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„Ich würde ja einen Obreien trinken, aber ich glaube ich kann das gar nicht würdigen.“ Ich habe eine gefühlte Ewigkeit gestern gebraucht, bis ich wusste, was die Dame auf der Messe mir sagen wollte.
Obreien? In Gedanken ging ich alle mir bekannten Premiumweingüter Amerikas und Australiens durch. Fehlanzeige. Ich war verstört, glaubte ich doch, ich würde alle kennen. Erst als sie anfing, von Lafite zu erzählen und den Weltraritätenproben bei Rodenstock und Paulson fiel bei mir der Groschen: Haut Brion meinte sie. Hergottsackzement, dachte ich, ich werde echt alt und bin nicht mehr zur intuitiven Transferleistung fähig.
Bitte einen Kabinett, keinen Riesling!
Ich konnte mich glücklicherweise relativ schnell beruhigen. Es liegt nicht an dir, es liegt an den Leuten – so oder ähnlich wiederhole ich das wie ein Mantra. Ich bin solche Sachen gewohnt: „Junger Mann, geben Sie mir jetzt doch bitte einmal einen Kabinett und nicht dauernd diesen Riesling!“. Es gibt eigentlich nichts, was ich in den vergangenen 20 Jahren nicht gehört habe.
Vom Restzucker im Wein wird auf das Prädikat geschlossen, Rheinhessen liegt in Hessen, deutscher Wein ist süß, französischer Wein grundsätzlich zu teuer, deutscher Rotwein schmeckt nicht undsoweiterundsofort. Und ganz grundsätzlich ist jeder, der ein Weinglas korrekt halten kann, ein einschlägiges Buch im Regal stehen hat, jedes Jahr zum Geburtstag Wein geschenkt bekommt, ein jeder solcher ist einer der vielen Robert Parkers dieser Welt. Und selbstverständlich der bessere Parker, denn der echte hat ja keine Ahnung – nie gehabt!
Schlimmer geht das alles eigentlich nur noch, wenn es sich um Fußball dreht und ein ganzes Volk zum obersten Übungsleiter mutiert. Im Kollektiv versteht sich und immer einer Meinung: „Als ich die Aufstellung sah, wusste ich, es geht verloren.“ Eigentlich ist es schade, dass dieses kollektive gefühlte Wissen nicht auf den Alltag zu übertragen ist. Wir wären das glücklichste und zufriedenste Volk auf diesem Planeten. Doch zurück zu meinem gestrigen Tag.
Eichelmann – ist das ein Tier?
Der reale Weintrinker – nicht der virtuelle Weinbesserwisser – hat einen Antrieb, der weit über den der virtuellen Spezies hinausreicht und sehr effektiv ist. Er trinkt Wein aus Freude und weil er Lust dazu hat. Das macht ihn sehr tolerant und wenig besserwisserisch. Er kennt keinen Gault-Millau und hält einen Eichelmann für etwas aus dem Tierreich oder unter Umständen für einen neuen Beruf in der Forstwirtschaft. Von Parker hingegen hat er schon einmal gehört. Nicht jeder aber hin und wieder einer. Soviel zur Relevanz von Weinführern in der relevanten Zielgruppe der Weintrinker.
Der reale Weintrinker mag hübsche Etiketten, insbesondere dann, wenn sie einfach zu verstehen sind. Das wird gerade dann zum Vorteil, wenn er etwas kaufen soll. Ganz wichtig aber: der reale Weintrinker ist interessiert und hört zu. Und zwar nicht, weil er diskutieren und besserwissen will, sondern weil er tatsächlich interessiert ist. Insbesondere dann, wenn ihm etwas schmeckt.
Schmeckt rund und ist gut
„Der Wein schmeckt irgendwie rund, ich mag das“, sagte gestern eine andere junge Dame zu mir. Sie war vor einigen Tagen mit ihrer Firma im Restaurant und da gab es auch diesen Wein. Und weil er rund schmeckte und weil sie elf Flaschen davon tranken und weil es keinem der Teilnehmer am nächsten Tag schlecht ging, will sie den jetzt wieder haben. Ihr Chef sei ein echter Kenner und bestelle Wein auf den Punkt: „Der muss von xyz kommen und so viel Zucker und so viel Säure haben!“, sagte sie mir gestern. Sie selbst habe keine Ahnung, trinke aber gerne Wein. Und wenn es rund schmeckt, ist alles gut.
Ich gebe es ehrlich zu, mir gefällt das. Mir gefällt das sogar richtig gut. Mit solchen Leuten kann ich arbeiten. Sie stellen Fragen, ich antworte. Alles in einer einfachen und verständlichen Sprache und am Ende haben alle Spaß.
