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Spontanvergärung: Die richtige Antwort

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Nach heftigen Reaktionen nun eine ausführliche Antwort von Winzer Bernhard Fiedler, der die Problematik gut erklärt und unaufgeregt zusammenfasst. Kann der Captain als Schlusswort stehen lassen. 

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Leser-Mail von Bernhard Fiedler zur Diskussion über die verklärte Spontanvergärung. Veröffentlicht auch in Fiedlers eigenem Blog. Die Meinung von Bernhard Fiedler ist nicht zwingend die Meinung des Captains. Fiedler vermittelt Fachwissen, das auch der Laie nachvollziehen kann. Wer das Wesentlichste über die Gärung und Methoden der Gärung wissen will, wird hier alles Wesentliche verständlich formuliert erfahren.

Mit der Entwicklung des Weines vom Alltagsgetränk zum Lifestyle-Thema der genussaffinen Mittel- und Oberschicht hat sich auch der Blickwinkel auf den vergorenen Traubensaft deutlich gewandelt. Für Weinfreunde zählt heutzutage nicht nur der Geschmack, sondern auch die Entstehungsgeschichte und das Umfeld eines Weines zu seinen Qualitätsmerkmalen.

Dieser Trend ist aus vielerlei Gründen zu begrüßen. Nicht zuletzt, weil er zu einem bewußteren Konsum und zur Bevorzugung hochwertiger Weine führt. Allerdings sollte man dabei nicht übersehen, dass das Interesse zahlreicher Laien für ein hochkomplexes Thema wie die Weinherstellung auf einem umkämpften Markt zwangsläufig auch einen Kampf um die Deutungshoheit für an sich neutrale Fachbegriffe nach sich zieht.

Da eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema Weinherstellung aber in der Regel nicht möglich (und oft wohl auch gar nicht erwünscht) ist, konzentriert sich die Diskussion meist auf einige wenige Signalwörter, an denen man meint, den Background eines Weines festmachen zu können.

Und weil ihre Erklärungsmuster so schön logisch und einfach klingen, tragen die Weinmoralisten mit ihren schwarz-weißen Glaubenssätzen häufig den Sieg davon: Reinzuchthefe ist böse, Spontangärung ist gut. Und so weiter…

Der nicht zum moralisieren neigende Winzer hat nur zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Er kann sich bequem dem Kanon der Meinungsmacher beugen. Oder er kann mühsam versuchen darzustellen, dass die Weinwelt auch in solchen „Glaubensfragen“ nicht schwarz-weiß, sondern bunt ist.

Auf die Plätze, fertig, los:

Reinzuchthefen sind einzelne Saccharomyces-Stämme mit weitgehend bekannten Gäreigenschaften, die in Nährlösungen vorvermehrt und anschließend gefriergetrocknet käuflich zu erwerben sind. Die überwiegende Mehrzahl von mittlerweile hunderten Hefepräparate sind jedoch keine züchterische Schöpfung des Menschen, sondern exakt jene Stämme, die in besonders positiv verlaufenden Versuchs-Spontangärungen dominiert haben.

Wie die meisten Spontangärungen verhält sich deshalb auch der Großteil der Reinzuchthefepräparate recht unauffällig, was das Aroma des späteren Weines betrifft. Nur eine relativ kleine Gruppe (die oft „Aromahefen“ genannt wird) neigt dazu, dem Wein ihren Stempel aufzudrücken und das Geruchs- und Geschmacksbild deutlich zu beeinflußen.

Die häufig anzutreffende Gleichsetzung „Reinzuchthefe=Aromahefe“ ist daher falsch, und im Übrigen sind hefeinduzierte Bukettstoffe nach Pfirsich, Sauvignon blanc, sauren Drops, etc. sehr kurzlebig, weshalb „Aromahefen“ für Weine mit einem längeren Entwicklungshorizont (der in der Regel auch eine höhere Qualität bedingt) nicht in Frage kommen.

Abgesehen davon läßt sich eine ähnliche Beeinflußung des Aromas auch ohne böse Reinzuchthefen z.B. über eine sehr niedrige Gärtemperatur erzielen. Spontangärung und Aromen nach sauren Drops schließen sich also mitnichten aus.

Echte und vermeintliche Unterschiede am Beginn…

Einer der wichtigsten Effekte des Reinzuchthefeeinsatzes ist die rasche Dominanz eines Hefestammes über alle anderen Mikroorganismen in einem gerade zu gären beginnenden Most. Während nämlich in spontan gärenden Säften alle möglichen Mikroorganismen aktiv werden, bis sich die ursprünglich nur wenige Prozent echter Weinhefe ausreichend vermehrt haben, verschaffen die gekauften Präparate der Weinhefe einen deutlichen Startvorteil.

