteter Geschmack kann uns befremden, ja sogar abstoßen. Das muss nicht immer an dem Wein liegen. Vielleicht verstehen wir seine Sprache einfach noch nicht. Der zu schnelle Reflex „schmeckt mir oder schmeckt mir nicht“ kann uns ganz schön austricksen. Er ist eine Falle, in die wir alle schon so oft getappt sind und auch noch oft tappen werden.“

Das ist richtig und falsch zugleich. Der Captain behauptet, dass manche derzeit hochgelobten Kreationen maximal für eine kleine Schar Önologie-Enthusiasten interessant ist. Etwa Amphorenweine. Oder biodynmische Kreationen vom Ätna. Auch sind die Weine von Alternativ-Papst Nicholas Joly in manchen Jahren schlicht ungenießbar. Da nützt auch ein interessantes Gespräch mit dem Winzer nichts, mehrheitstauglich wird das nie. Auch nicht beeinflussend. Und auch nicht gut.

Koelliker spricht an, was der Captain ständig kritisiert: Dass Weinkriiker wie Parker einen neuen Weingeschmack kreiert haben, der sich nun schwer wieder beseitigen lässt (selbst Parker arbeitet inzwischen am Abbruch seiner Geschmacks-Tempel). Doch Koelliker glaubt, dass sich fremd wirkende Weine beim „zweiten Schluck“ besser darstellen. Das ist – bis auf wenige Ausnahmen – schlicht Blödsinn.

Koelliker weiter: „Geben wir ihm (dem Wein) eine zweite Chance oder sogar eine dritte. Und plötzlich geht das Licht an, und alles ist klar: Wir haben nicht nur dem Wein eine zweite Chance, nein, wir haben uns selbst eine zweite Chance gegeben und sind um eine Erfahrung reicher geworden.“ Oh Gott, da wird dem Captain ganz blümerant.

Und dann: „In der erwähnten Degustation erfuhren wir das sehr eindrücklich mit einem sardischen Wein, der uns allen unbekannt war. Niemandem hat er auf Anhieb wirklich „geschmeckt“, die meisten waren sogar über den fremden Geschmack leicht geschockt. Aber niemanden hat er kalt gelassen. Vor und dann natürlich auch nach dem Aufdecken der Etiketten haben wir lange an ihm herumgerätselt. Er blieb uns fremd, aber er hatte Kraft, und es ging eine starke Energie von ihm aus. Diesen Wein werde ich wohl nie vergessen.“

Da steckt eine ganze Menge Selbstbetrug drin. Wenn der Wein niemandem auf Anhieb geschmeckt hat, dann wird er auch weiterhin niemandem auf Anhieb schmecken. In Sardinien wohl schon, denn dort gehört dieser Wein auch hin, dort ist er zu Hause. Und dort soll er bleiben und vor Ort schmecken. „Kraft“ und „starke Energie“, das ist dann fast schon esoterisches Geschwafel. Ein Wein schmeckt. Oder er schmeckt nicht. „Interessant“ wird er bleiben. Interessant für einen klitzekleine Minderheit Weintrinker, die an der gesamten Vielfalt der Weinwelt interessiert ist (der Captain z.B. ist das nicht, er hat zu wenig Lebenszeit für mittelmäßige Weine über). Der Durchschnittskonsument wird von solchen Weinen aber nur abgeschreckt. Und die Leser des Hamburger Abendblattes geben solchen Weinen gewiss keine zweite Chance.

Am Schluss der Schreibe ist Koelliker nur ein weiterer alter Mann des Weinjournalismus, einer, der dem Wein Fähigkeiten zuschreibt, die der nur hat, wenn die richtigen Leute zusammensitzen. Der Captain hat sich noch keinen Idioten schön trinken können. Und so wird es wohl den meisten gehen. Koelliker im Wortlaut: „Aber auch der Wein selbst entfaltet in Gesellschaft seine Persönlichkeit, er beginnt zu erzählen und verrät uns vieles über seine Heimat, seine Jugend und seine Geheimnisse. Und nicht zuletzt oder vielleicht sogar zu allererst: Der Wein begleitet die Speisen auf unseren Tellern. Er rückt sie ins rechte Licht und macht sie gut verträglich. In diesem Zusammenspiel übernimmt er manchmal den Part der ersten Geige, meist aber spielen Wein und Speisen ein Wechselspiel der Stimmen wie Geige und Klavier in einem klassischen Duett.“

Das ist die alte dämliche Weinschreibe, die man nicht mehr lesen kann. Und weil es so dämlich ist, endet Koelliker auch mit dem dämlichst möglichen Schlusswort: „Der Wein ist zwar von Menschen gemacht, aber uns doch auch irgendwie von den Göttern geschenkt.“

Oh Koelliker, bitte einfach die Fresse halten. Danke.

Nachträglich noch ein erhellender Artikel über Beat Kolliker und sein neues Geschäft von Eckhard Supp.

 

Datum: 3.5.2010 (Update 18.3.2011)
 

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