Und siehe da – wieder sind 50, 60 Leute viel näher an dem Thema dran. Am Wein. Und damit am Genuss. Das böse „lecker“ fiel gestern sicherlich einhundertmal. Ich musste andauernd leicht lächeln, weil ich versuchte, mir den einen oder anderen Kollegen vorzustellen, der dieses Wort ablehnt und verachtet und mit Coca-Cola oder Fastfood gleichsetzt. Gestern Abend war „lecker“ ein Prädikat. Eine Auszeichnung.
Spontan vergoren = wie man gerade Lust hat
Der reale Weintrinker wird gerne belächelt, insbesondere ob seines Unwissens. „Der kann ja nicht einmal Haut Brion richtig aussprechen. Der Depp!“ Dann muss man es ihm eben erklären. Ihn an die Hand nehmen und ihm in Ruhe und gänzlich ohne Attitüde „reinen Wein“ einschenken. Insbesondere dann, wenn zufällig ein echter Kenner dabei steht: „Der Wein ist spontan vergoren, dass schmecke ich sofort“, konstatierte dieser „Experte“ gestern. „Spontan“, fragte daraufhin der belehrte reale Weintrinker, „heißt das, sie machen das so, wie sie gerade Lust haben?“ Nach meiner Erklärung war klar um was es geht. Der Wein war übrigens mit Reinzuchthefe vergoren.
Ist es denn so schlimm, wenn die wein-web2.0er den Kontakt zum Konsumenten verloren haben? Doch höchstens dann wenn sie glauben sie hätten ihn noch, oder?
Als wein-web3.0er ist mir der Konsument ziemlich egal, ausser er ist ein angenehemer Geselle. Und dann wäre er mir auch ihne Wein recht.
Aber schöne Beobachtungen und sicher eine Thema für Leute die mit Wein ihr Geld verdienen.
Ich kenn‘ bei den Wein-social-network-Gesichtern auch ein paar, die Eichelmann für ein Tier halten. Die haben sogar genaue Vorstellungen davon, was er für ein Tier ist. ;-)…Sonst: gut geschrieben. Und: Sind wir wirklich so nervig?
Guter Bericht.
Einfache, gut gewählte Wortsprache, verständlich, stimmig und erfrischend!
Klasse Dirk!
liest sich rund!
Als ich vor einem Jahr mit praktisch null Vorwissen zum ersten Mal auf der K&U Hausmesse in Nürnberg gewesen bin, konnte ich vielem, was da so zwischen Winzer und „Semi-Pro-Weinkonsument“ besprochen wurde, nicht folgen. Ich ging einfach aus Interesse hin. Und dann kam der köstliche Batterieberg von Immich-Batterieberg, die großen Pinot Noirs von Au bon Climat und der augenöffnende Kabinett von Ansgar Clüsserath. Zwei Tage danach habe ich mir einige Standardwerke zum Thema Wein bestellt, eine 370€ Bestellung bei Herrn Kössler aufgegeben, mir ordentliche Gläser besorgt und angefangen, bewusst Wein zu kaufen und zu trinken. Anfangs von der schöneren Hälfte noch als Spleen abgetan, kann sie heute keinen Orvieto aus dem Aldi mehr riechen und meinen Schwiegervater habe ich auch infiziert. Der baut gerade einen Weinkeller!
Vor wenigen Tagen war ich zum zweiten Mal auf der Hausmesse der K&U Weinhalle. Ich wusste besser bescheid, habe mich vorbereitet, konnte ein bisschen mitreden und Fragen stellen. Bestimmt nicht auf Augenhöhe mit den Winzern, aber interessiert und lernbegierig. Ich bin infiziert, nicht trotz, sondern wegen einer Endverbrauchermesse!
Lustig: Fehler kann der Würtz nicht zugeben. Der Knall auch nicht. Erst beharrt man (mit fadenscheinigen Entschuldigungen) auf zwei t. Dann berichtigt man in der Zweitausgabe clam=heimlich auf ein t. Ist nur eine Marginalie, zeigt aber im Zusammenhang das Niveau. Eklig.
Gast
Ganz amüsanter Beitrag, nur fällt der Beitrag von dem zunehmend besserwisserischen Teilnehmer „charlie“ (hab ich mal persönlich erlebt – das Kaliber von Weinfreunden kann mir gestolen bleiben, so ein schlauer Emigrant ….) leider aus dem Rahmen. Würtz beschreibt sehr treffend die Realität.
