Ja, der Captain kennt das eine oder andere Sangiovese-Experiment auf deutschem Boden (zum Beispiel bei Philipp Kuhn), aber es wird wohl einen Grund haben, warum man jeweils nicht viel davon hört.
Was tun?
Man einigte sich auf den Ausbau im Stil der berühmten Supertoskaner aus französischen Rebsorten. Ein Super-Wonnegauer sozusagen, der Sassicaia und Ornellaia nacheifert.
Alex gefiel die Idee und er machte sich ans Werk. Es wurde auf einem Drittel Hektar im heißesten Stück der Lage Gundersheimer Höllenbrand Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und Merlot (aus französischen Klonen) angepflanzt. 2016 war die erste Lese.
Das Ergebnis war niederschmetternd. 2017 ebenso. Aber im großen Rotweinjahr 2018 gelang das Experiment. Alex und Nicolaus waren mit dem Traubengut hochzufrieden und beschlossen den Ausbau. Wie das geschah, beschreibe ich im Verkostungsbericht über diesen delikaten Bio-Rotwein aus warmer Süd-West-Lage in Rheinhessen (mit Lösslehm und Kalkstein im Boden), der im internationalen Stil aus den Sorten Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und Merlot (aus französischen Klonen) zu jeweils gleichen Teilen zubereitet wurde.
Ziel dieses Weinprojekts war, einen Top-Rotwein zu kreieren, der es mit den bekannten Supertoskanern aufnehmen kann. Der Weg: viel Ausdünnen (vorzeitiges Herausschneiden unreifer Trauben zur Verringerung des Traubenbehangs, was in den übriggebliebenen Trauben mehr Aroma-Konzentration bringt) und intensive Laubarbeit im Weinberg. Trauben nur teilweise entrappt. Das Traubengut nach Rebsorten getrennt vier bis 6 Wochen lang mazerisiert. Vergärung in offenen Bütten, täglich drei bis vier Mal von Hand untergestoßen (Pigeage) und vier bis 6 Wochen auf der Maische liegengelassen. Zwei Jahre Reifung in neuen 500-Liter-Tonneaux aus Pfälzer Eiche und gebrauchten Barriques von Château Margaux, die beim Fasshändler standen.
Meine Notizen: Im Glas dunkel glänzendes Rubinrot mit schwarzem Kern. In der Nase Dörrpflaume, getrocknete Datteln, Sultaninen, Kakaopulver, heller Tabak und ein bisschen Unterholz. Im Mund klarfruchtig und rassig nach Schattenmorelle pur – diese Frische überrascht. Dann Bleistiftspitze, Earl-Grey-Tee, Orangenschale, Thai-Basilikum. Ich spüre mittleren Körper und dennoch ausreichend Kraft – ist also kein dicker Brummer. Am Gaumen dunkle Schokolade und viel Eleganz. Fazit: Das ist Old-Style-Rotwein, der sinnlich auf der Zunge zerfließt.
Ist der Versuch gelungen? Ja. Freude macht auch der Blick auf den Kaufpreis.
Wenn man schon so eine Kapazität wie Prof. Nicolaus Reifart als Gesprächspartner hat, will man natürlich noch mehr wissen.
Herr Professor, Hand aufs Herz: Wie viel Rotwein ist gut für die Pumpe?
Reifart (Pionier in der Behandlung verschlossener Herzkranzgefäße mithilfe sogenannter Stents) zum Captain: „Die Verbindung Resveratrol, die in den Schalen von Rotweinbeeren vorkommt, ist tatsächlich gut, aber der endgültige Beweis durch eine Doppelblindstudie mit Probanden, die regelmäßig Rotwein konsumieren, steht noch aus. Deshalb sage ich als Mediziner nicht: Rotweintrinken ist gut für’s Herz. Aber ich rate auch niemandem vom maßvollen Konsum ab.“
Reifart, der in Ingelheim aufwuchs und heute in Königstein im Taunus lebt, ist regelmäßig im Weinberg und arbeitet mit.
Warum tut sich einer, der im Leben schon alles erreicht hat, so etwas an? „Man braucht Ziele. Ich habe mein Leben lang gerne gearbeitet. Mit 60 begann ich nachzudenken, was nach der Verrentung passieren soll. So kam ich auf die Idee, etwas zu schaffen, das man von mir und diesem Ort nicht erwartet. Dank dieses Projekts vermisse ich die Arbeit im Operationssaal nicht.“
Etwa 2.000 Flaschen der Gundersheimer Höllenbrand Cuvée 2018wurden abgefüllt. Es gibt eine Madame (Mme.) und einen Monsieur (M.), die in Nuancen leicht unterschiedlich schmecken. Angeblich. Der Captain hat beide probiert und kann das ehrlicherweise nicht bestätigen. In Zukunft und falls noch weitere Jahrgänge so gut gelingen, will man sowieso nur noch einen Wein machen.
Knapp 17 Euro will Reifart für die Flasche. Echt wenig für diesen Wein. Aber um’s Geld geht’s Reifart ohnehin nicht. „Bisher habe ich nur draufgelegt. Das ist mir die Freude an meinem Projekt jedoch wert.“