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Villa Jacobs: Weinlese in Potsdam

Marianne und Stefan Ludes
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Weinbau als Abenteuer. Von einem Paar, das alles erreicht hat. Das erlebt der Captain öfters bei Machern. Wenn alles erledigt ist, kommt: Wein.
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[Dieser Artikel erschien im September 2021.] Der Captain meldet sich nach drei Tagen Pause zurück zum Dienst. Er sitzt auf einer Insel im Mittelmeer und entspannt ein wenig. Natürlich nicht ohne die lokalen Weinspezialitäten zu prüfen.

Ein bisschen mediterran wirkt auch das nordische Umfeld, aus dem mein heutiger Abendwein stammt. Es handelt sich um den noblen Rotwein → Pinot Noir Précose trocken 2016 vom prachtvollen Grundstück der Villa Jacobs im brandenburgischen Potsdam.

Wie bitte?

Ja, klar. Da stehen 1.000 Rebstöcke, gepflanzt von einem weinverrückten Reichen namens Stefan Ludes, der gemeinsam mit seiner Frau Marianne ein riesiges Architekturbüro für Krankenhaus-Bauten betrieb und dann verkaufte. Mit dem Erlös holten sich Stefan und Marianne ein atemberaubendes Stück Land am Jungfernsee, auf das auch der mächtige Springer-Chef Matthias Döpfner ein Auge geworfen hatte. Aber die Ludes kamen zum Zug.

Der von mir verkostete Jahrgang 2016 ist natürlich längst vergriffen, weshalb ich auf den aktuell verfügbaren Wein verlinke.

Neben dem Ehepaar Günther und Thea Jauch sind Thomas und Marianne Ludes somit das zweite wine couple aus Potsdam, das der Captain kennt.

Pinot Noir Précose ist übrigens die französische Bezeichnung für Frühburgunder. Klingt einfach vornehmer. In der kleinen Metropole an der Havel versucht man schon länger nobler zu sein als in der prolligen Schwester Berlin nebenan.

Noch eine Parallele vereint die Ludes mit den Jauchs: Man besitzt auch im Anbaugebiet Mosel Rebstöcke – und gar nicht mal so wenige.

Genauer gesagt am steilen Erdener Prälat, wo die Ludes seit 2003 die größte Einzelparzelle halten.

Die Weinbergsarbeit und den Ausbau besorgt Winzer Andreas Schmittges, der auch für die Zubereitung des Potsdamer Frühburgunders verantwortlich zeichnet und das Projekt seit der Pflanzung im Jahr 2012 betreut.

Im Herbst 2020, also vor genau einem Jahr, war der Captain bei der Weinlese mit dabei und hat mit seinem Handy alles gefilmt. Das Ergebnis kannst du dir hier ansehen. Nach zwei Stunden Lesezeit war der Zauber vorbei und die Trauben wurden bei 8 Grad im Lieferwagen rüber an die Mosel gebracht.

Die Ernte 2021 ist am vergangenen Mittwoch (15.9.) reingeholt worden. Die Ausbeute: rund 500 Liter. Das entspricht etwa 670 Flaschen.

Nach einer Maischestandzeit von 48 Stunden wandert der Saft für ca. 8 Monate ins gebrauchte Barrique und kommt dann auf die Flasche. Der rote Potsdamer braucht viel Zeit, bis er sich entfaltet. Als der Captain 2020 mehrere Jahrgänge probierte, schmeckte der 2016er optimal.

Im Gegensatz zum allgegenwärtigen Sandboden im Land rundherum herrschen im Hang der Villa Jacobs andere Verhältnisse. Hier wurde Lehm abgebaut, um daraus Ziegel für die berühmte Garnisonkirche zu brennen. Als das Vorkommen erschöpft war, baute man Wein an. Welche Sorte genau, ist leider nicht überliefert.

Die Villa Jacobs liegt am Hochufer des Jungfernsees nahe der historischen Parkanlage des Neuen Gartens mit dem Schloss Cecilienhof und dem Marmorpalais. Friedrich Ludwig Persius (Schüler von Karl Friedrich Schinkel) erbaute die Villa 1835 im toskanischen Landhausstil für den Zuckersiedefabrikanten Ludwig Jacobs an der heutigen Bertinistraße.

Ihren Namen erhielt die Bertinistraße, als sich am nördlichen Ende ein beliebtes Kaffeehaus mit Gastwirtschaft und Weinberg befand, das von dem aus Lucca stammenden Giovanni Alberto Bertini betrieben wurde.