Betrachtet man die Sache aber genauer, stellt man fest, dass auch der Sponti-Kellermeister massiv versucht, die Mikroorganismenvelfalt im Most zu beeinflußen. Zuerst durch eine Vorklärung des Mostes (bei der ein Großteil der natürlichen Population entfernt wird), schon vorher oder danach durch die Zugabe von SO2 (das empfindliche Mikroben zugunsten der echten Weinhefe hemmt), und sehr oft durch die Zugabe eines spontanen Gäransatzes (der wie die Reinzuchthefe zu einer raschen Dominanz der echten Weinhefe führt).

Diese Eingriffe in die Mikroorganismenflora des Mostes relativieren natürlich auch alle Versuche, die Hefepopulation als wesentlichen Teil des lagentypischen Geschmacksbildes darzustellen. Davon abgesehen dominieren spätestens ab dem dritten Tag der Weinlese sowieso die im Keller vorhandenen Stämme, es sei denn, dieser ist weitgehend keimfrei. Der dafür notwendige Aufwand erscheint allerdings wenig sinnvoll, zumal die wissenschaftliche Beweislage zur Theorie der lagenspezifischen Hefepopulation auf Weintrauben mehr als dürftig ist.

Trotz dieser Einflußnahmen sagt man spontan vergorenen Weinen eine größere Komplexität nach, vergißt dabei aber gerne, dass diese (vermeintliche) Komplexität meist mit einem durch die Nebenprodukte der sonstigen Mikroorganismenflora verursachten höheren SO2-Gehalt des späteren Weines und gar nicht so selten mit gesteigerten Gehalten an z.B. Histamin und flüchtiger Säure einhergeht.

Von Sponti-Verfechtern wird das jedoch ebenso gerne in Kauf genommen, wie die häufig mit der Spontangärung assoziierten Knoblauch-, Schwefel- und sonstigen unangenehmen Aromen in vorwiegend jungen Weinen. Solche Stinker gelten geradezu als Beweis für eine spontane Gärführung und werden deshalb mitunter sogar euphorisch als positives Charaktermerkmal gefeiert.

Dass es sich bei diesen mehr oder weniger deutlichen Böcksern weniger um eine Frage der Art der Gärung als um einen davon weitgehend unabhängigen Sauerstoffmangel während bestimmter Entwicklungsphasen des Weines handelt, fällt den Schwefelwasserstoff-Fetischisten gar nicht auf. Und rückt manch reduktiv arbeitenden Reinzuchthefe-Winzer mit nicht allzustarker Mostvorklärung und langem Hefelager – gewollt oder ungewollt – ins Sponti-Lager.

…und am Ende der Gärung

Neben der Vermeidung von Weinfehlern ist die sichere Endvergärung das zweite große Argument für Hefepräparate. Durch die Auswahl von gärstarken Sponti-Stämmen mit niedrigem Nährstoffverbrauch für die Reinzuchthefe-Produktion gären Reinzucht-Moste in den meisten Fällen sicher durch, während die Spontangärung häufig mehr oder weniger viele Gramm Restzucker im Wein beläßt.

Aufgrund dieser Eigenschaft werden Reinzucht-Weine von Sponti-Freaks gerne als mit „Turbohefen“ unnatürlich trocken durchgegoren bezeichnet, während der mehr oder weniger halbtrockene Zustand vieler Sponti-Weine als harmonischer, natürlicher Gärstillstand gelobt wird. Unterschlagen wird dabei allerdings, dass die meisten Weine auch mit der natürlichen Hefepopulation vollständig durchgären würden, wenn der Sponti-Kellermeister nicht massiv über Mostvorklärung und Gärtemperatur in deren Entwicklung eingreifen würde.

Andererseits finden manche Weinmoralisten, welche die (vermeintliche) Beeinflußung des späteren Zuckergehaltes mittels „Turbohefe“ vehement ablehnen, gleichzeitig gar nichts dabei, willkürlich beim gewünschten Restzucker Gärungen zu unterbrechen und mikrobiologisch instabile Weine mit moderner Sterilfiltration in Flaschen zu bringen. Hauptsache es handelt sich um spontan vergorene Rieslinge.

Das ist natürlich ein klassischer Fall von Doppelmoral, denn selbstverständlich hat die Entscheidung, ob ein Wein 10 oder 50 Gramm Restzucker haben soll weit größere Auswirkungen auf den Stil des Endproduktes, als die Frage, ob der Most spontan oder nicht vergoren wurde.

Aber auch andere, in Sponti- und Nicht-Sponti-Kellern alltägliche Entscheidungen haben einen dramatisch größeren Einfluß auf die Stilistik, als die Wahl der Hefe, ohne derart moralinsauer diskutiert zu werden: Die Wahl des Lesezeitpunktes, der z.B. mit Überreife und Botrytis den Wein mehr prägt, als das die Hefe jemals könnte. Die Wahl des Gär- und Lagerbehälters bis hin zur Aromatisierung des Weines mit Holzinhaltsstoffen. Länge und Art des Ausbaues auf der Hefe nach der Gärung. Das Verschneiden von verschiedenen Chargen einer Sorte oder sogar verschiedener Sorten. Und, und, und.

