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Bardorf: 3,5 Hektar und zufrieden

Winzer Stefan Bardorf.
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Der Captain trinkt nobelstoffigen Silvaner aus einem Ein-Mann-Weingut in Franken und fragt sich, wie lange die Gastronomie den Lockdown noch durchhält.
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Das Foto unten machte der Captain letzte Woche, als er einen Freund besuchte, der in einer großen Anwaltskanzlei am Potsdamer Platz arbeitet. Streiten geht immer. Es war Donnerstag um 13:30 Uhr.

In normalen Zeiten wäre hier alles voller Passanten und die Autos würden sich über die Kreuzung drängeln, an der ab Dezember 1924 die erste Ampel der Welt den Verkehr regulierte. In den vielen Speiselokalen rundum brummte jeden Mittag das pralle Leben.


Über die Qualität der Speisen, die hier ausgegeben wurden, kann man streiten. Ein Highlight immerhin ist (noch) das Facil, eine der führenden Gourmetadressen Berlins. Jetzt bietet man dort ein Take-Away-Service an.

Erst gestern erfuhr der Captain von einem anderen Spitzenrestaurant der Stadt, das einen Millionenkredit aufnahm, um sich über Wasser und die Angestellten bei der Stange zu halten. Gute Köche und Kellner sind rar. Gerade hatte man sich nach 10 Jahren Plackerei schuldenfrei gemacht. Von der „Novemberhilfe“ (diese Bezeichnung wirkt wie ein schlechter Witz) ist noch kein Groschen angekommen.

Bevor der Captain zu einem souverän-noblen Silvaner mit toller Tiefe namens Randersacker Marsberg Silvaner Alte Reben kommt, zeigt er dir einen berührenden Text, den ein Freund schrieb, der Henry C. Brinker heißt und früher Chef von Klassik Radio war. Heute arbeitet Henry als Kulturmanager in Hamburg:

Das luxuriöse Lebensgefühl von „Café“ mit allem, was dazu gehört, zählt zu unseren wohl schmerzlichsten, hoffentlich nur temporären Verlusten im Kampf gegen Corona. Die Cafés – wann öffnen sie endlich wieder? Denn es gibt sie ja noch, die schönen Kaffeehäuser in den großen Metropolen, in Paris und Barcelona, in Mailand, natürlich und vor allem in Wien, aber auch in Berlin. Doch das Berliner Café schlechthin, ohne welches ein wichtiges Kapitel der Literaturgeschichte nicht geschrieben worden wäre, das gibt es schon seit bald 80 Jahren nicht mehr. An der Stelle, wo sich heute unweit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche das Europa-Center breit macht, stand bis 1943 das Romanische Café, eingerichtet und betrieben im Romanischen Haus. Gründerzeitliche Historismus-Architektur mit romanischen Zitaten und Versatzstücken. Innen ruhten schwere Gewölbe auf wuchtigen Säulen, das spärliche Tageslicht schuf eine Stimmung wie im Refektorium eines Zisterzienserklosters. Manche fanden das bedrückend, aber trotzdem kamen sie alle. Tout monde traf sich seit 1901 im Romanischen Café, prachtvoll gelegen zwischen Tauentzien und Budapester Straße. Stammgäste waren der dichtende Arzt Gottfried Benn und der sammelnde Galerist Alfred Flechtheim, die kunstseidene Irmgard Keun und der bittere Karikaturist George Grosz, der Alexanderplatz-flüchtige Alfred Döblin und der freche Verseschmied Joachim Ringelnatz. Auch Bert Brecht und Erich Kästner, Max Liebermann und Erich Maria Remarque, der Halbweltmaler Otto Dix und mein journalistisches Vorbild aus Jugendtagen, der flackernde und flunkernde, rastlos-rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Wer im berühmten Nebenzimmer mit den 20 Tischen sitzen durfte, gehörte zum auserwählten Kreis der Arrivierten und hatte es geschafft, er war ein sogenannter Freischwimmer. Die anderen tummelten sich im Allerwelts-Bassin der Nichtschwimmer, der Haupthalle für Netzwerker und Aufsteiger, Seh-Leute und neugierige Berlin-Besucher. 1933 zogen die Nazis ein, mit einem Tisch für die GESTAPO. 1943 fielen die Bomben auf das Haus und hinterließen eine rauchende Ruine. Vor 75 Jahren wurden die noch übrig gebliebenen Mauerreste des Romanischen Hauses mit dem ehemaligen Café dem Erdboden gleichgemacht. Die Werke der Gäste sind weiter lebendig, als Bilder, Romane, Reportagen und Gedichte. Die Poetin Mascha Kaléko (1907-1975) schrieb auf einen Café-Tisch gekritzelt über das Romanische Café:

Ich bin das lange Warten nicht gewohnt,
Ich habe immer andre warten lassen.
Nun hock ich zwischen leeren Kaffeetassen
Und frage mich, ob sich dies alles lohnt.

