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Two Faces: der schizophrene Riesling

Winzer Stefan Breuer.
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Die Winzerfreunde Stefan Breuer und Klaus Singer-Fischer werfen ihre Trauben zusammen und machen daraus Riesling, der nicht viel kostet, aber grandios schmeckt.
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Erst neulich hatte der Captain einen Winzer im Newsletter, der mit seiner Familie brach, um zu sich (und zum guten Wein) zu finden. Heute ist schon wieder einer dran, der das Elternhaus verließ: Stefan Breuer aus einer Weinsippe, die durch das bahnbrechende Wirken von Bernhard Breuer (1946-2004) weit über Deutschland hinaus bekannt ist.

Der Captain zitiert sich selbst (das Privileg alternder Männer im Größenwahn) und kopiert hier einen bereits veröffentlichten Text rein: Der vielreisende Winzer Breuer aus Rüdesheim malte schon in den früher 1980er-Jahren ein Weinbild, das dem Ausdruck unmittelbarer Herkunft Vorrang gab. Der Weinberg, also das Terroir, sollte im Glas schmeckbar sein. Das war damals völlig neu in Deutschland. Breuer gehörte zu einer kleinen Clique, die den deutschen Wein beflügelte. Der drahtige Intellektuelle und Kunstfreund wirkte aber nicht nur bei sich zu Hause, wo er für die FDP Lokalpolitik machte, als diese Partei noch für irgendwas stand. Gemeinsam mit seinem besten Freund Bernd Philippi vom Weingut Koehler-Ruprecht in Kallstadt brachte er den Weinbau auf Madeira nach vorne und das südafrikanische Weingut Mont du Toit in Paarl auf Vordermann. Dann stieß Werner Näkel hinzu und das Trio peppelte die herabgewirtschaftete Quinta da Carvalhosa im Douro-Tal auf. Breuer initiierte die Wiedergeburt des trockenen Riesling, adaptierte das französische Konzept der Qualitätsstufen, war Vordenker des VDP und schmiss seine Mitgliedschaft wieder hin, als die Kleinkrämerei überhandnahm. Hätte die deutsche Weinwirtschaft so etwas wie ein Traditionsbewusstsein, gäbe es schon längst ein Denkmal für diesen Mann. Aber das ist wohl Aufgabe der jungen Winzergeneration, die nun in den Startlöchern steht. Den Funktionären in Gummistiefeln, die heute noch das Sagen haben, fehlt dazu die innere Größe.

Und schon hat der Captain wieder ein paar Leuten zart gegen das Schienbein getreten, sein liebstes Hobby.

Stefan Breuer ist Großcousin der umtriebigen Theresa Breuer (Tochter von Bernhard Breuer) die gerade auf mehr als würdige Weise in jene tiefen Fußstapfen tritt, die der verstorbene Vater in der Erde klingender Lagen wie Berg Schlossberg bei Rüdesheim/ Rheingau u.a. hinterlassen hat.

Aber hier geht’s ja um Stefan Breuer und einen anderen Schlossberg drüben in Rheinhessen, wohin man sehr lange abschätzig blickte. Heute geht das eher andersrum, wenn in Rheinhessen eine Szene experimentierfreudiger Winzer mitleidig in den vielerorten ehrpusseligen und festgefahrenen Rheingau blickt.

Die Seelen beider Anbaugebiete wohnen in Stefan Breuers Brust, kommt er doch von hüben, vinifiziert aber Trauben von drüben. Das Ergebnis ist mein grandioser Abendwein, der sinnlich-moderne Two Faces Riesling Schlossberg trocken von Stefan Breuer und Klaus Singer-Fischer.

Bitte wer ist Letztgenannter?

Klaus Singer-Fischer ist Stefan Breuers Kumpel und Chef vom gleichnamigen Weingut in Ingelheim. Beide verantworten die vielsagende Weinlinie Two Faces aus den Lagen Bockstein und besagtem Schlossberg, wo jeder der Herren ein paar Stöcke stehen hat, aus deren Trauben wundersame Getränke entstehen.

Die Großlage Schlossberg liegt bei Ingelheim und wird von Muschelkalk bedeckt. Darunter schlummern Löss und Kies, ist also sehr trockenes Milieu, das im Wein ein karg-mineralisches Geschmacksbild zeichnet, über das die beiden Winzer mit langem Hefelager einen Weichzeichner legten, was am Gaumen ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Pingpong auslöst, das sich gewaschen hat. Hab ich dir jetzt Lust gemacht?

So, wie er schmeckt, müsste dieser Wein mindestens 17 Euro kosten.Oder noch mehr: Erfrischend-eleganter Weißwein, der 8 bis 9 Monate auf der Feinhefe lag und mit extrem viel Substanz aufwartet. Im Glas mittleres Gelb mit grünlichen Reflexen. In der Nase herrlicher Mineralik-Rauch von moosbewachsenen Flusssteinen, Grapefruitschale, Aprikose. Im Mund saftig-zitrig mit straffer Säure, wieder Rauch und kühle Gesteins-Sensorik, die sich (bei zunehmender Maulwärme) mit gelbfruchtiger Opulenz vermengt, zarte Restsüße. Ich schmecke Apfel, Pfirsich, Apfelsine und eine Prise Salz. Straffer und moderner Riesling, der zur Sache kommt. Sehr-sehr gut!

Stefan Breuer macht aus seinen Trauben übrigens auch Nudeln. Keine Ahnung, wie das geht. Ich vergaß zu fragen und als es mir wieder einfiel, war er nicht mehr zu erreichen.

 

Datum: 11.5.2021
 

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