Jedes Jahr im Februar hält die Weinwelt den Atem an und blickt ins Dörfchen Montalcino in der Toskana. Dann verkünden die hohen Herren aus dem Consorzio del Vino Brunello di Montalcino (das ist der Verband der Winzer und Produzenten), wie sie den Jahrgang einschätzen, der nun – fünf Jahre nach der Lese – verkauft werden darf. Zwei Jahre reift der Brunello in Holzfässern, drei weitere in der Flasche.
Dafür vergeben sie Sterne:
Wirklich schlechte Wertungen geben die Damen und Herren selten ab. Sie wären ja schön doof, schließlich wollen sie ihren Wein verkaufen. Allerdings verfügen sie über Informationen aus erster Hand. Warum aber warten alle mit so großer Spannung auf diese Bewertung?
Ganz einfach, der Brunello di Montalcino gehört zu den besten, größten und umwerfendsten Schöpfungen, die Menschen aus Trauben machen. Er ist komplex, dabei gut zu trinken und langlebig wie nur ganz wenige Weine aus Italien. Er besteht zu 100% aus der Rebsorte Sangiovese, eine der wichtigsten Trauben Italiens. Aber nur hier in der Gegend rund um Montalcino läuft sie zu Höchstform auf.
Dafür gibt es ein paar Gründe. Zum Beispiel: Die Böden im Montalcino südlich von Siena sind sensationell. An manchen Stellen wachsen die Reben auf sehr kalkreichem Untergrund, anderswo ist dieser vollgepackt mit Schiefer oder Ton. Die Küste ist gerade mal 60 Kilometer entfernt. Das bringt den Weinbergen, die dorthin ausgerichtet sind, manchmal eine kühle Brise, manchmal den heißen Scirocco-Wind aus Afrika.
Die meisten Rebpflanzungen liegen auf 250 bis 450 Metern Höhe. Dort gibt es nur selten Nebel oder Spätfrost. Beides mögen Reben eher wenig. Besonders im Süden Montalcinos bekommen sie Sonne satt, Regen fällt gerade noch genug.
In dieser Ecke der Toskana hatte eines schönen Tages in den 1980er Jahren der Metzger Vasco Sassetti keine Lust mehr auf seinen Beruf. Also tauschte er sein Fleischermesser gegen eine Rebschere ein und wurde Winzer. Damals war der Brunello lange nicht so berühmt wie heute und Weinberge billig zu haben. Sassetti war ein Spitzenmetzger. Mit der gleichen Begeisterung, mit der er sich zuvor auf Rinderhälften gestürzt hatte, beackerte er nun seine Reben. Denn von modernen Kellertricks hielt er nicht viel. Sassetti sagte schon damals, was heute fast jeder Winzer als Sprüchlein sagt, weil es dem Zeitgeist entspricht: Der Wein wird im Weinberg gemacht, nicht im Keller.
Sassetti (der übrigens auch eine tiefe Leidenschaft für die Herstellung von Pecoriono-Käse hegte) legte Wert auf niedrigste Erträge, strenge Auswahl der Trauben bei der Lese und die Gärung in großen, offenen Holzfässern. Es dauerte nicht lange und die internationale Weinszene wurde auf Sassetti aufmerksam. Im Jahr 2008 starb Vasco, sein Neffe Massimo führt seitdem das Weingut erfolgreich weiter.
Der Montalcino-Jahrgang 2010 hatte von seinem eigenen Konsortium die Höchstbewertung von fünf Sternen bekommen. Manche Experten sind der Meinung, der 10er sei der beste Jahrgang der vergangenen zehn Jahre gewesen.
Das Folgejahr 2011 stand im Schatten von 2010, mäkeln einige Weinkenner herum. Zu viel heißer Wind aus Afrika fegte über die Weinberge, der Zucker ging rauf, die Säure runter. Hektisch und sehr früh mussten die Trauben von den Rebstöcken geholt werden. Andere (wie zum Beispiel der erfahrene Weinkritiker Jens Priewe) sagen, das muss man differenzierter betrachten. Es gibt aus 2011 eben solche und solche Weine. Je nachdem, welcher Winzer sie gemacht hat. Fazit: Das Consorzio vergab nur 4 von 5 Sternen an den Jahrgang. 2012 war dann (trotz großer Hitze) alles wieder gut: 5 Sterne, trotz einiger Meckerer.
Und wie ging’s weiter? dem Jahrgang 2013 verpassten die Brunello-Lobbyisten 4 Sterne, 2014 bekam nur 3! Der deutsche Italien-Kenner Steffen Maus schreibt über diesen problematischen Jahrgang:
2014 war ein herausfordernder Jahrgang, Regen und kühle Temperaturen verhinderteten eine perfekte Ausreifung der Trauben. Viele Weine sind heute besser als erwartet, sie respektieren den Jahrgang und besitzen keine üppige Fruchtsüße und ein teilweise strenges, etwas grünes Tannin. Es sind ausbalancierte Weine, die angenehmer zu trinken sein werden als die kraftstrotzenden Brunello-Weine des Folge-Jahrgangs 2015.
Ja, der 5-Sterne-2015 war brüllheiß in der Toskana, auch keine einfache Voraussetzung für elegante Weine. Ich sage ja immer: Großartige Winzer beweisen gerade in kritischen Jahren, wozu sie fähig sind. Und ich meine, Massimo Sassetti gehört zu dieser Klasse. Er ist mit seinem 2011er-Brunello jedenfalls aus dem Schneider. Der Wein schimmert im Glas rubinrot, tendiert aber schon ins granatfarbene. In der Nase zeigt sich sofort die majestätische Pracht des Brunello: Dunkle Schokolade, Kirsche, eine Note wie von frisch geschlachtetem Rindfleisch, rostiges Eisen, Veilchen und getrocknete Kräuter. Am Gaumen wird es dann schlicht und ergreifend spektakulär. Wieder dunkle Kirsche, ganz, ganz intensive Trockenkräuter-Würze, Pflaume, dunkle Schokolade, Blut und Rost.Der Abgang ist wunderbar lang, die 14,5 Volumenprozent Alkohol hinterlassen eine deutliche Wärme. Diesen Wein sollte man auf jeden Fall mindestens eine Stunde vor dem Trinken in die Karaffe gießen.
Das ist ein Tropfen für den stillen Genuss. Und zum Lernen, wie richtig großer Wein schmecken kann. Zum leistbaren Preis. In der Tat: Knapp 40 Euro (Jahrgang 2015 bei einem deutschen Online-Händler) sind für dieses lehrreiche Erlebnis wirklich nicht viel. Aber man kann diesen Wein auch verschenken. An einen Freund, der das Präsent zu schätzen weiß.
Hier geht’s zu → allen bewerteten Jahrgängen des Konsortiums. Zu einem Brunello di Montalcino passt perfekt eine Bistecca Fiorentina oder Pasta mit einem Ragú aus frischen Steinpilzen.