Es ist so anders als in früheren Tagen.
Wir spüren beide stumm: das ist der Rest.
Frag doch nicht so. – Es lässt sich vieles sagen,
Was sich im Grunde doch nicht sagen lässt.

Halbeins. So spät! Die Gäste sind zu zählen.
Ich packe meinen Optimismus ein.
In dieser Stadt mit vier Millionen Seelen
Scheint eine Seele ziemlich rar zu sein.

Einer von vielen Tausend Zulieferern der (zugesperrten) Gastronomie von heute ist Bio-Winzer Stefan Bardorf (Bild ganz oben) in Randersacker bei Würzburg, der mir (wie bereits erwähnt) den Randersacker Marsberg Silvaner Alte Reben zuschickte: Im Glas hellglänzendes Gelb. In der Nase duftig nach gelbem Apfel, Kerngehäuse, Pellkartoffel und gebrannten Nüssen von der Kirmes. Im Mund enorm saftig, stoffig-rund, etwas vegetabil und voller souveräner Opulenz. Ich schmecke gelbe Zwetschke, Apfel, Sternfrucht, Erdbeerkerne und Wurzelgemüse. Das ist Wein mit Tiefe und Struktur. Am Gaumen wieder süßliche Kirmes-Nüsse mit Rauchnoten, gegen die viel rassige Säure steht, was zusammen eine spannende Mischung ergibt. Gereifter Silvaner wie ein Händedruck, nach dem man sich ein bisschen größer fühlt.

Was heißt eigentlich „Alte Reben“? Eigentlich nichts, denn die Verwendung ist nicht gesetzlich geregelt. Danke, brauchen wir auch nicht, es gibt schon genug Vorschriften im Weingesetz und überall, wo der Krakenstaat seine Finger im Spiel hat. Manche Winzer schreiben „Alte Reben“ auf ihre Etiketten, wenn die Stöcke gerade mal 20 Jahre alt sind. Das ist natürlich Unsinn. Kann man alte Reben schmecken? 2016 wurde eine entsprechende Studie der Landwirtschafts-Uni Geisenheim umgesetzt, in der man Rieslingreben aus den Jahrgängen 1971 bis 2012 verglich. Der Unterschied: keiner. Weder bei Mostgewicht, pH-Wert, Gesamtsäure und Sensorik. Ist „Alte Reben“ nur ein Gag? Natürlich nicht. Erfahrene Verkoster berichten, dass man ab einem Rebstockalter von ca. 50 Jahren von spürbaren qualitativen Unterschieden sprechen kann. Ich zitiere aus dem Fachmagazin „Meiningers Sommelier“: Bei den besten Weinen aus Uralt-Parzellen gelingt eine bemerkenswerte Kombination aus Kraft und Finesse, sie haben Druck ohne Schwere und strahlen große innere Ruhe aus.

Die alten Reben von Stefan sind allerdings wirklich alte Reben. Sie wurden im Jahr 1973 gepflanzt und liefern nur noch wenig Ertrag. Der ist allerdings von spezieller Substanz, wie man im Wein schmecken kann. Stefan (Jahrgang 1979) ist fulltime Winzer mit 3,5 Hektar Rebland. Kann man davon leben? Wir kommen gut zurecht.

Das Geheimnis laut Stefan: viel arbeiten, hohe Qualität liefern und bei den Preisen nicht kleinlich sein. Der Betrieb navigiert gut durch die Krise, weil viele Direktkunden an der Weinmarke hängen. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Vater Günther (77) packt noch mit an.

Die Gemarkung Randersacker mit rund 200 Hektar Rebland zählt zu den wichtigsten Lagen Frankens. Der Marsberg ist ein Teil davon. Tiefgründiger Muschelkalk, darüber Lößlehm. Dieser gut gereifte Silvaner aus der Lese 2017 lag mehr als ein halbes Jahr auf der Feinhefe und ruhte im großen Stückfass. Stefan Bardorf: Meine Weine brauchen ein bisschen länger.

So ging es dem Captain auch, nachdem er diese Flasche geöffnet hatte. Er trank sie gaaanz langsam weg, um den Genuss voll auszukosten

 

Datum: 5.2.2021
 

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