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Nicht schon wieder ein Beitrag über den derzeit in der Weinpresse so beliebten Alltagswein! Sogar der Captain, sonst weltgrößter Gegner mehrheitsfähiger Wein-Neologismen wie Garagenwein, Terrassenwein oder Zechwein, lässt sich neuerdings dabei ertappen, Alltagsweine zu empfehlen. Immerhin wahrt er den Anstand des Weinsnobs und beschränkt sich in seinen Tipps auf Champagner. Alles, was noch mehr den Niederungen des Weinpöbels entspricht, überlässt er gnädig den Maaten. Wie zum Beispiel mir. Na Bravo.
Beim Thema Alltagsschäumer unterhalb der Champagnerklasse kann man argumentativ eigentlich nur verlieren. Weil Champagner mit nichts zu vergleichen ist. Und weil er genau deshalb ständig verglichen wird – mit Rieslingsekt, Cava und neuerdings auch englischem Sparkling Wine.
Ich vergleiche nicht gerne, schon gar nicht unvergleichbares und bringe deswegen auch nur einen einzigen Schäumer mit an Deck. Den dafür aus Österreich, aus dem Weinviertel. Eigentlich die verkappte Paraderegion für Sekt, denn die meisten Grundweine österreichischer Sekte kommen aus dieser Region nördlich von Wien. Dafür ist das, was ich jetzt entkorke, ein wirklicher Alltagswein. Preislich so was von im Rahmen. Und in Sachen Speisenbegleitung immens vielseitig. Während ich der Mannschaft die Gläser fülle, gibt es den obligatorischen Informationsblock, frisch abgelesen vom leicht krakelig beschriebenen Recherchezettel.
Ablesen vom Spickzettel
Der Riesling Brut stammt vom Weingut Hebenstreit in Retz. Genauer gesagt: in einem winzigen Ort namens Kleinriedenthal direkt bei Retz. Manfred Hebenstreit bewirtschaftet in dritter Generation etwa 15 Hektar Rebfläche, die zu 70 % mit weißen Sorten, vor allem natürlich dem Grünen Veltliner, bestockt ist. Für den Charakter seiner Weine macht er die heterogenen Böden aus Löss, Lehm und Verwitterungsgestein verantwortlich. Wird wohl stimmen.
Ob der einzige Sekt des Sortiments auch im eigenen Keller die zweite Gärung durchlaufen hat oder der Grundwein außer Haus weiter verarbeitet wurde, lässt sich nicht so ohne weiteres herausfinden – von genaueren Angaben zu den Lagen, aus denen der Riesling gewonnen wird, Gärung oder Ausbau ganz zu schweigen.
Auf der offiziellen Preisliste des Weinguts ist der Schäumer nicht verzeichnet, lediglich im Probenraum erfährt man davon. Ein Phantomwein? Warum, weiß nur der Winzer. Das soll uns vorerst nicht weiter kümmern, wir haben ja reichlich davon an Bord.
Im Glas steht der Rieslingsekt weißgelb mit silbrigen Reflexen. Die Perlage ist eher rustikal, aber nicht ohne einer wahrnehmbaren Eleganz. Dieser Stil hat vor allem in Österreich viele Fans – eher Landhaus als Townhouse, eher Landlust als Vanity Fair.
Saibling vs. Kirmesmandeln. Was?
In der Nase zunächst viel Zitrus und eine ordentliche Portion Hefe, dahinter aber überraschend auch Dill und Rosmarin, mitunter sogar Thymian. Über allem schwebt ein Hauch zarter Mineralität. Am Gaumen eine irre Mischung aus gebrannter Mandel und pochiertem Saiblingsfilet. Wildfang. Der Fisch bleibt aber nur ganz kurz, die Kirmesmandeln setzen sich durch.
Persipan und Fichtennadeln
Etwas später dominieren dann Persipan und Fichtennadeln, an den Zungenrändern sogar ein Hauch Rosenwasser und Crèpeseide. Für einen Sekt eher kräftig im Körper. Kein Tänzer, sondern ein Einparker am Autoscooter. Der Nachhall zeigt sich mit einer passenden, nicht übertriebenen Länge und leicht kandiert. Den Gesamteindruck kann man kaum anders als „angenehm“ nennen, so banal das auch klingt. Und wie bereits angekündigt, passt der Sekt von Hebenstreit zu einer erstaunlichen Vielzahl von Gerichten. Zart gegarter Fisch, Linsen, marinierte Wurzelgemüse à la Alain Passard.
Wirklich guter Stoff
Ich würde ihn sogar zum Steak trinken, weil seine karamellisierten Noten an angebratenes Rindfleisch erinnern (Stichwort: Maillard-Reaktion). Wirklich guter Stoff für wenig Geld. Der dichte Extrakt lässt ihn auch fettigere Küche hervorragend verdauen, die unterlegte säurige Frische tut ihr übriges dazu.
Was für ein Spaßwein, was für ein Genuss. Auch wenn der Captain mit den Augen rollt und nach eine Flasche Pol Roger greift.
- N.V. Riesling Sekt Brut, Weingut Manfred Hebenstreit für lächerliche 8,00 Euro.
Aha, man kann jetzt wieder kommenteiern!