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Weingeschwätz: Wahl der Worte

Wein riecht nach mehr als nur Steinobst, Cassis und Vanille...
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Der Captain wird in der Zeitschrift VINUM als Weinschwätzer hingestellt, weil er verstörende Begriffe wie "nasser Aschenbecher" verwendet. Aber er bleibt dabei: Die Weinsprache muss mehr sein, als die Assoziationen einiger geschulter Weinbeamter.
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Mein Freund Harald sagt, er verstehe nicht, was ich rieche, wenn ich meine Nase in ein Glas Wein stecke. Er sagt, es sehe mitunter grotesk aus, wenn ich den Zinken bis zum Anschlag im Gebinde versenke, mit meiner Stirne jegliches Eindringen von Luft verhindere und dann den Geruch des Weins aufziehe, als sei ich ein Süchtiger, der pathologisch inhalieren muss. Für meinen Freund Harald ist meine Zeremonie eine fremde, dramatisch überfrachtete Welt. Er sagt, ein Wein rieche nach Trauben und Alkohol. Und sonst nach nichts.

Deswegen findet er es auch lächerlich, wenn ich über den Geruch eines Weins schreibe. Da liest er über Zitronengras, die Limette eines karibischen Drinks, über weiße Weingartenpfirsiche, über Gewürze, wie Kümmel oder Koriander. Aber auch über Klebstoff, Benzin, nasse Steine am Bachbett Über einen frisch gespülten Aschenbecher oder Kinderspielzeug aus Plastik, das von der Sonne geröstet wird. Da lacht mein Freund Harald.

Und er lacht noch mehr, wenn ich über den Geschmack eines Weins schreibe. Wenn ich Schieferboden zu erkennen glaube. Oder Lehm, Löß und Kiesel. Wenn ich Mandeln, Kaffee, oder Schokolade schmecke, besser noch Rumtopf und Beerengrütze. Das ist für Harald alles blanker Unsinn. Für ihn schmeckt Wein nach Wein. Und der ist gut. Oder schlecht. Das sind die beiden einzig gültigen Kategorien, sagt Harald. Alles andere sei schwachsinniges Weingeschwätz.

Harald und die andere Welt

Harald kann dafür Automotoren erkennen. Er weiß innerhalb von Sekunden, ob es sich beim dem gerade vorbeifahrenden Volkswagen Polo um einen Drei- oder Vierzylinder handelt. Er kann hören, ob der Motor krank oder gesund ist. Und er glaubt anhand von Schaltgeräuschen zu wissen, welches Geschlecht die lenkende Person hat und wann der Wagen das letzte Mal beim Service war. Ich halte das auch für Humbug. Doch meistens hat Harald wohl Recht, wiewohl mir der Beweis fehlt.

Harald und ich leben in zwei verschiedenen Welten. Außerhalb dieser Welten treffen wir uns in einem Gemeinschaftsraum. Das geschieht, wenn wir über Politik reden. Und über Filme und Musik. Doch bei Essen und Trinken fehlt ihm einfach der Sensor. Deswegen bin ich auch immer ein wenig sauer, wenn er mich als Weinschwätzer hinstellt. Denn Weinschwätzer – so sehe ich das – sind Leute, die aus einem Geruch oder Geschmack eine Assoziation entwickeln, die nicht nachzuvollziehen ist. Etwa wenn da steht: „Dieser Sauvignon erinnert mich an die Sonne Kroatiens und ich spüre mein Verlangen, sofort in das blaue Meer zu laufen und mich von den Wellen treiben zu lassen.“ Das ist totaler Quatsch.

Über Wein schreiben heißt aber sehr wohl, dass man verschiedenen Geruchs- und Geschmacksvergleichen freien Lauf lassen soll, so lange diese nachvollziehbar bleiben. Jeder kann, jeder soll sagen, was er denkt, wenn seine Geruchssinne den Duft des Weines erfassen.

Nichts ist peinlich, der geltende Begriffskanon kann verwendet, kann aber auch gänzlich ausgeblendet werden. Nur so kommen neue Begriffe ins Spiel, die den Horizont der Ausdrücke erweitern. Denn die Weinsprache der professionellen Tester leidet unter den immer gleichen Worten, die alle Weine in ihrer oft erstaunlichen Vielfalt beschreiben sollen. Diese wenigen Worte aber langen nicht aus.

Und so ist es nicht absurd, wenn ein Wein nach einem frisch gedruckten Fotobuch riecht. Oder nach warmem Bienenwachs. Nach Möbelpolitur, nach nassen Haaren, nach einem getragene Lederschuh, nach Baumrinde in der Sonne, nach einem Rattanstuhl am Strand, nach trockenem Schilfgras, nach einem Wartezimmer beim Kinderarzt. Und auch nach dem Parfum von Gabi Mayer. So beschrieb ein Kollege einst einen Südtiroler Rosenmuskateller. „Der riecht nach dem Parfum von Gabi Mayer.“ Und obwohl ich Gabi Mayer nicht kenne, weiß ich was er meint.

Nun doch Petrol

Bei aller gerechtfertigen Kritik an der oft blumigen Sprache der Weinkritiker – meine eigene eingeschlossen – wäre es eine Unterlassung, das Riechen und Schmecken von Wein nicht in seiner ganzen Bandbreite beschreiben zu können.

Mein Freund Harald hat das inzwischen eingesehen und veräppelt mich nicht länger. Gerade gestern kam er bei einer Party mit einem Glas Riesling angetanzt und sagte, er wisse, was ich meine, wenn ich von „der Tankstelle“ spreche. Das Petrol, von dem da immer die Rede ist, das schmecke er auch. Und dann rollte er die Augen vor Erstaunen über seine erwachte Sensorik. Ein Anfang ist gemacht.

 

Datum: 1.9.2012 (Update 7.1.2015)
 

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