Abstrakte Argumente

Neben diesen – in der Regel nur einseitig und verkürzt dargestellten – Fragen mit konkretem Weinbezug wird gerade in Sachen Spontangärung sehr häufig auch einigermaßen abstrakt argumentiert.

Reinzuchthefen nehmen dem Wein seine natürliche Aura und stehen für die Berechenbarkeit des modernen Geschmacks, heißt es zum Beispiel immer wieder. Dabei weiß jeder ernstzunehmende Kellermeister mit Reinzuchthefeerfahrung, dass es selbst mit dem gleichen Hefestamm und identer Temperaturführung nicht möglich ist, in zwei verschiedenen Behältern aus dem selben Most exakt den gleichen Wein zu erzielen. Zu groß ist die Zahl an Variablen, die – trotz Reinzuchthefe – zu Unterschieden in Gärverhalten und Weinstil führen.

Davon abgesehen gibt es auch Sponti-Keller, die allen Weinen die gleiche – berechenbare – aromatische Nuance mitgeben, und Reinzuchtbetriebe, die eine enorme – auf Sorten und Terroir, nicht auf Hefestämmen basierende – stilistische Vielfalt bieten können.

In diesem Zusammenhang sind auch die Werbeaussagen der Hefeproduzenten einigermaßen zu relativieren. Liest man nämlich deren Informationen, könnte man meinen, es käme in Geschmacksfragen überhaupt nur auf die Hefe und eigentlich gar nicht auf die Trauben an.

Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Weinmoralisten, die jedoch unterschlagen, dass es sich dabei nicht um seriöse Forschungsergebnisse, sondern um Verkaufsförderung in einem heiß umkämpften Markt mit vielen verunsicherten Winzerkunden handelt.

Gerne wird dabei auch auf die angebliche Macht der Hefeindustrie verwiesen, die mit nicht immer lauteren Methoden gegen die Sponti-Fraktion mobil mache, weil sie um Umsatz und Marktanteile fürchte. Dabei läßt sich leicht ausrechnen, dass die diversen Kellereiartikelfirmen zumindest mittels Reinzuchthefe (und nur die sollte man in diesem Zusammenhang in Rechnung stellen, will man redlich argumentieren) gar nicht so groß und mächtig sein können.

Die Verwendung von Reinzuchthefe kostet dem Winzer (je nach Hefestamm, Einkaufsquelle und Dosage) etwa ein bis zwei Cent pro Liter bzw. ein bis zwei Euro pro Hektoliter. Geht man davon aus, dass der überwiegende Teil der Weinernte solcherart vergoren wird, ergibt das in Deutschland einen jährlichen Reinzuchthefe-Umsatz von 10 bis 20 Millionen Euro.

Zieht man davon die Umsatzsteuer und die Margen für den Zwischenhandel ab, ist man in etwa beim gesamten Nettoumsatz der Reinzuchthefe-Hersteller, der damit wohl kleiner sein dürfte, als der Umsatz einzelner Weinkellereien. Und geradezu lächerlich im Vergleich zur Glas- und Verschlußindustrie, bei der es um das zehn-, zwanzig- oder nochmehrfache geht.

Womit natürlich auch der naive (oder besonders berechnende) Hinweis, die Spontangärung stehe für „antiindustrielle“ und „antikapitalistische“ Produkte einigermaßen lächerlich erscheint. Zumal auch solche Weine wohl fast immer aus mit dieselbetriebenen Traktoren bewirtschafteten Weingärten stammen, und mit Hilfe von jeder Menge Elektrizität (und nicht selten in Stahltanks) hergestellt werden. Und vom Winzer natürlich auch nicht verschenkt werden…

Eine Frage des Stils, nicht der Qualität oder Moral

Reinzuchthefe und Spontangärung sind zwei Optionen in der Weinbereitung die zu (gar nicht immer merkbaren) stilistischen Unterschieden führen.

Im Vergleich zu anderen, allerdings kaum thematisierten, weil „natürlicher“ erscheinenden menschlichen Eingriffen im Verlauf der Weinwerdung (Lesezeitpunkt, Maischestandzeiten, SO2-Einsatz, Gärtemperatur, Behälterauswahl, Gärungsunterbrechung, Hefelager…) bietet die Wahl der Hefe jedoch deutlich weniger Gestaltungsmöglichkeiten für den Kellermeister.

Die Art der Gärung ist deshalb eine rein stilistische und keine Qualitätsfrage, und schon gar keine von Glauben oder Moral. Auch wenn neoromantische Moralisten mitunter versuchen, sie dazu zu machen.

 

Datum: 12.7.2010 (Update 14.4.2011)
 

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