Ab 1870 wurde die Bertinistraße wegen der Nähe zu den königlichen Gärten eine bevorzugte Wohnlage für die besseren Kreise. Prominente Bankiers wie der Direktor der Dresdner Bank, Herbert M. Gutmann, ließen sich repräsentative Landhäuser bauen.

Mit ihrem 37 Meter hohen florentinischen Turm war die Villa Jacobs die erste italienische Turmvilla in Potsdam und übte großen Einfluss auf nachfolgende Bauten aus. Der königliche Hofgärtner Hermann Sello legte einen großen Landschaftsgarten nach Originalplänen von Peter-Joseph Lenné an.

1886 wurde die Villa an den Prinzen Alexander von Preußen vermietet und deshalb auch Villa Alexander genannt. 1896 kaufte sie Kaiser Wilhelm II. Am 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch) hielt die SS Konrad Adenauer (lebte damals in Potsdam) in der Villa fest.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in dem Gebäude ein Kindergarten der Sowjetarmee untergebracht. Seit dem Mauerbau begann das Gebäude zu zerfallen. Nach einem Brand wurde die Ruine 1981 abgerissen. 2005 bis 2008 rekonstruierten die Architekten Marianne und Stefan Ludes die Villa Jacobs mit originalgetreuer Fassade.

Märkischer Weinbau ist seit über 800 Jahren belegt. Die Jahrhundertwende um 1800 gilt als Blütezeit. Zur Wende waren nur noch ein paar Hektar übrig. Seitdem lebt der Weinbau wieder auf.

Die Rebfläche Brandenburgs beträgt aktuell 33 Hektar. Die rote PIWI-Sorte Regent ist mit 5,7 Hektar die meist angebaute Traube. Weinrechtlich gehört Potsdam zum Anbaugebiet Saale-Unstrut, das weit im Süden liegt. Eine offizielle Liste mit Winzern in Brandenburg fand der Captain nicht, zählte aber die Betriebe in einer Broschüre des Landwirtschaftsministeriums zusammen und kam auf ca. 25 Hersteller.

Frühburgunder ist auch bei Vögeln beliebt, die im Sommer noch nicht viel Nahrungsauswahl haben. Zum Leidwesen der Winzer, die sich Schutzvorrichtungen wie Netze, Knallautomaten oder dergleichen einfallen lassen müssen. Beides hilft allerdings nicht gegen die aus Asien eingeschleppte Kirschessigfliege, die binnen weniger Stunden die Ernte eines ganzen Weinbergs vernichten kann.

2011 wurde das fiese Insekt Drosphila suzukii erstmals in Deutschland nachgewiesen. Es sägt mit einer Art ausklappbarem Kiefer die Haut der Beeren auf und legt ihre Eier im Innern ab. Die geschlüpften Larven fressen sich dann durch das Fruchtfleisch – und schwärmen nach ca. zwei Wochen als neue Fliegengeneration aus. Zurück bleiben verfaulte Beeren, die mühsam aussortiert werden müssen.

Das Biest ist ein Kind des Klimawandels. Der milde Winter sichert ihr Überleben, im feuchten Sommer kann es sich ungehemmt vermehren.

Macht es angesichts solcher Pein überhaupt noch Sinn Frühburgunder anzupflanzen? Das fragen sich immer mehr Winzer und reißen ihre Frühburgunderstöcke aus.

Auch Hobbywinzer Stefan Ludes spielt mit dem Gedanken, sich die empfindlichen Pflanzen vom Hals zu schaffen und mit einer anderen Sorte durchzustarten. 2021 fiel ein erheblicher Teil der Beeren der Kirschessigfliege zum Opfer. Schon zu Beginn des Abenteuers hatte Ludes testweise 30 Spätburgunderstöcke im wärmsten Teil des Hangs angepflanzt und beobachtet seitdem, wie sich die Trauben entwickeln.

Mehrmals im Jahr laden Stefan und Marianne Ludes (die Bücher schreibt) die Öffentlichkeit in ihren parkähnlichen Garten ein. Ganz ohne Zugangskontrolle und komplett gratis. Es gibt heitere Weinfeste mit leckerem Grillzeug und Literaturveranstaltungen. Der allgemeinen Reichenhetze zum Trotz. Gemütlich fläzt sich das Publikum auf der Wiese.

Das ist mutig und ringt dem Captain Respekt ab. Genauso wie dieser Rotwein, den du dir (neben verschiedenen Moselweinen) im Online-Shop der Villa Jacobs besorgen kannst.

 

Datum: 12.9.2022 (Update 13.9.2022)