Irrtum. Dieser Text hier wurde redigiert. Der andere nicht. Das hier ist eine Redaktion. Das andere ein Blog. Kapiert?
Die Lage: http://www.weinlagen-info.de/#lage_id=1331
Die war auch extrem stark besetzt! Nebenbei: Viele hatten neben dem 2011er auch 2010 dabei. Ich fand, es wurde deutlich, dass der Captain doch recht hatte: 2010 war – i.s.b. verglichen mit 2011 – ein Arschjahr!
Ich bin da eigentlich vollkommen bei Charlie. Die Wein-Internet-Gemeinde besteht eben aus Leuten, die sich sehr stark für Wein interessieren. Ganz klar, das die andere Interessen und Fragen haben als der Durchnittskunde.
Das die Web 2.0 Weintrinker manchmal Quatsch erzählen liegt vielleicht auch daran, dass manche Winzer oft auch nur das erzählen, was der Kunde hören will („Ich mache nur Spontangärung“, „Die Weine sind ganz natürlich bei 9 g RZ stehengebleben) und nicht, was den Tatsachen entspricht.
Bisschen mehr Ehrlichkeit auf beiden Seiten täte der Sache gut.
Den „Charlie“ habe ich auch schon mal live erlebt – sehr sympathische Erscheinung, seine Verkostungsnotizen sind seine Sache, die finde ich eher weniger anregend.
Aber noch viel weniger gefällt mir dieser Unterton bei „…so ein schlauer Emigrant …“. Gar nicht hip, dieser Hipping!
Was der Kunde will? Soeben live erlebt: „ich möchte einen Rotwein, der nicht nach Beeren oder Kirschen schmeckt, nur nach Wein soll er schmecken!“
Danke Dirk,
Volltreffer.
grandios guter Beitrag aus der Wirklichkeit. > grossartig!
Volltreffer! Wer Weininteressenten und -trinker Ernst nehmen will, muss sich durch die Mühen der Ebene bewegen, natürlich nicht ohne den Gipüfel aus den Augen zu verlieren. Sonst bleibt es beim selbstreferenziellen, elitären Lifestyle-Geschwätz
Es gibt immer ein erstes Mal….und das soll ja bekanntlich eher weh tun…..nee tut’s gar nicht ! Ich bin eher nicht so der Blogschreiber ….aber hier MUSS ich antworten!
Das ich das noch erleben darf !!?!??! Eine rundum erfrischend klare , ohne große Oper und Oenoblabla auf den Punkt gebrachte Analyse ! Genau so erlebe ich das seit????seit???keine Ahnung…seit ich Wein mache und mir Menschen suchen muss die Ihn kaufen und trinken , das ich mir was zu beißen leisten kann . How ever…GENAU so ist das und ich habe VOLLSTES Verständniss für Herrn Mayer und Frau Schmidt…“schmecken musses !!!!!!!!!!!!!!!!!“ – Warum sollen die denn sonst Wein trinken??? Das Glas Wein ist in der Belohnungstüte nach Feierabend drinne , wenn man sich den ganzen Tag den A…h aufgerissen hat . Dazu lecker Essen und eine gute Zeit mit der ..oder dem „Süßen“ ….ohne jetzt gleich wieder die Restsüßehassfraktion auf die Palme zu bringen. Interessant in dem Zusammenhang ist auch , wie ich jetzt gehört habe , das die größte Fraktion der Käufer von Wein im LEH und den Discountern , Frauen sind . Also Jungs…schluss mit den Oenoreligionskriegen und dem technischen BlaBla…zeigt mal Eure positiv , sonnig -softe -feminine Seite ……noch einen schönen Wintertag – Herzlichst Christoph
Komme gerade von der Grünen Woche und kann den Bericht nur 1:1 bestätigen. War aber bei fast allen Endverbrauchermessen so (München, Hamburg, Dresden, Köln etc.).
Fasziniert bin ich eher, dass es so einen Beitrag überhaupt gibt. Willkommen in der Realität. Unser ganzes Sommelier-Winzer-Küfer-Blogger-BlaBla können wir uns nämlich in 99 von 100 Fällen in die Haare schmieren. Schmecken muss er!!! Und mit dem ganzen Geschwafel, was wir „Fachleute“ verwenden bei unserem Tanz ums goldene Kalb, verschrecken wir nur unsere Kunden. Stattdessen gibt es immer noch viel-zu-viele von uns, die die Probleme des eigentlichen Endverbrauchers (welcher Wein schmeckt mir eigentlich?) amüsiert-ironisch belächeln und verbal auf die Schippe nehmen.