Seit Andreas Hofer und den Franzosenkriegen neigen Vertreter der Tiroler Landwirtschaft (sowohl im Norden wie auch im Süden) zu einer gewissen Dramatik, wenn es um die Inszenierung ihrer Eigenständigkeit geht. Das trifft auch auf die Weinwirtschaft zu, die in Südtirol bekanntermaßen eine Blüte erlebt.
Zwar gibt es (dem Klimawandel sei gedankt) auch im österreichischen Teil Tirols inzwischen zaghafte Ansätze von Weinbau, aber die kann man (noch) vernachlässigen.
In Südtirol ist der Weinbau überwiegend genossenschaftlich organisiert, was weltweit ziemlich einmalig ist. Es herrscht Weinkommunismus light, eine Art kapitalistischer Kommunismus chinesischer Ausprägung, mit der Besonderheit, dass ein Teil der Produktionsmittel (Weinberge) in den Händen der Bauern verblieb.
In anderen Worten: Kommunismus minus Weinberge plus maximales Profitstreben minus Todesstrafe und Organhandel
Alle sind zufrieden und verdienen gut. Der Wohlstand quillt quasi aus jeder Ritze. Als der Captain im Herbst 2018 bei einer pompösen Weinparty der Kellerei Terlan zu Gast war, lernte er ein junges Weinbauernpaar mit drei Hektar Rebland kennen. Beide trugen Rolex. Traubenlieferanten in Südtirol erhalten Kilopreise für ihre Ernten, von denen deutsche Winzer träumen.Ganz Südtirol wird von Genossenschaften beherrscht.
Ganz Südtirol? Nein, ein kleines Dorf leistet nach wie vor heftigen Widerstand. Dank eines Zaubertranks, den der Druide Miraculix zusammenbraut…
Ach Quatsch, das ist eine andere Geschichte. Meine geht so:
Eine kleine Gruppe leistet Widerstand. Sie nennt sich Freie Weinbauern Südtirol (FWS) und zählt rund 100 Mitglieder.
Freie Weinbauern klingt etwas dick aufgetragen, als wären die anderen unfreie Weinbauerm, also irgendwie Leibeigene. Die plakative Selbstbezeichnung trägt aber ganz erheblich zum Stolz der verarbeitenden Winzer bei. Und zu ihrem Erfolg.
Diese tapferen Winzer besitzen nur 6% der Weinfläche Südtirols, machen aber so viel Rummel, dass man das schnell wieder vergisst. Einer davon heißt Andreas Berger und sein Betrieb ist der Jahrhunderte alte Thurnhof, etwa 1,5 Kilometer südlich des Bozner Stadtzentrums gelegen. Im Bombenkrieg der Allierten, der 60% der Stadt in Schutt und Asche legte, erhielt das Weingut einen schweren Treffer und wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut. Nur 3,5 Hektar steile Lagen gehören zum Betrieb, aber was da rauskommt, hat es in sich.
Dieser Andreas Berger ist Lieferant meines Abendweins aus der Rebsorte Goldmuskateller, der – wie alle Weine aus der großen Muskateller-Familie mit ca. 200 Mitgliedern – unter Kitschverdacht steht. Aber dieser Wein enttäuscht die Erwartung auf grandiose Weise.
Nein, der → Goldmuskateller von Thurnhof ist genau das Gegenteil von anbiedernd, sondern ein charaktervolles Getränk, das den Ansprüchen von SEHR kritischen Weinfreunden voll entspricht. Mit ganz viel Tiefe und Substanz: Im Glas satt glänzendes Gelb. In der Nase Muskatnuss, erdig nach Kartoffel, denn leicht floral, Plastikspielzeug, Orangenabrieb, Honig. Im Mund köstlich-karg und trocken. Ein schwarzes Loch, in dem jeder Zucker verschwindet. Auf der Zunge zart-ölig, dicht, kräuterwürzig und zitrisch. Ich spüre Wurzelgemüse (Pastinake), gelbes Steinobst, unreife Banane, Limette. Am Gaumen kandierte Orangenzeste und eine rätselhafte Kraft, die diesen Wein an den Innenräumen haften lässt, wie Nano-Folie, die unablässig Aromen abgibt. Faszinierender, straff gewirkt Weißwein mit Eleganz und Tiefe.
Angeblich war der Ur-Muskateller bereits im vorchristlichen Ägypten und Persien verbreitet, seine modernen Spielarten stammen wohl aus Griechenland und Italien und sind mittlerweile in fast allen europäischen Anbaugebieten verbreitet.
Den meisten Varianten ist der charakteristische Muskatduft gemein, oft gepaart mit dem Geruch von Rosenblüten und dem Geschmack von reifen Weintrauben. Während die Weine in Süd- und Osteuropa in der Regel schwer und fruchtsüß ausgebaut werden, findet man in Deutschland, in der Steiermark (jeweils unter dem Namen Gelber Muskateller) und im Elsass (Muscat Blanc a Petits Grains Ronds) viele trockene Abfüllungen. Diese entwickeln oft feine Aromen von Holunder, Pfirsich oder Zitronenmelisse.
Goldmuskateller wird in Italien Moscato Giallo genannt, also Gelber Muskateller (VIVC-Nr. 8193), aber der weicht im deutschen Sprachraum genetisch vom Goldmuskateller (VIVC-Nr. 8056) ab. Es ist kompliziert!
VIVC = Vitis International Variety Catalogue.