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Weine riechen: Wie die Nase spricht

Die Mannschaft riecht ausnahmsweise mal am Schnapsglas
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Katzenpisse, Benzinkanister, Ledersattel, Frühlingswiese. Weinriecher haben nur wenige Vokabel. Aber der Captain rät zur freien Assoziation. Erstaunlich, wie viel Empfindungen man so mit anderen teilen kann.

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Die Mannschaft ist erschöpft. Alle haben gut gegessen und ein paar Flaschen verschiedener alter Sauvignons verkostet. Jetzt kommt eine runde Schnaps, klare Brände von Alois Gölles, darunter eine Hirschbirne, eine alte, sehr würzige Sorte. Der Maat hält seine Nase in das enge Schnapsglas, so wie er sein Nase zuvor auch in die verschiedenen Weingläser gehalten hat. Er taucht die Spitze seines Zinkens beinahe in die Flüssigkeit und zieht den Geruch wie eine Strasse Koks in sein Hirn ein. Ahhh…

Der Captain und der erste Offizier folgen ihm. Und dann wird das Glas in einem Zug gekippt. Auf ex. Und hopp. Ahhh…

Doch dann taucht der erste Offizier seine Nase wieder in das Glas, in das leere Glas, wo noch ein kleiner Rest der Hirschbirne ölig von den Wänden rinnt. Und er sagt: „Honig, Wabe“. Er sagt: „ein gebundener Geruch“. Das Spiel beginnt.

Das Spiel der Mannschaft heißt, verschiedenen Assoziationen freien Lauf zu lassen. Jeder kann, jeder soll sagen, was er denkt, wenn seine Geruchssinne den Duft des Weines oder des Brandes erfassen. Nichts ist peinlich, der geltende Begriffskanon kann verwendet, kann aber auch gänzlich ausgeblendet werden. Nur so kommen neue Begriffe ins Spiel, die den Horizont der Ausdrücke erweitern. Denn die Weinsprache leidet unter den immer gleichen Worten, die alle Weine beschreiben sollen. Worte zudem, die der „gewöhnliche“ Weintrinker beim Riechen nur bedingt nachvollziehen kann. So bleiben die „Weinkenner“ unter sich. Eine Sekte, die ihre Begriffe von der Öffentlichkeit abschottet.

Zurück zum leeren Schnapsglas. Der Maat wittert ein Buch, das Glas rieche wie ein frisch gebundenes Buch. „Sage ich ja“, sagt der erste Offizier, „ein gebundener Geruch, nach Wabe, nach Wachs, nach einem Buch, das mit Wachs gebunden ist.“

„Nein“, sagt der Maat, „ich meine den Buchdruck. Im Glas riecht es nach diesen Büchern aus den 70er-Jahren. Die Fotos in diesen Büchern haben damals so gerochen“. Der Captain sagt, er rieche Schiwachs. Es rieche nach dem Moment, als er im Schulschikurs in Zell am Ziller seine Blizzard Firebirds eingewachst habe (die er am dritten Tag bei einem Unfall zerbrach). Schweigen.

Dann wieder der Maat: „Und es riecht nach nassen Haaren.“

„Stimmt“, sagt der Captain. Und: „Es riecht auch nach einem getragenen Lederschuh. Innen drinnen, nach einem Tag.“ Der Captain zieht zum Beweis seine Crockett & Jones aus und reicht sie der Runde. Alle reichen in den Schuh und nicken. Da ist was dran.

„Und Baumrinde in der Sonne“, sagt der Maat. „Ein Rattanstuhl in Grado am Stand“, ergänzt der Offizier. „Trockenes Schilfgras am Mittelmeer“, sagt der Maat. „Nässeschutzspray am Schuh“ sagt der Captain und will wieder seine Stiefletten reichen. Die Runde lehnt dankend ab.

„Nach dem Parfum von Gabi Mayer“, gibt der Captain eine neue Flanke frei. Jaja, Gabi Mayer, die Mannschaft nickt. „Das Parfum von Gaby Meier mit Salz obendrauf“, sagt der Captain. „Aber auch der Geruch beim Kinderarzt“, ergänzt der Maat, „vor dem man sich immer gefürchtet hat. Das habe ich auch im Glas.“

„Eine nasse Kalkwand“, sagt der Maat. „Kartoffel und Kümmel“, sagt der Captain. „Dunkles Brot“, sagt der Offizier. Die Mannschaft ist wieder am Boden der Begriffe angekommen. Am Ende haben alle das gleiche gerochen: Gabi Mayer.

 

Datum: 29.8.2009 (Update 27.1.2012)
 

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